Frauen, ran an die Teller! Die Zukunft des Techno glänzt rosa

Die Partyszene ist in Bewegung, die Nachfrage nach DJs steigt stetig. Wo aber bleiben die Frauen in diesem florierenden Geschäft? Ein Plädoyer für mehr Plattendreherinnen.

In glänzender Stimmung: Die DJanes Herzschwester (links) und Peel bei einem ihrer unzähligen Auftritte auf dem Basler nt/Areal. (Bild: Delia Piccinato)

Die Partyszene ist in Bewegung, die Nachfrage nach DJs steigt stetig. Wo aber bleiben die Frauen in diesem florierenden Geschäft? Ein Plädoyer für mehr Plattendreherinnen.

Während am letzten Samstag in der E-Halle in Basel Tausende Jugendliche gegen das Ende des nt/Areals antanzten, ging wenige Schritte weiter ebenfalls eine Ära zu Ende: leiser, ­unspektakulärer, aber auch familiärer, wärmer.

Zum letzten Mal feierten im Zirkuszelt «Funambolo» rund vierhundert ­Besucher zu den Klängen der DJanes Herzschwester und Peel: zwei Frauen, die Basler Partygängern unzählige nt-Nächte versüssten und für viele damit Herz und Seele des Areals verkörperten. Vermummte und Tränengas suchte man hier vergeblich, stattdessen allenthalben glänzende Augen und mit Glitzer verzierte Gesichter – bis weit nach Sonnenaufgang.

Dabei entstand die DJane-Party­reihe, die zum Selbstläufer mutierte, eher zufällig. Vor ungefähr sieben Jahren trafen an einem Abend im «Erlkönig» mit Herzschwester, Miss Peel und der mittlerweile in Berlin lebenden S-Biene lauter DJanes aufeinander – und ­bezauberten in dieser Kombination Wirtin Jeanny Messerli, die dem Trio eine «Residency» anbot: «Lunatic Electronics» war geboren.

«Es ging um Spass an der Musik und am Zusammenspielen, nicht um das ­eigene Ego», erinnnert sich Isabella Zanger alias Herzschwester, die heute als Teil des renommierten «Gelbes Billett»-Labels zu den beliebtesten DJs im Basler Nachtleben zählt: «Dass wir alles Frauen waren, war gar nicht so entscheidend: Die Chemie hat gestimmt.»

Tarzan und DJane

Das Bewusstsein, als Frau hinter den Plattentellern zu einer kleinen Minderheit zu gehören, sei erst später gewachsen, sagt Tanja Gantner, die beim Basler Modelabel Tarzan arbeitet und ihre ersten DJ-Schritte zu Beginn der Nullerjahre mit dem St. Galler DJane-Duo «Pulp & Peel» machte. «Vom Mixen hatte ich anfangs keine Ahnung. Bei unseren ersten Auftritten hatten wir nicht mal eigene Kopfhörer dabei», erinnert sie sich: «Wir sprangen komplett ins kalte Wasser.»

Benachteiligung wegen ihres Geschlechts habe sie damals nicht erlebt, im Gegenteil. «Alle Jungs fanden es cool und herzig, dass wir es versuchten, und überliessen uns gerne an Afterhours und Privatpartys mal die Turntables.» Erst später, als sie sich richtig in die Partyszene stürzen, die Dinge selbst in die Hand nehmen und «nicht einfach nur nett lächeln» wollte, seien die Reaktionen gemischter aus­gefallen: Nach der Gründung des aufwendigen Frauen-Partylabels «Röcke rocken» sei sie von manchen Männern «in die Emanzenecke» gestellt worden.

Rohdiamanten bei Rubinia

Mithras Leuenberger (48) kennt das Problem: «Viele DJs finden es süss und sexy, wenn Frauen auflegen. Wenn aber eine plötzlich besser ist als sie, wird es für beide Seiten schwierig», ­bilanziert Basels DJane der ersten Stunde aus 30 Jahren Erfahrung. «Im Vergleich zur sonstigen liberal-toleranten Weltanschauung hat die Partyszene ein erstaunlich antiquiertes Geschlechterverständnis.»

Als Reaktion auf den «verschwindend kleinen Frauenanteil im Business» gründete Mithras vor genau einem Jahrzehnt die erste DJ-Schule für Frauen: Rubinia. «Als ich 1982 mit dem Auflegen anfing, war ich sehr schüchtern, aber das Auflegen packte meinen Ehrgeiz, gab mir Selbstvertrauen und die Freude daran, mit dem Publikum zusammen in der Party aufzugehen. Dieses Gefühl wollte ich gemeinsam mit dem nötigen technischen Know-how an Frauen weitergeben.»

Bis heute spürt man den feministischen Geist der Rubinia: Das unter anderem mit dem Chancengleichheitspreis ausgezeichnete Projekt «zur Förderung von Frauen im Musikbiz» gilt als Pionierleistung der Mädchenarbeit – an der Männerdominanz hat sich allerdings noch nichts geändert.

«Rubinia ist ein guter Start. Durchsetzen muss man sich aber allein», so Herzschwesters Fazit, die vor 12 Jahren einen der ersten Rubinia-Kurse besuchte. Ein Jahr lang übte sie täglich für sich, ohne jemandem davon zu erzählen. «Bei meinen ersten Besuchen in Plattenläden schauten alle verblüfft. Sie fragten sich wohl, wie sich das Mädchen hier verirren konnte.»

Auf Herz und Nadeln geprüft

Der Schritt in die Öffentlichkeit habe viel Überwindung gebraucht. «Man schaut Frauen mehr auf die Finger», so ihre Erfahrung. Der «Exoten-Bonus», den Frauen im Männerbusiness genossen, sei Fluch und Segen zugleich. «Man steht rasch im Rampenlicht, hat es aber schwerer, ernst ­genommen zu werden.» Bei Fehlern heisse es schnell: «Die darf nur spielen, weil sie eine Frau ist.» Doch auch das umgekehrte gelte: «Eine Frau, die es drauf hat, die abrocken kann, geniesst grossen Respekt und Anerkennung», betont Zanger.

Dass aber auch beliebte DJanes es selten zu überregionalem Erfolg bringen, hat komplexe Gründe. «Um Gigs zu spielen und neue zu bekommen, muss man jedes Wochenende unterwegs sein», sagt Gantner – dies in ­einem Umfeld aus lauter männlichen Label- und Clubbetreibern.

«Vielen Frauen fehlt hier die Routine und Spielpraxis», meint die Wiener Wahlzürcherin Playlove (30), eine der wenigen Profi-DJanes der Schweiz. «Das führt beim Auflegen rasch zu Unsicherheit. Doch nur wer Souveränität ausstrahlt, hat Aussicht auf regelmässige Bookings – und damit auf eine berufliche Karriere.» Playloves Rat: «Wer nicht genügend gebucht wird, muss selber aktiv werden, mit eigenem Label oder Partyreihe. Dafür braucht es aber Ausdauer. Auch nach Rückschlägen gilt: nicht aufgeben, sondern dranbleiben, einfach weitermachen!»

Die Wiener Wahlzürcherin Playlove: Eine der erfolgreichsten DJanes der Schweiz. (Bild: Alexander Zuber)

Die Wiener Wahlzürcherin Playlove: Eine der erfolgreichsten DJanes der Schweiz. (Bild: Alexander Zuber) (Bild: Alexander Zuber)

Top 100: Eine glatte Null

Während sich DJ-ing und Job während der Ausbildung noch eher unter einen Hut bringen lassen, wird es für Frauen spätestens um die 30 oft schwierig. Dann nämlich, wenn die Familiengründung zum Thema wird: «Nicht jede hat einen Freund, der es cool findet, am Wochenende mit dem Baby zu Hause zu bleiben, weil man auflegt», sagt Zanger, die selber einen Sohn hat: «Ich habe Glück, dass mein Partner auch DJ ist, und daher viel Verständnis hat.»

Besonders in dieser Phase mangelt es laut Leuenberger an Vorbildern – Frauen, die den Durchbruch nachhaltig geschafft haben. «Es gibt viele aktive DJanes, aber sie müssen sichtbarer werden.» Bis heute ein Problem: Die Top-100-Rangliste des ­internationalen «DJ Mags» zählt keine einzige Frau. Die Top 100 des wichtigsten Szeneportals «Resident Advisor» gerade mal 9.

Allien – allein auf weitem Floor

Eine davon ist Ellen Allien, welche am Wochenende im Basler Nordstern gastiert. Die zum internationalen Superstar-DJ gereifte Berlinerin hat sich mit «BPitch Control» seit Ende der 1990er-Jahre ein eigenes Label-Imperium auf­gebaut. «Es gibt in der Zwischenzeit viele Frauen, die erfolgreich sind, aber vielleicht nicht so viele, die eine so ­grosse Plattenfirma rocken», gibt Al­lien zu.

Was ist das Erfolgsrezept der Ikone? «Die Leidenschaft», lautet ihre knappe Antwort. Neugierde, die Liebe zu ­Musik und Teamwork, Durchhaltevermögen und Spass am DJ-Leben hätten ihr ­dabei geholfen, «es so weit zu bringen». Doch nicht umsonst gilt Allien auch als eine der taffsten Frauen im Business: Sie sei eine knallharte Geschäftsfrau, vor der mancher Mann richtig Angst habe, heisst es. Oder in Alliens eigenen ­Worten: «Als Labelmama bin ich nicht bekannt.»

Kommen also bloss «böse Mädchen überall hin», wie die gängige Rede­wendung lautet? Nicht nur. Die Techno-Metropole Berlin etwa verzeichnet zunehmend eine neue Generation von DJanes, die via Blogs, Social Networks oder Plattformen wie Soundcloud auf sich aufmerksam machen. Gerade das, was von Techno-Veteranen und Nostalgikern oft bemängelt wird – nämlich, dass sich die Szene aus ­dunklen Underground-Clubs zunehmend auf sonnige Open-Airs und Festivals verlagert, dass Laptop, Software und Controller die schweren ­Plattenkoffer verdrängen, dass Musikdownloads die alten Platten­läden konkurrieren und damit den ursprünglichen «Techno-Mythos» bedrohen –, kommt vielen Frauen zugute: Die viel beschworene «Demokratisierung des DJ-ing» senkt bisherige Hürden und Hemmschwellen und ermöglicht es DJanes, aus eigener Kraft in die exklusiven DJ-Zirkel aufzusteigen. «Dank Social Media gibt es eine neue Realität, die sich junge DJanes zunehmend selber schaffen», stellt Leuenberger fest. «Ich bin sicher, wir werden bald mehr Frauen hinterm DJ-Pult sehen.»

Mehr Frauen, mehr Glitzer

Herzschwester und Peel sehen der Zukunft jedenfalls gelassen entgegen. Zanger, für die Auflegen «nach wie vor ein Hobby, aber kein Beruf ist», wird vorerst kürzer treten, um die Anwaltsprüfung abzulegen. Gantner hat sich noch nicht entschieden, ob sie in Zukunft «einen seriösen Vollzeitjob» sucht – oder doch auf ihren Vater hört, der ihr riet: «Mach doch endlich einen eigenen Club auf!» Wie es auch immer ausgehe: «Eine Ära geht zu Ende, dafür kommt etwas Neues – ob das nun wir selber sind, die dahinterstecken, oder andere.» Schliesslich hätten mehr Frauen fürs Business eigentlich nur Vorteile. «Je mehr Frauen auflegen, desto mehr Freundinnen kommen, die wieder Frauen mitbringen. Das macht die Stimmung friedlicher, was auch den Männern zugutekommt.»

Diesen Freitag hat Basel immerhin schon die Auswahl zwischen vier Partys mit DJane-Beteiligung: Parallel zur «First Lady» Ellen Allien im Nordstern spielen auch die Lokalmatadorinnen Herzschwester und Peel: erstere im Hinterhof, letztere mit DJane-Kollegin Alice Hänsenberger bei Messerlis «Spiel und Brote»-Zwischennutzung auf dem nt/Areal. Und mit Gloria Bulsara steht auch eine hoffnungsvolle Newcomerin an den Decks des benachbarten «Funambolo».

Alles ganz legal, garantiert unvermummt und frei nach dem Motto des handgefertigten Abschiedsflyers von Herzschwester und Peel – eines mit rosa Glanzpartikeln gefüllten Mini-grips mit dem Slogan: «Mehr Glitzer!»

Das gesamte Interview mit Ellen Allien lesen Sie hier in Originalfassung. Ab heute ist ausserdem Ellen Alliens neues Video zu «Take Me Out» online:



Quellen

Siehe hierzu auch das Interview mit Ellen Allien in Originalfassung.

Artikelgeschichte

  • Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 08.06.12
  • Besucherzahl Funambolo auf Hinweis von Veranstaltern korrigiert (400 statt 200)

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