«Es kann ein Problem werden, wenn zu viel vom Übersetzer in einem Buch steckt»

Zum ersten Mal in der Geschichte des Kulturpreises der Stadt Basel ging die Auszeichnung an einen Übersetzer: Ulrich Blumenbach. Wir trafen den gebürtigen Deutschen zum Gespräch in seinem Basler Zuhause.

Bücher über Bücher über Bücher: Übersetzer Ulrich Blumenbach in seinem Büro/Haus im Wettsteinquartier.

(Bild: Alexander Preobrajenski)

Zum ersten Mal in der Geschichte des Kulturpreises der Stadt Basel ging die Auszeichnung an einen Übersetzer: Ulrich Blumenbach. Wir trafen den gebürtigen Deutschen zum Gespräch in seinem Basler Zuhause.

Ulrich Blumenbach ist hervorragend gelaunt. Lachend empfängt er uns in seinem Haus im Wettsteinquartier, das Wohnhaus und Büro zugleich ist: Die unteren beiden Stockwerke bewohnt der Übersetzer mit seiner Familie, im obersten Stock hat er sich ein Schreibzimmer eingerichtet.

«Kaffee?» Während die Bialetti aufbrüht, erzählt Blumenbach von seiner Überraschung, als er von der Auszeichnung erfuhr, vom Anzug, den er an die Preisverleihung anziehen wird (schwarz, ganz schlicht) und seiner Hochachtung vor dem amerikanischen Autor David Foster Wallace, dessen Monumentalwerk «Infinite Jest» er übersetzt hat. Er übersetzte den Titel mit «Unendlicher Spass» und das Buch sei seinem Namen gerecht geworden, trotz der sechs anstrengenden Jahre, die Blumenbach für die Übersetzung aufbrachte.

Der Kaffee ist fertig und wir laufen hoch in Blumenbachs Schreibzimmer, zwei helle gekoppelte Räume, komplett mit Schreibtisch, Bett und vollgestellten Bücherregalen an allen Wänden. Bücher, so weit das Auge reicht – genauso hat man sich die Schreibstube vorgestellt. Blumenbach setzt sich, erzählt, gestikuliert und spricht enthusiastische 30 Minuten lang durch – genauso hat man sich den Übersetzer gewünscht.

Herr Blumenbach, Sie haben den Kulturpreis Basel-Stadt gewonnen. Mit Ihnen geht die Auszeichnung zum ersten Mal an einen Übersetzer – normalerweise sind die Preisträger Kunstschaffende. Waren Sie überrascht?

Ja, natürlich. Die Auszeichnung kam aus heiterem Himmel. Ich hatte nicht damit gerechnet, aber fühle mich umso geehrter. Nicht nur für mich als Individuum, sondern auch als Würdigung für unseren Berufsstand.

Übersetzer arbeiten üblicherweise im Hintergrund. Ist das Fluch oder Segen?

Beides. Viele Übersetzer wollen unsichtbar sein. Ich habe viele Kollegen und Kolleginnen, die nicht gerne in der Öffentlichkeit stehen. Mich wundert das ein bisschen – ich bin eine Rampensau (lacht). Ich mache gerne Lesungen und war als Student in verschiedenen Laientheatergruppen. Was das allgemeine Auftreten angeht, glaube ich, dass es ein Fluch ist. Viele Übersetzer würden gerne mehr über ihre Autoren sagen, bekommen aber keine Möglichkeit dazu. Seit einiger Zeit bessert sich das aber und wir können Essays über unsere Autoren oder Nachworte zu unseren Übersetzungen schreiben – das freut mich sehr, dass wir unsere Sicht der Dinge darstellen dürfen.

Man steht aber stets auch im Schatten des Autors, den man übersetzt. Finden Sie das schade, dass Sie da nicht so viel Wertschätzung kriegen wie der Autor?

Nö, denn die hab ich ja nicht verdient. Die Ideen, alles Kreative, geht schliesslich auf die Kappe des Autors. Wir sind Kunsthandwerker: Übersetzer produzieren Kunst, aber sie produzieren sie nach, das Werk ist ja schon da. Natürlich müssen wir über die Mittel verfügen, das Kunstwerk angemessen, sprich auch mit künstlerischen Mitteln, reproduzieren zu können. Aber trotzdem würde ich mir nie anmassen, wirklich nicht, bei aller Eitelkeit, auf derselben Ebene zu stehen wie der Autor. Ich hab mir das nicht ausgedacht.




«Ich würde mir nie anmassen, auf derselben Ebene zu stehen wie der Autor. Ich hab mir das nicht ausgedacht.» (Bild: Alexander Preobrajenski)

Publikum ist das eine – der Arbeitgeber ist das andere. Wie steht es um die Wertschätzung auf Betriebsebene?

Die ist insgesamt immer noch nicht hoch. Wir kriegen Seitenhonorare, die man mit dem Verlag aushandelt, und je nach Verlag eine Erfolgsbeteiligung. Die ist aber meist nicht sehr hoch. Die ersten Verlage arbeiten jetzt mit einer gemeinsamen Vergütungsvereinbarung, da kriegen wir eine Erfolgsbeteiligung ab dem ersten Exemplar. Das ist natürlich sehr gut, denn egal wie sich das Buch verkauft, wir kriegen auf jeden Fall einen Betrag dafür. Ist das Buch ein Flop, tragen wir das Risiko mit, ist es ein Überraschungserfolg und verkauft sich unerwartet gut, dann ist das auch für uns ein finanzieller Erfolg.

Ihre prominenteste Übersetzung «Unendlicher Spass» von David Foster Wallace war genau so ein Überraschungserfolg. 

Genau, das war ein absoluter Glücksfall, davon hatte ich später noch lange was.

Dafür mussten Sie während des Übersetzens durchhalten. Sie sassen sechs Jahre an dem Buch und kriegten minimale Vergütung – die «Süddeutsche» hat es damals ausgerechnet: 3 Euro die Stunde. Wieso tut man sich so was an?

Da muss ich ganz pathetisch sagen: In diesem Falle aus Liebe zum Buch. Wobei – wie in jeder Liebe geht mal was schief oder ist was frustrierend. Ich hatte zwischendurch schon ein paar schwarze Löcher.

Ulrich Blumenbach studierte Anglistik, Germanistik und Geschichte an den Universitäten Münster, Sheffield und Berlin. Seit 1993 arbeitet der gebürtige Lüneburger als Übersetzer aus dem Englischen und dem Amerikanischen Englisch in die deutsche Sprache. Übersetzt hat er unter anderem Werke von Truman Capote, Jonathan Lethem, Anthony Burgess und Jack Kerouac.

Blumenbach lehrt als Lehrbeauftragter im Studiengang Literarisches Übersetzen an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf und leitet zusammen mit Fritz Senn das Zürcher Übersetzertreffen. Er wohnt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Basel.

Sechs Jahre am gleichen Buch – wird man da nicht wahnsinnig?

Doch. Ich hab «Unendlicher Spass» zwar psychisch nicht zu nah an mich rangelassen. Aber diese Situation, jahrelang an einem Buch zu übersetzen und nicht zu wissen, ob es fertig wird, wie es fertig wird und ob ich die Zeit, die ich zum Übersetzen brauche, überhaupt werde finanzieren können – das ist ziemlich zermürbend.

Übersetzen muss primär aus Leidenschaft geschehen?

Absolut, ja. 

Aber das Buch wurde seinem Namen gerecht?

Auf jeden Fall. Es war ungeheuer befriedigend, weil Wallace einfach ein so präziser, ein hervorragender Autor ist. Da ist jedes Wort, jeder Satz überlegt, es ist eine ästhetische Wonne. 

Sie sagten mal, «Unendlicher Spass» habe Sie verdorben. Wie meinten Sie das?

Seit diesem Buch denken viele, ich wäre ein Snob, der nur noch diese literarischen Mount Everests bezwingen will. Dabei übersetze ich sehr gerne Unterhaltungsliteratur und habe mich nach der Fertigstellung von «Unendlicher Spass» absichtlich bei einem Bestsellerverlag um eine Liebesschmonzette bemüht. Das Problem dabei war, dass ich aus lauter Gewohnheit die Zielgruppe verfehlte und viel zu komplex übersetzte. Zum Glück hatte ich eine wunderbare Lektorin, die radikal durchgegriffen hat.

Ganz viel Rotstift.

Genau. Erst war ich schockiert darüber, schliesslich musste ich mir aber eingestehen, dass ich halt einfach das Deutsch dieses Genres Liebesroman verfehlt hatte. Kam am Ende aber dann trotzdem gut. Und seither habe ich auch immer wieder Unterhaltungsliteratur übersetzt. Diese Verdorbenheit konnte ich also stellenweise wieder rückgängig machen.

In einer Übersetzung sind Bilder und Ideen stets vom Autor, die Sprache aber jene des Übersetzers. Wie viel Autonomie dürfen Sie bei Ihrer Arbeit behalten? 

Es kann ein Problem werden, wenn zu viel vom Übersetzer drinsteckt. Ich lese grad die neu erschienenen Briefe von Harry Rowohlt, und der war so ein Fall: Egal welcher Autor oben reingesteckt wurde, unten kam immer Harry Rowohlt raus. So solls eigentlich nicht sein. Ich muss ein gutes Gehör dafür entwickeln, wie der Autor klingt. Wenn ich einen Truman Capote übersetze, dann darf der nicht wie David Foster Wallace klingen.

Oder wie Blumenbach.

Oder wie Blumenbach. Andererseits bin ich ein Verfechter eines freien Übersetzens. Ich will, dass Texte im Deutschen ankommen. Das kann zu Problemen mit Autoren führen. 

Wieso?

Es gibt Autoren, die bewusst schräg, die bewusst nicht standardsprachlich schreiben. Die bewusst obskur schreiben. Das muss ich nachbilden, das darf ich aber nicht vereinfachen. Dafür muss ich ein Gespür entwickeln: Für wen schreibt der Autor? Wie schreibt er? Wo will er hin? Das muss ich reproduzieren. Ein Beispiel: Ein angelsächsischer Autor versucht, einen russischen Immigranten nachzuahmen. Der noch kein perfektes Amerikanisch spricht, sondern eins, das mit russischen Brocken versetzt ist, dessen Syntax dem russischen Satzbau entspricht – das muss ich nachahmen, versetzt in den deutschsprachigen Raum. Ich muss also herausfinden, wie russische Immigranten in der Schweiz sprechen.

Wie gehen Sie da vor?

Ich versuche, diese Guppe zu finden und finde es vor Ort heraus. 

Und dabei denkt man immer, Übersetzer sei so ein einsamer Job.

Überhaupt nicht, wir müssen ja unter Leute, die das Sprachwissen mitbringen, das wir für die jeweilige Übersetzung brauchen.

Haben Sie Kontakt zu den Autoren, die Sie übersetzen?

Oft ja. Bei David Foster Wallace war das leider nicht der Fall. Es war sehr schwierig, an ihn ranzukommen. Und dann brachte er sich um, ein Jahr bevor die Übersetzung erschien.

Das muss schon seltsam sein: Man ist dem Autor ganz nahe, mehrere Jahre lang – aber kriegt ihn nie zu sehen.

Das ist sehr seltsam, ja. Merkwürdig war auch der Tag, an dem er gestorben ist. Weil ich so lange an dem Buch sass, hatte sich eine Stimme in meinem Hinterkopf gebildet, die mir das Buch vorlas. Mit Wallaces Suizid verschwand die Stimme plötzlich, von einem Tag auf den anderen war sie weg. Das muss ein Ausdruck meiner Trauer gewesen sein. Anders kann ich mir das nicht erklären.

Gefallen Ihnen die Bücher, die Sie übersetzen?

In der Regel. Man legt sich als Übersetzer aber auch eine Art Präventiv-Mögen zu, damit man nicht ungern an den Schreibtisch geht. Es ist mir zum Glück sehr selten passiert, aber wenn ich ein Buch tatsächlich nicht mag, rede ich es mir schön, damit ich mich nicht an den Schreibtisch quälen muss. Und Jahre später merke ich dann vielleicht: Also wenn du ehrlich bist, das Buch hast du gar nicht so gemocht.

Sind Übersetzer gute Autoren?

Es gibt gute, ja. Isabel Bogdan beispielsweise oder Frank Heibert, der deutsche Übersetzer von Don DeLillo. 

Und Sie haben es sich nie überlegt?

Nö. Ich hab keinen Stoff. Beim Bücherschreiben muss beides zusammenkommen: Ein Autor braucht Liebe zur Sprache und eine Geschichte, die er erzählen möchte. Und ich habe zwar die Liebe zur Sprache, aber nichts zu erzählen.

Haben Sie ein Lieblingswort?

Nö, viele (lacht). Eins, was ich immer gerne nenne, ist «Altweibersommer». Dieses Wort evoziert so viel Stimmung und Atmosphäre, da ist so viel drin. Ein anderes ist «multifaktorielles Kausalgefüge». Das muss ich mal bei Niklas Luhmann aufgeschnappt haben, das ist so eine klassische Imponiervokabel. Aber ich mag es, weil es präzis ist, weil es einen hochkomplexen abstrakten Sachverhalt in nur zwei Wörter presst.

Welches Buch würden Sie gerne noch übersetzen?

«Finnegans Wake» – wenn ich Millionär wäre. Das Werk ist Pralinenprosa: Sie können sich nicht davon ernähren, zwischendurch wollen sie wieder eine Scheibe Schwarzbrot. Aber es ist unglaublich reiche und kostbare Prosa. Da kann ich aus dem Vollen meiner Muttersprache schöpfen. Und treffe auf Wörter, die ich noch nie übersetzt habe. Ich freue mich immer wieder, wenn ich sagen kann: Hey, das Wort habe ich noch nie übersetzt. Das ist jedes Mal ein Highlight.

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Die Preisverleihung durch den Regierungsrat findet am Montag, 31. Oktober 2016, um 18.15 Uhr im Rathaus statt.

Der Kulturpreis der Stadt Basel wird seit 1948 durch den Regierungsrat verliehen. Seit 1999 geht er jährlich «an verdienstvolle Basler Künstlerpersönlichkeiten, an eine Künstlergruppe oder Institution, die sich für das kulturelle Leben in Basel engagiert». Eine Fachjury empfiehlt dem Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt eine Preisträgerin respektive einen Preisträger. Der Preis ist mit 20’000 Franken dotiert.
Eine Liste der bisherigen Preisträger finden Sie hier: «Kulturpreisträger seit 1948»

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