Erhabene Urtönigkeit

Balthasar Streiffs «Blaue Stunde» als Raumklang-Spektakel im Römertheater Augusta Raurica.

Ein Spektakel, gross und überwältigend. Die «Blaue Stunde» im Römertheater Augusta Raurica. (Bild: Peter Schnetz)

Balthasar Streiffs «Blaue Stunde» als Raumklang-Spektakel im Römertheater Augusta Raurica.

Asterix-Leser mögen sich erinnern, auch die Römer hatten ein Horn. Den lustigen Namen Olifant trug es, zumindest im Comic. Es ist also nicht abwegig, einem szenischen Musikprojekt, das sich um Hörner dreht, den Spielort Augusta Raurica zuzuweisen, auch im übertragenen Sinne: Wo der Mensch alte Geschichte(n) berührt, dort ist dieses Instrument, das ihn von jeher in allen Kulturen begleitet hat, gut aufgehoben. Zudem sich im und ums Römertheater unzählige Konstellationen bieten, seinem raumgreifenden Klang Weite zu geben. Ein spannendes Spektakel, das der selbsternannte «Alphorn-Revolutionär» Balthasar Streiff da zusammen mit dem szenischen Realisator Niggi Ullrich konzipiert hat: Während die Sonne an die Nacht allmählich das Zepter übergibt in der titelgebenden «Blauen Stunde», bewegen sich die Akteure mit diesen mächtigen Instrumenten quasi durchs Publikum hindurch. Sie vollziehen einen kompletten Durchgang über das Gelände gen Westen, wie ein tönendes Gestirn, das dem Tageslicht unter den Horizont folgt. 



Weihevoller Bordun



Leicht dämmrig ist es erst, als die Darbietung beginnt, eine Fledermaus vollführt ihren amorphen Flug über der ansonsten leeren Bühne, von fern rauscht mächtig die E 60. Drei Schwedinnen setzen den ersten Kontrapunkt zum Getöse der Autobahn: Die Damen von Irmelin pflegen den kraftvoll-kehligen Kulning, die nordische Variante des Kuhreihen. Dass damit das Vieh angelockt wird, glaubt man sofort. Hier aber locken die Schwedinnen nun die Hörner, die von den Rängen des Theaters hinabsteigen, neun Büchel an der Zahl. Aus einem weihevollen Bordun erhebt sich die Naturtonreihe, sie rufen sich zu, sammeln und vereinigen sich zu satten Akkorden mit vielen Reibungen, geben das Zepter an einen Drehgong ab, der wiederum den Aufmarsch von sage und schreibe 30 Alphörnern einläutet. 



Mythisches Ritual



Das hat etwas von mythischem Ritual, wie die Bläser, bestehend aus den Formationen Hornroh und Alponom, feierlich aus allen Richtungen auf die Bühne strömen, sie mit einer Klangballung in Beschlag nehmen. Zunächst tönt das ein wenig chaotisch, besoffenen Kälbern gleich. Doch eine riesenhafte, von innen leuchtende Trommel diszipliniert das Geschehen, man nimmt in einer atemberaubenden Reihe Aufstellung und es ertönt ein reiner Klang irgendwo zwischen Wagnerscher Rheingold-Ouvertüre und Urton, eine Sphärenmusik, ein allumfassendes Brausen, das wiederum in seine Gesetzmässigkeiten, nämlich die Obertöne aufgefächert wird. Weiter streifen die Hornisten und ihre schwedischen Gäste, ziehen zum gegenüberliegenden Tempel auf dem Schönbühl. Man formiert sich zum Quartett, wird fast jazzig, der Hornklang verzahnt sich auf den Stufen zu einem melodischen Räderwerk, nimmt durch chromatische Antworten eine Art iberischen Charakter an. 



Surround-Soundtrack



In dieser andächtigen, meditativen Choreographie der 30 Akteure wird mit jedem Ton Raum und Bewegung inszeniert, selbst die Beleuchter laufen mit, ein Abgesang auf unsere Stereogesellschaft, auf den Klang nur von links und rechts ist das. Performance und akustische Realität betten sich gegenseitig ein: Das Motorenbrausen und die Hörner der Moderne, jene von den Polizeiautos, die nun wieder durchdringen, je mehr sich die Szenerie vom Publikum entfernt, werden Teil des Surround-Soundtracks. Als distanziertes Wimmern dringt schließlich ans Ohr, wie sich nordischer Kuhreihen und helvetisches Horn imitieren. Eine letzte erhabene Urtönigkeit aus den Trichtern, und der Schlag eines Gongs lässt im unmerklich nächtlich gewordenen Himmel die Musik verstummen. Im Innern eines jeden Zuhörers jedoch tönt es noch lange weiter.


Weitere Aufführung: heute, Samstag, 15. September um 20 Uhr.

Nächster Artikel