Erst hintergründig, dann derbe Trash-Ästhetik

Mit zwei höchst unterschiedlichen Produktionen hat die sechste Ausgabe des Theaternachwuchs-Festivals Treibstoff in der Kaserne Basel ihren Auftakt erlebt.

«Mein Enkel 2072» mit Oliver Goetschel, Anne Haug, Benjamin Mathis und dem reizenden Kinderchor (Bild: Susanna Drescher)

«Mein Enkel 2072» und «Conan der Zerstörer» heissen die beiden Theaterproduktionen, die zum Auftakt des Festivals Treibstoff in der Kaserne Basel zu sehen waren. Sie zeigten, wie verschieden das junge Theater von morgen daherkommen kann.

«Treibstoff macht etwas nervös, weil wir nicht wissen, wohin es geht», sagte Christoph Meury, der abtretende Leiter des Theater Roxy und Mitinitiant der Plattform für den Theaternachwuchs, in seiner Eröffnungsansprache. Das ist nachvollziehbar, handelt es sich bei Treibstoff doch um ein Produktionsfestival, für das die Programmverantwortlichen – neben Meury sind dies Carena Schlewitt und Tobias Brenk von der Kaserne Basel sowie Uwe Heinrich vom neuen Partner junges theater basel, keine fertigen Projekte einkaufen können, die sie bereits gesehen haben. Über einen Mangel an Publikum brauchten sie sich aber keine Sorgen zu machen. Treibstoff hat sich mittlerweile offensichtlich zu einer Marke mit grosser Anziehungskraft entwickelt.

Dieses Publikum bekam nun am Eröffnungstag in der Kaserne Basel (ein weiteres Projekt wurde im Theater Roxy aufgeführt) zwei höchst unterschiedliche Produktionen zu sehen: «Mein Enkel 2072» von Moïra Gilliéron, Ariane Koch und Zino Wey aus Basel und «Conan der Zerstörer» von Philipp Karau und Mark Schröppel (SKART), die sich vom Studium der Angewandten Theaterwissenschaften in Giessen her kennen. Beide Projekte zeichnen sich durch eine überaus originäre dramaturgische und ästhetische Ausdrucksweise aus. Damit ist es aber sogleich zu Ende mit den Gemeinsamkeiten. Während man sich bei «Mein Enkel 2072» auf eine subtil konstruierte Reise in die (fiktive) frühe Kindheit begibt, werden die Zuschauerinnen und Zuschauer bei «Conan der Zerstörer» Zeugen einer derb-trashigen Faschismustheorie-Show.

Reise in den Deep Space der frühen Kindheit

«Mein Enkel 2072» zeichnet, wie der Titel bereits suggeriert, fiktive Kindheitserinnerungen nach. Im Projektbeschrieb heisst es dazu: «Moïra Gilliéron, Ariane Koch und Zino Wey begeben sich in eine Fiktion und wagen aus der Perspektive ihrer drei künftigen Enkel einen Blick in die eigene Zukunft, um Gegenwart, Vergangenheit und zukünftige Vergangenheit miteinander zu verknüpfen.» Diese Beschreibung klingt etwas verschwurbelt, was sich aber glücklicherweise nicht auf das überträgt, was man auf der Bühne im Rossstall zu sehen bekommt. Und das sind zwei Schauspieler und eine Schauspielerin (Oliver Goetschel, Benjamin Mathis, Anne Haug), die aus den flachen Schubladen aus drei Plan-Korpussen ein Raumschiff zusammenstellen, das sie auf die Reise in den Deep Space der frühen Kindheit führen soll.

Zugegeben, auch diese Beschreibung wirkt vielleicht etwas verschwurbelt. Der hintergründig und mit subtilem Witz unterlegte Text, der in ironischscher Aufzählungsmanier sentimentale, ersthafte und fröhliche Kindheitserinnerungen heraufbeschwört, sowie die verspielte Inszenierung sorgen aber dafür, dass aus dem etwas kompliziert klingenden Konstrukt ein letztlich vergnüglicher Theaterabend wird. Schön zu sehen, wie die erwachsenen Schauspieler Kinder spielen, die wie Kinder spielen: Die Schubladen als Bodenplatten des Raumschiffs wurden ja bereits erwähnt. Die leergeräumten Korpusse dienen im Verlauf des Stücks als Rückzug-Nestchen für die zu kleinen Kindern mutierenden Erwachsenen. Und aus einem herumliegenden Haufen von roten Schwimmwesten werden im Spiel Boxhandschuhe und Sparringschutz oder Cheerleader-Pompons. Höhepunkt des Abends ist aber der Auftritt des Kinderchors, rührend-komische Geisterwesen, die mit David Bowies «Space Oddity» und Alphavilles «Forever Young» den Erwachsenen wieder vor Augen führen, dass sie halt nach wie vor Erwachsene sind.

Geistige Evolution zum Faschismus

Kindlich geht es im zweiten Projekt, das am Eröffnungsabend aufgeführt wurde, ganz und gar nicht zu. Laut, etwas derb und trashig ist die Szenerie, in die SKART-Kollektiv mit Anna Hentschel, Philipp Karau, Steffi Kayss, Mark Schröppel, Charles Toulouse, Annika Ullmann und Camilla Vetters ihr Bühnenkostrukt «Conan der Zerstörer» verpacken. Zu erleben ist eine TV-Show mit zwei ausgesprochen smarten Moderatoren, die die Mutation des Steinzeitmenschen Conan zum Faschisten der Gegenwart begleiten. Es ist ein Faschismus, der sich durch die zeitgeistliche Utopie eines Daseins ohne Gefühle definiert, durch Intimrasur und Facelifting und durch das formal und technisch reinheitliche Design.

Dass Conan eine Frau (mit fast ganz entblössten weiblichen Brüsten) ist, dass die Muskelpakete lediglich mit Klebeband grob angebrachte Styropor-Attrappen sind, steht dem Ansinnen, aus dem Steinzeitmenschen den zeigeistlichen Idealmenschen zu machen – «der Körper dar nicht wibisch sein» – etwas entgegen. Aber um eine mit logischen Schlüssen nachvollziehbare Handlung geht es SKART nicht wirklich. Sie reihen in kontrastreicher Abfolge und von lautem Elektrosound untermalte plakative Bilder und Textsegmente aneinander: Werbesprüche, Politparolen und Auszüge aus literarischen Vorlagen, wie etwa Curzio Malapartes schaurige Beschreibung von in einem See eingefrorenen Pferden. Diese Textpassage wird übrigens von einem seltsamen Strohwesen vorgetragen, dessen Rolle und Aufgabe sich nicht wirklich erschliesst.

Mit Begriffen wie «charmante Rotzlöffelei» und «totalitäre Zwangslosigkeit» wird die Art beschrieben, wie SKART ihre Themen auf die Bühne bringt. Dem kann man auch als Aussenstehender grundsätzlich zustimmen. Und ach ja: Auch das Publikum muss seinen Teil zum Ablauf der geistigen Evolution zum Faschismus beitragen. Was genau, sei hier aber nicht verraten, es ist nämlich als Überraschungsmoment angelegt.

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