Euer Merkwürden, die Coen-Brüder

Nach einem Film der Coen-Brüder ist man meist verwirrt – starkes Kino, aber was soll uns das sagen? In diesem Sinn ist der neue «Inside Llewyn Davis» ein echter Coen. Wir haben 7 Perlen zusammengetragen und danach gesucht, was die seltsamen Machwerke zusammenhält.

(Bild: Ascot Elite)

Nach einem Film der Coen-Brüder ist man meist verwirrt – starkes Kino, aber was soll uns das sagen? In diesem Sinn ist der neue «Inside Llewyn Davis» ein echter Coen. Wir haben 7 Perlen zusammengetragen und danach gesucht, was die seltsamen Machwerke zusammenhält.

1. Inside Llewyn Davis (2013)

Der Film über einen erfolglosen Folkmusiker im New York der 60er Jahre dreht sich im Kreis. Er beginnt und endet mit denselben Szenen, nur im Detail sind sie verschieden: Eine entlaufene Katze, eine Faust ins Gesicht, der Erfolg eines Anderen. Der Ausschnitt aus Llewyn Davis’ Leben fängt scheisse an und hört scheisse auf. Dazwischen: Scheisse. So bleiben sich die Coenbrüder mit ihrer neuen Kreation treu. All ihre Filme verzichten auf Entwicklung. Nie lassen sie auf die Verstrickung einer Figur eine Krise folgen, sodass am Ende ein geläuterter oder gescheiterter Mensch hervorgeht. Die Coens zeigen das Unveränderliche. Man kann sich darüber wundern, dagegen wehren oder es einfach erleiden. Doch was das Leben bestimmt, bleibt felsenfest und unergründlich.

Nicht zum ersten Mal nach einem Coenfilm geht man verwirrt aus dem Kino. Man will doch, bitte sehr, eine Entwicklung sehen! Und doch war es stark. Oder gerade deswegen? Ein Film zum mehrmals kucken. Auch nicht zum ersten Mal.

2. A Serious Man (2009)

Dieser Film besteht aus einer schlichten Aneinanderreihung von Katastrophen. Held ist ein jüdischer Akademiker, welcher der Vater der Coen-Brüder sein könnte. Seine Frau verlässt ihn, deren neuer Lover wirft ihn aus seinem eigenen Haus, Ein Student erpresst ihn, eine Krebsdiagnose lässt nicht auf sich warten. In der letzten Einstellung nähert sich ein Tornado der Stadt und kehrt die Schicksalshaftigkeit dieses verkorksten Lebens ins Absurde. Den Rabbis fällt dazu nichts anderes ein als krächzendes Husten. Sie sind zu alt, um Sinn zu stiften. Hier übrigens einer der gelungensten Trailer, die das Kino je gesehen hat:

3. Burn After Reading (2008)

Auch hier denkt man: Was zum Henker soll dieser Film? Eine Erpressungsgeschichte verläuft sich im nichts, weil es nichts zu erpressen gibt, eine Frau ist ausschliesslich an der Finanzierung ihrer Schönheitsoperation interessiert, irgendwann sind zwei Leute tot und niemand weiss, warum eigentlich. Die CIA beschliesst den Fall einfach zu vergessen. Eine riesig angelegte Handlung verpufft. Der Film bietet die grössten Stars von Hollywood auf, um ein wenig heisse Luft aufsteigen zu lassen. Das ist komischerweise wundervoll.

4. No Country For Old Men (2007)

Der Film hat mit vier Oscars mächtig abgeräumt. An der Verleihung rührte Javier Bardem seine Mutter mit seinen spanischen Dankesworten zu Tränen. Sehr im Kontrast zur Rolle, für die er als bester Hauptdarsteller gewürdigt wurde. Bardem spielt den Killer Anton Chigurh, berüchtigt für seine verheerende Scheitelfrisur und das Bolzenschussgerät, mit dem man normalerweise Rinder tötet. Chigurhs Entscheidungen, zu töten oder zu verschonen, beruhen weder auf Leidenschaft noch auf Logik. Manchmal lässt er die Münze entscheiden, manchmal nicht. In Chigurh drückt sich die unbegründete Gewalt aus, ohne Idee dahinter.

Der Film setzt ihm nichts entgegen. Er lässt die mysteriöse Figur einfach wieder abtreten, ohne Strafe, ohne Deutung. «No Country For Old Men» gibt einen Schlüssel zu vielen Coenfilmen: Gewalt braucht keine Ursache.

5. O Brother, Where Art Thou? (2000)

Der Roadtrip im Texas der 30er Jahre beruft sich im Vorspann auf Homers Odyssee. Ein blinder Seher lässt nicht lange auf sich warten, Sirenen bringen die Helden ab vom Weg. Das Ziel von George Clooney alias Ulysses Everett McGill ist es, seine Frau wiederzufinden und zurückzuerobern, bevor sie einen anderen heiratet. Der Film hat mit «Inside Llewyn Davis» eine traurige Parodie bekommen. Dort entwischt Llewyn der Kater eines Freundes, den er in Obhut hat, und findet quer durch New York den Weg nach Hause. Ulysses heisst er. Wer hingegen nirgends hinfindet ist Llewyn Davis. Zum Erfolg schon gar nicht. In «O Brother Where Art Thou» nehmen Everett und seine Kumpanen im Vorbeigehen eine Schallplatte auf und merken nicht, dass sie als «Soggy Bottom Boys» berühmt werden. So ist das halt. Glück oder Unglück liegt den Helden in der Wiege. Die Coens werden daran nichts ändern.

6. The Big Lebowski (1998)

Jeff Lebowski, besser bekannt als der Dude, steht das Wasser bis zum Hals. Dabei will er doch nur seinen Teppich wiederhaben, auf den ihm Grobiane gepinkelt haben. Alle Versuche, aus der folgenden Verstrickung herauszufinden, gehen schief. Und trotzdem wird alles gut. Weil der Dude bleibt locker. Und so kann sich herausstellen, dass alle Bedrohungen heisse Luft sind. «Es ist gut zu wissen», sagt der Erzähler, «dass es einen wie ihn da draussen gibt.»

Etwas muss hier besonders gewürdigt werden, und zwar der Auftritt des treuen Coenschauspielers Steve Buscemi: Wenn er nicht sowieso schweigt, soll er die Klappe halten, muss aber trotzdem meist im Bild sein. Und der Dank? Ein Herzinfarkt mit misslungener Seebestattung. Und unser Respekt für die beste Schweigerolle.

 

7. Fargo (1996)

«Fargo» hat vielleicht die eindeutigste Zustimmung unter den Coenfilmen bekommen. Doch auch hier spielt die Seltsamkeit die Hauptrolle – gerade in Person von Frances McDormand, die den Oscar als beste Hauptdarstellerin bekam. Sie ermittelt in einem Mordfall, der – einmal mehr – aus abstrusen und überflüssigen Gründen völlig aus dem Ruder läuft. McDormand, übrigens Joel Coens Frau, spielt die Kommissarin Marge Gunderson in einer Mischung aus Intelligenz und einer Naivität, die ans Debile grenzt. Man fragt sich: Spinnen die alle? Meint dieser Film irgendetwas ernst oder betreibt er ausschliesslich Parodie auf die spiessig-liebenswerten Bewohner des amerikanischen Nordwestens? Es bleibt unentscheidbar. Ebenso unentscheidbar ist, wie es zu dieser ausufernden Gewalt kommt. «Alles für ein bisschen Geld» seufzt Marge Gunderson, als einer der Mörder auf der Rückbank ihres Streifenwagens sitzt. Der schweigt. Was Anton Chigurh aus einer Überzeugung tut, die niemand versteht, tut der Mörder in Fargo aus einer Gleichgültigkeit, die ebenfalls niemand versteht.

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«Inside Lewyn Davis» läuft im Kult-Kino Atelier

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