Eine grosse Retrospektive gibt in der Fondation Beyeler Einblick in das variantenreiche Schaffen von Jean Dubuffet. Das bunte Spätwerk, das Künstler wie Keith Haring oder Jean-Michel Basquiat inspirierte, ist prominent vertreten – spannender aber ist sein künstlerischer Weg dorthin.
«Dubuffet – ist das der, dessen Bilder aussehen wie die von Basquiat?», fragt der Kollege, bevor ich zur Medienkonferenz in die Fondation Beyeler abrausche. «Ehm, ja, auch. Wobei die zeitliche Achse umzudrehen wär – Dubuffet kam zuerst», antworte ich ihm und denke dabei an die Vermittlungsarbeit von Museen, die bereits bei der Plakatauswahl anfängt, und wie trügerisch diese manchmal sein kann.
Die Fondation Beyeler wirbt für ihre Dubuffet-Retrospektive mit dessem späten Werk «Mêle moments», das in seiner Buntheit in der Tat an Basquiat erinnert:
Jean-Michel Basquiats «La Hara» (1981), im Mai 2010 ebenfalls in der Fondation Beyeler zu sehen. (Bild: Keystone / @Pro Litteris)
Im Museum drin allerdings überwiegen dann anzahlmässig die älteren, in Braun- und Grautönen gehaltenen Werke, die sich aber nicht so plakativ in Szene setzen lassen – und darum will ich Ihnen diese nun schmackhaft machen.
Vom Weinhändler zum Künstler
Jean Dubuffet setzte erst spät auf eine Künstlerkarriere. Mit 41 Jahren gab der Franzose aus Le Havre seine Tätigkeit als Weinhändler auf, um sich nur noch der Kunst zu widmen. 1942 war das, und Dubuffets Entscheid fusste vor allem darin, dass er eine Kunst jenseits kultureller Normen und ästhetischer Konventionen vermisste. Also machte er sich daran, diese selbst zu schaffen.
Nach ersten Werken, die noch von der Formensprache von Kinderzeichnungen beeinflusst waren, wurde die Landschaft zum zentralen Element seiner Werke. Jenseits der Konventionen, versteht sich. «Schau doch, was dir zu Füssen liegt! Eine Spalte im Boden, glitzernder Kiesel, ein Grasbüschel oder zertretene Scherben bieten dir gute Motive, die zu Beifall und Bewunderung animieren», sagte er und sprach damit an, was ihn umtrieb. Nicht die pittoreske Ansicht eines Baumes, sondern die Strukturen der Landschaft, ihre Textur.
Mitte der 1940er-Jahre begann Dubuffet damit, seinen Ölfarben Sand, Lehm oder Kieselsteine beizumischen. Es entstand eine Art von Farbteig, den er in seinen sogenannten «Hautes Pâtes» dick und pastos auf die Leinwand auftrug und wie das Relief einer Landschaft bearbeitete: Er modellierte kleine Hügel und Täler, er schichtete und kratzte und grub, und seine Landschaft im Bild erhielt eine körperliche Komponente.
Eine Landschaft aus dicker Farbe: «La Butte aus visions», 1952. (Bild: Kristopher McKay / ©Solomon Guggenheim Museum / ©Pro Litteris)
Spätestens bei diesen Werken möchte man in der Fondation Beyeler als Betrachter reinfassen, die Täler und Gräben nachfahren, die Strukturen mit den Fingerkuppen erkunden. Man denkt, durch die Berührung noch anderes, über das Visuelle Hinausgehendes erfahren zu können, und bleibt nur widerwillig hinter den schwarzen Streifen zurück, die am Boden den Mindestabstand markieren – gleichzeitig froh darüber, dass so viele dieser Werke nicht hinter einer spiegelnden Glasscheibe verborgen wurden.
Zur Bewahrung der Werke unabdingbar, sind Glasscheiben bei solchen Kunstwerken ein leider notwendiges Übel. Das beste Glas verliert nicht alle spiegelnden Qualitäten, und so muss man sich gezwungenermassen damit abfinden, dass man beispielsweise bei der «Personnage en ailes de papillons» zunächst hauptsächlich sich selber sieht.
«Personnage en ailes de papillons» und das Spiegelbild der Autorin. (Bild: Karen N. Gerig / ©Pro Litteris)
Das kleine Bild steht für eine Werkphase Dubuffets Anfang der 1950er-Jahre, während der er Fundstücke aus der Natur zu Bildern und plastischen Figuren verarbeitete. Schmetterlingsflügel waren es im Fall des erwähnten Bildes, zu einer Figur auf schwarzem Grund gefügt.
Die Landschaft in Form der Natur hatte in jenen Jahren Dubuffets Werke auch materiell erobert, und wunderbar anzusehen sind auch die kleinformatigen Plastiken aus Schwämmen oder Lavagestein.
Weg vom Ganzen zum Einzelteil
Die Assemblage, also das Zusammensetzen eines Bildmotivs aus unterschiedlichen Teilen, löste die Farbpaste in diesen Werken ab, und Dubuffet lotete die neu entdeckte Technik in den Folgejahren aus und veränderte sie. Er zerlegte die Landschaften in ihre Einzelteile – und er begann mit dem Boden. Er bemalte mehrere Leinwände, zerschnitt sie und setzte sie zu einem neuen Bild zusammen, das wie eine Makroaufnahme des Bodens erscheint.
In einem weiteren Schritt nutzte Dubuffet neue Materialien, um in seinen Werken Struktur zu schaffen, um von der Oberfläche des Bodens in die Erde zu gelangen. Gold- und Silberfolie gehörten dazu, und mit ihrer Hilfe schuf der Künstler schliesslich im Jahr 1959 die Seele des Untergrundes ( «L’Ame des sous-sols») – ein Bild, das eine anthrazit-glänzende Textur besitzt wie ein Schieferfels.
Detailaufnahme aus «L’Ame des sous-sols», 1959. (Bild: The Museum of Modern Art / ©Pro Litteris)
Alle diese Werke sind nicht bunt, und das ist gut so. Sie zeigen eine Erdverbundenheit und wirken deshalb weniger künstlich. Sie sprechen unterschiedliche Sinne an und ziehen so den Betrachter als Menschen ins Zentrum.
Den Menschen, den Dubuffet als Figur gerne in seine Landschaften setzte. Den er dabei manchmal genau gleich behandelte wie seine Landschaften: Als etwas, das sich reliefartig aus dem Untergrund schält. Das Falten hat statt Furchen und eine Nase statt einem Baum. Und das unverkennbar Teil der Erde ist.
Der Mensch ist jenes Motiv, das Dubuffet über die Jahre am wenigsten veränderte. Ob in den frühen Werken, in den hier beschriebenen Landschaftsbildern oder in den plakativeren Folgewerken: Er ist immer da, in einfachen Strichen modellhaft wie in einer Kinderzeichnung festgehalten.
Neben dem Landschaftsmotiv ist er die einzige Konstante in einem sich stetig verändernden Œuvre. Auch über ihn könnte man viel erzählen – doch das ist eine andere Geschichte.
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«Jean Dubuffet – Metamorphosen der Landschaft», Fondation Beyeler, 31. Januar bis 8. Mai 2016.