Im Theater Roxy gab das Zürcher Kollektiv «Das Morphologische Institut» seine Premiere mit «Geister, Gäste und wilde Tiere». Ein gescheiterter Versuch, Theater und gelebte Tradition zusammenzubringen.
Es kam anders, als man dachte. Das ist Theater, wie es zu überraschen liebt.
Das Publikum sah sich im Roxy in Birsfelden einer Leinwand gegenüber. Kein Vorhang hob sich zum Stück mit dem assoziationsreichen Titel «Geister, Gäste und wilde Tiere»; dafür flimmerte – erst einmal – ein längeres Video von Heta Multanen über die Leinwand. Eine junge Frau blickt in der Nacht auf das flimmernde Lichtermeer der georgischen Hauptstadt Tiflis, besteigt mit düsterem Blick ein Taxi und fährt durch ein Stationendrama in mehreren Kapiteln.
Verkörpert sie einen der Geister aus dem Stücktitel? Vieles im Film bleibt vage raunend, ist manchmal einfach schön und fremd, bizarr anzusehen. Was sich allmählich als roter Faden herausschält: die Frau verfügt über magische Kräfte, fliegt sozusagen im Schnelllauf durch die georgische Seelenbefindlichkeit und hat dabei die Frauenrechte im Fokus.
Frauen haben es in dieser Gesellschaft schwer, Gewalt in Beziehung und Familie scheint an der Tagesordnung. Als die geheimnisvolle Schöne nach einem rohen Liebestanz mit einem jungen Kerl plötzlich erschrocken innehält und Blut aus ihrer Nase läuft, rechnet sie ab. Sie wird zur Rache- und Todesgöttin. Selbst der Tod persönlich kommt ihr in den trostlosen Tiefen einer Metrostation nicht bei und muss, lachende Ironie, um sein Leben bangen. Das Mädchen springt Gevatter Tod im letzten Augenblick von der Schippe, und rauf geht es wieder ans Tageslicht, hin zu Zookäfigen, wo wilde Tiere rastlos ihre Runden drehen.
Am Tisch mit den Theatermachern
Im zweiten Teil werden die Zuschauer vom Dramaturgen hinter die Leinwand und auf die Bühne gebeten. Unter einer Holzkonstruktion mit farbigen Lichtern und hängenden Pflanzen (Ausstattung: Demian Wohler) ist ein dampfendes Festmahl aus der georgischen Küche angerichtet. Kaum hat sich das Publikum auf den Bänken niedergelassen, reicht Salome Schneebeli Wein und Wasser. Später wird es auch noch reichlich georgischen Schnaps geben.
Die Zürcher Choreografin Schneebeli gehört mit der Filmerin Multanen und dem Bühnenbildner Wohler zum Kern des «Morphologischen Instituts», eines Arbeitskollektivs, das zwischen Poesie und surrealistischem Witz Themen aufgleist, die unter den Nägeln brennen.
Während einer subventionierten Residenz in Georgien sind die drei auf das traditionelle Supra-Fest gestossen: Nach festen Regeln und von einem Tischleiter, dem Tamada moderiert, werden an der Festtafel Trinksprüche ausgegeben. An den Tischen im Roxy sitzen zusammen mit dem Publikum auch georgische Gäste, der Übersetzer sowie zwei junge Tanzschaffende. Nic Lloyd, neuseeländischer Performer, der schon 15 Jahre in Zürich lebt, wird zum Tamada erkoren.
Nic Lloyd hält seinen Trinkspruch. (Bild: Ornella Gröbli)
Auf Englisch – denn der georgische Übersetzer kann sonst seinem Job nicht nachkommen – gibt er in der Reihenfolge der Filmüberschriften seine Trinksprüche aus, auf die Frauen, die Liebe, die Familie, die Freundschaft…
Peinlichkeit, Langeweile und schliesslich Ärger
Andere aus der Crew tun es ihm nach und auch die Zuschauer sind frei, ihrerseits das Wort und das Glas zu erheben. Die meisten der Anwesenden, das wird bald klar an diesem Premierenabend, sind Eingeweihte, Freunde und Bekannte. Je länger der Abend dauert, und er dauert lange, desto unangenehmer fühlt sich die Kritikerin. Sie meint auch ein paar andere gequälte Gesichter im Publikum zu erkennen. Peinlichkeit, Langeweile und schliesslich Ärger machen sich breit. Denn der Abend pendelt zwischen lustiger Spontaneität – es soll eine «echte» Supra werden –, klar inszenierten Teilen und kurzen choreografischen Sequenzen hin und her.
Eigentlich eine schöne Idee, die aber unter allzu Persönlichem ins Gegenteil kippt. Reihum bedanken sich die beteiligten Künstlerinnen beieinander, als hätte die Premierenfeier schon begonnen. Alle scheinen mit sich zufrieden. Die Videofilmerin erinnert angeregt an ein gemeinsames Erlebnis auf ihrer Recherchetour in Georgien; der Dramaturg bestätigt und ergänzt. Leider spricht Multanen viel zu leise und undeutlich, und so kann man ihren Ausführungen nur mit Mühe folgen. Ein Trinkspruch auf die Liebe verliert sich dermassen in Gemeinplätzen, dass man sich heiss und innig wünscht, das «Morphologische Institut» hätte sich – Nomen est Omen – die (linguistische) Formenlehre etwas mehr zu Herzen genommen.
Dagegen wirkten die tänzerischen Einlagen von Tako Kekelidze und Levan Gelbakhiani erfrischend, jugendlich kraftvoll und witzig verspielt. Auch hätte man sich mehr im Stil des liebevoll ironischen Videos zum Thema Freundschaft gewünscht. Kurz gesagt: Mehr Form und weniger Geplauder. Die Kritikerin ging schliesslich, ohne einen Trinkspruch ausgegeben zu haben. Und denkt: Vielleicht sitzen sie noch immer an der Supra, tafeln und geben ihre Trinksprüche aus.
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«Geister, Gäste und wilde Tiere», Theater Roxy, Muttenzerstr. 6, Birsfelden, 29., 30. September, 1. Oktober, 20 Uhr