Eveline Hasler verwebt Fiktion mit Dokumentation zur spannenden Theatergeschichte

In «Stürmische Jahre» würdigt Eveline Hasler ein spannendes Stück Schweizer Theatergeschichte: Jenes des Ehepaars Rieser, das in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg am Zürcher Schauspielhaus namhafte Autoren, Regisseure und Schauspieler versammelte – die meisten davon vor den Nazis auf der Flucht.

Da strahlen sie noch: Thomas Mann (r.) und seine Tochter Erika.

In «Stürmische Jahre» würdigt Eveline Hasler ein spannendes Stück Schweizer Theatergeschichte: Jenes des Ehepaars Rieser, das in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg am Zürcher Schauspielhaus namhafte Autoren, Regisseure und Schauspieler versammelte – die meisten davon vor den Nazis auf der Flucht.

Man könnte glauben, die Jahre vor und während des Zweiten Weltkrieges wären in der Literatur bereits derart vielfältig abgehandelt worden, dass es nicht möglich ist, noch ein Schicksal zu finden, das erzählenswert wäre. Doch dieser Glaube wäre trügerisch. Das zeigt zum Beispiel das neue Buch von Eveline Hasler.

Die Schweizer Autorin behandelt in «Stürmische Jahre» die Zeit der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Zürich mit dem Fokus auf die Jahre von 1932 bis zur Mobilmachung im Jahr 1939. Die Schicksale, die sie dabei ins Zentrum stellt, sind jene von drei in Rüschlikon am Zürichsee wohnhaften Familien, «die Manns, die Riesers, die Schwarzenbachs» – so der Untertitel.

Der Groll der Frontisten

Ferdinand Rieser betrieb in den 1930er-Jahren mit der Hilfe seiner Frau Marianne – einer Schwester des tschechischen Schriftstellers Franz Werfel – das Schauspielhaus Zürich, damals Pfauenbühne genannt. Ohne Subventionen, dafür mit viel Courage. Immer wieder liess er Stücke inszenieren, die unter Hitler auf dem Index standen. Auf seiner Lohnliste standen deutsche und österreichische Schauspielerinnen und Regisseure wie Therese Giehse oder der spätere Schauspielhaus-Intendant Leopold Lindtberg – Menschen, die ihrer jüdischen Abstammung oder politischen Gesinnung wegen in ihren Heimatländern mit Verfolgung rechnen mussten.

Da strahlen sie noch: Thomas Mann (r.) und seine Frau Katja.

Thomas Mann (r.), daneben seine Tochter Erika.

Immer wieder zog Rieser deshalb den Groll der Frontisten auf sich – auch jenen seines Nachbarn James Schwarzenbach, der gerne mal eine Petarde auf dem Theaterklo zündete oder im Publikum mit seinen Kameraden für Unmut sorgte (und seine fremdenfeindliche Art bekanntlich nie wirklich ablegte). Ganz im Gegensatz zu seiner Cousine Annemarie, die die faschistischen Tendenzen ihres Cousins und ihrer Mutter nicht nachvollziehen konnte und sich aus der Familie zurückzog.

Die Manns sind die dritte Familie, um die sich das Buch dreht: Thomas Mann, der zusammen mit seiner Frau Katja und den Kindern Erika und Klaus im Nachbarhaus wohnt, und der nicht nur die politische Weltlage, sondern auch die Tätigkeit Riesers am Schauspielhaus mit Argusaugen beobachtet.

Eine Epoche im Wandel

Eveline Hasler vermischt in ihrem Buch gewohnt geschickt Fiktion mit Dokumentation. Wörtliche Zitate sind kursiv gedruckt und verleihen der Erzählung genug authentischen Charakter, um einen guten Eindruck der Stimmung in jener Epoche zu vermitteln.

Am Beispiel des Schauspielhauses zeigt sich, wie diese sich wandelte. Wie Ferdinand Rieser Anfang der 1930er-Jahre das Publikum mit klaren Worten und Stücken aufzurütteln suchte, und wie das ein paar Jahre später nicht mehr nötig war, als alle mitbekommen hatten, was unter Hitler in Deutschland geschah. Es war eine Zeit, in der selbst die Theaterkritiker versagten, aus Angst davor, dem falschen Stück Lob auszusprechen. 19 «verbotene Stücke» waren unter Rieser zur Aufführung gelangt, anfangs noch unter grossem Jubel der Kritiker.

Doch die gesellschaftliche und politische Ordnung zerfiel, im selben Masse auch jene in Riesers Heim. Wie anfänglich verfolgte Regisseure und Schauspieler, die bei Rieser Zuflucht fanden, musste der Theaterbesitzer mit Kriegsbeginn selbst die Schweiz verlassen und Richtung Amerika auswandern.

Von privat zu subventioniert

Der Basler Oskar Wälterlin stand nun an der Spitze des inzwischen subventionierten Theaters und inszenierte auf konventionelle Weise unaufgeregte Stücke wie Shakespeares «Troilus und Cressida». «Der Wille zum Widerstand war erwacht, ein Übergriff Hitlers auf die Schweiz zur realen Bedrohung geworden, die Freiheit erschien als kostbarstes Gut», schreibt Hasler.

Unter Wälterlin litt das Schauspielhaus an Geldproblemen, Sanierungen wurden überfällig. Bald bot sich ein «Kunstfreund» an, ein neues Schauspielhaus zu bauen: Niemand anderes als der Waffenfabrikant Emil Georg Bührle war es, und Hasler stellt die Frage, die sich damals wohl auch viele stellten: «Ein antifaschistisches Theater aus dem Portefeuille eines Kanonenfabrikanten und Kriegsgewinnlers?» Doch wie auch immer, man fackelte lange, zu lange für Bührle, der sich schliesslich dazu entschloss, seine Stiftung dem Kunsthaus Zürich zur Verfügung zu stellen.

Das Schauspielhaus Zürich blieb, wo es war. Und nach dem Krieg kehrte auch Rieser nach Zürich zurück. Allerdings nicht an sein altes Theater: Er stirbt, bevor er wieder Ansprüche darauf erheben kann.

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Eveline Hasler: «Stürmische Jahre», Nagel & Kimche 2015, 224 S.
ISBN 978-3-312-00668-7

Eine kleine Kostprobe gefällig? Bitte sehr.

Marianne zog die Stirne kraus. «Langhoff ist in Düsseldorf vor einer Aufführung verhaftet worden. ‹Sie machen den begabten Menschen in einem Lager kaputt›, hat die Erika Mann gesagt, ‹nur ihr schafft es, ihn herauszuholen!›»
«Eine riskante Aktion», brummte Rieser.
«Nun, engagiere ihn einfach. Richte die Anfrage gleich
an…»
«Hinkel, den deutschen Staatskommissär?»
«Genau. Betone, dass wir Theater und keine Politik machen.»
Riesers Stirn jetzt in Falten.
«Woran denkst du?»
«Nicht an Düsseldorf, sondern an Zürich. Wir sind in einem freien Land, jetzt noch… Doch die schweizerischen Faschisten nehmen sich immer mehr heraus.»
«Dann spielen wir erst recht!»
Da war sie wieder, ihre Entschlossenheit. Er kannte das, wie sie die Brille entschlossen auf den Tisch warf, mit zitternden Fingern eine Zigarette zwischen die Lippen steckte.
Sie war in letzter Zeit schwer zu besänftigen, war aufgekratzt und zugleich übermüdet, vermutlich hatte sie für die Programmauswahl die halbe Nacht lang Stücke gelesen.
Er gab ihr Feuer, angelte sich dann auch eine Zigarette aus der Schachtel. «Ein Privattheater, ohne Unterstützung von Kanton und Stadt…»
«…duldet keinen Maulkorb, nicht?» Nachdenklich blies sie den Rauch in die Luft.

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