Filmen unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Warum entzieht ein bedeutender Avantgarde-Filmemacher sein Werk der Öffentlichkeit? Dieser Frage geht diese Woche ein Symposium zu Filmemacher Gregory J. Markopoulos im Stadtkino nach.

Gregory J. Markopoulos beim Editieren eines Films, ca. 1965. (Bild: Jerome Hiler, Courtesy Temenos Archive, © Estate of Gregory J. Markopoulos)

Ende letzten Jahres sind die gesammelten Schriften von Gregory J. Markopoulos erschienen. Aus Anlass der Publikation findet im Stadtkino Basel eine Film- und Diskussionsreihe statt, die das Werk und wichtige Weggefährten des Künstlers am 23. und 24. April für zwei Tage nach Basel bringt.

Wie schreiben über einen Künstler, der seine Arbeiten und Texte systematisch der Öffentlichkeit entzogen hat? Und der dabei auch auf keinem Netzwerk Spuren hinterlassen hat – von den zwei, drei Fragmenten seiner Filme in nicht allzu guter Qualität auf Youtube abgesehen.

Einer der wichtigsten Filmemacher der amerikanischen Avantgarde der 1960er-Jahre, Gregory J. Markopoulos (1928–1992), hat genau das getan. Glücklicherweise sind Ende letzten Jahres seine gesammelten Schriften erschienen, was es erlaubt, wenn nicht über seine Filme, so doch über die Ideen hinter seinem Filmschaffen zu berichten.

Markopoulos, 1928 in Toledo/Ohio als Sohn griechischer Auswanderer geboren, besucht Ende der 1940er-Jahre die Meisterklasse Josef von Sternbergs an der University of Southern California, bevor er 1960 nach New York kommt. Dort trifft er auf eine Szene junger Filmemacher, die sich eben zur New American Cinema Group formiert haben.

Markopoulos ist begeistertes Gründungsmitglied der ersten Stunde, zusammen mit den interessantesten Filmemachern seiner Zeit wie Maya Deren, Stan Brakhage, Kenneth Anger oder Robert Breer.

«We don’t want rosy films – we want them the color of blood»

Mit dieser kämpferischen Ansage an den etablierten Hollywoodfilm schliesst das erste Statement der New Yorker Film-Makers’ Coop, die 1962 aus der New American Cinema Group entsteht. Sie treten zusammen für die finanzielle und künstlerische Freiheit ihrer Filmemacher ein.

Die inhaltliche Freiheit zeichnete sich durch einen neuen direkten oder eben «blutigen» Einsatz des Mediums Film aus. Für Gregory J. Markopoulos war der Film das Medium für die Darstellung von Emotionen schlechthin. In seinem kurzen «Statement Concerning Cinema» von 1963 schreibt er: «Ich kann während dem Filmen das Unmögliche versuchen, was für mich das tiefe Vertrauen ist, das ich in Gefühle setze… Es ist die Aufgabe (…) ohne Worte sagen zu können, was ich fühle.»* Das Filmemachen ermöglicht ihm, das Undarstellbare darzustellen: einer sinnstiftenden Wahrheit der Gefühle Ausdruck zu verleihen.

Vom Einzelbild zum Film

Markopoulos arbeitet schon sehr früh mit dem kleinsten Grundelement des Mediums Film: dem einzelnen Bild. Er benutzte für seine Filme eine neue Montageform. Er schnitt ein einziges oder zwei bis drei Bilder hintereinander in Schwarz- oder Klarfilm, so dass sie in der Projektion stroboskopisch, wie Blitze aus dem dunklen oder hellen Grund aufflackerten. Durch das sich in verschiedenen Rhythmen wiederholende Aufblitzen der Einzelbilder erhalten diese eine verstärkte emotionale Qualität. Die linear erzählende Funktion des Films wird so aufgelöst und die Bilder fügen sich zu rhythmischen Bildclustern zusammen, welche eine sinngebende Vervollständigung durch den jeweiligen Betrachter voraussetzen.




Filmstill aus: «Through a Lens Brightly: Mark Turbyfill», USA 1967, 16mm.

Sein partizipatorischer Werkbegriff, die Aktivierung des Betrachters, der mit seiner Geschichte in den Film geht und ihn durch seine Teilnahme vervollständigt, erweist sich auch heute noch als topaktuell. Ebenso wie seine Suche nach künstlerischen Formen, um Emotionen als Erkenntnisträger darstellbar zu machen.

Wie kam es zum Rückzug seiner Filme?

Trotzdem sah sich Markopoulos bereits wenige Jahre nach der Gründung des New American Cinemas mit den gleichen Problemen konfrontiert wie die Filmmaschinerie Hollywoods: einer steigenden Kommerzialisierung von Produktions- und Rezeptionsprozessen. Zu all dem kam eine Akademisierung der Filmkritik, über die Markopoulos alles andere als erfreut war. Er sah in ihr eine Einschüchterung des Zuschauers, da die Kritiker, so Markopoulos, den Kinobesucher bereits mit der Erwartung ins Kino schicken würden, sowieso nichts von dem Gezeigten verstehen zu können, da der Avantgarde-Film schwierig und meist gar unverständlich sei.

Er antwortete schliesslich darauf mit dem vollständigen Entzug seiner Filme und Schriften aus dem System. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit traf er fortan die Vorbereitungen, sein Werk in naher Zukunft so zeigen zu können, wie es seinen Vorstellungen entsprach – ohne Kompromisse.

Ein Aufführungsort, ein Archiv …

1968 distanzierte er sich zunächst räumlich und übersiedelte nach Europa, gemeinsam mit seinem Lebenspartner, dem Filmemacher Robert Beavers. Darauf folgte Anfang der 1970er-Jahre auch der künstlerische Rückzug aus Amerika. Markopoulos verfügte, dass seine Filme weder öffentlich gezeigt noch in Zeitschriften und Filmanthologien publiziert werden dürfen.

Beavers und Markopoulos waren fortan als Reisende in Deutschland, der Schweiz, Italien, Belgien und Griechenland unterwegs. 1980 fand Markopoulos auf einer dieser Reisen in einem idyllischen griechischen Landstrich bei Lyssarea, dem Geburtssort seines Vaters, den idealen Aufführungsort, um seine und Beavers‘ Filme inmitten der Natur einem interessierten Publikum zu zeigen – fernab des Kunstbetriebs. Der Ort ist sein «Temenos», was auf Griechisch so viel bedeutet wie heilige, abgeschiedene Stätte, an der man zur Ruhe kommen und Heilung finden kann.

Gleichzeitig sammelt er seine Korrespondenz, seine Tagebücher und Schriften sowie alle Publikationen über ihn, um sie zu einem Archiv zusammenzuführen. Dieses Archiv, das durch die Bemühungen Robert Beavers‘ 1994 in der Schweiz in Uster/ZH unter dem Namen Temenos gegründet werden konnte, ist seither für die Erhaltung, Erforschung und Verleihung seines Werkes zuständig.

… ein Film

Die einschneidendste Veränderung jedoch fand durch sein Werk an sich statt. Nach der Vorstellung eines Aufführungsortes und eines umfassenden Filmarchivs verfolgte er auch konsequent den Gedanken eines einzigen Werkes: «Eniaios», was frei übersetzt einzig bedeutet. Ende der 1970er-Jahre begann er, sein bisheriges Werk zusammen mit aktuell gedrehtem Material am Schneidetisch komplett neu zu einem einzigen Film zu editieren. Es entstanden bis zu seinem Tod 80 Stunden Filmmaterial, das er zu 22 Zyklen arrangierte, die «Eniaios» (1947–1992) umfasst.

Er selbst sollte sein Lebenswerk nie projiziert sehen, da ihm die Mittel für die Belichtung fehlten. Die Temenos-Stiftung hat es übernommen, die 22 Zyklen zu restaurieren und zeigt sie seit 2004 alle vier Jahre in Lyssarea. Die ersten acht Zyklen wurden bereits aufgeführt. Das nächste Screening findet im Sommer 2016 statt. Hier in Basel kann man jedoch schon am Freitag einen Ausschnitt aus «Eniaios» im Stadtkino sehen, eine wahrlich einzigartige Gelegenheit.

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Tagung 23. und 24. April 2015 im Stadtkino Basel. Publikation: «Film as Film. The Collected Writings of Gregory J. Markopoulos», The Visible Press, London 2014.

*Original in Englisch: «I am able during the filming to attempt the impossible, which for me is the sincere trust which I place in emotions. … It is the task … of saying what I feel is true without words.»

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