Vergessen Sie Kandinsky und Co.! Das Beyeler zeigt jetzt auch Roni Horn – und die ist um Welten spannender.
Die Fondation Beyeler ist nicht gerade für mutige Ausstellungen bekannt. Lieber setzt man auf Altbewährtes, das die Massen erreicht und die Museumskassen klingeln lässt. Gauguin, Degas, Hodler – die grossen Namen verfehlen ihre wirtschaftliche Wirkung selten.
So wirds auch im Januar sein, wenn die Fondation zu ihrem 20. Geburtstag mit keinem Geringeren als Claude Monet antanzt. Der Kulturjournalist stöhnt bereits jetzt auf. Wie soll man etwas Neues zu einem Künstler erzählen, über den bereits alles etliche Male erzählt wurde?
Zum Glück kommt vor Januar aber noch eine andere Ausstellung: Die amerikanische Künstlerin Roni Horn war zwei Wochen zu Gast in Basel und hat zusammen mit Theodora Vischer eine Ausstellung auf die Beine gestellt, die wirklich der Rede wert ist und uns wieder hoffen lässt. Auf Kunst, die im Hier und Jetzt verankert ist, ohne Geschichtsbuch auskommt – und ohne Allüren.
Weil das als Argumentation noch ziemlich vage ist, hier fünf Gründe, den blauen Reiter für einmal links liegen zu lassen. Denn eins ist sicher: Kandinsky und Co. werden spätestens in fünf Jahren wieder in irgendeinem Schweizer Museum auftauchen. Und Roni Horn? Eher weniger.
1. Roni Horn lässt tief blicken
Sie ist viele: Roni Horn, einmal klein, einmal gross. (Bild: Hermann Feldhaus)
Bei Roni Horn ist nichts so, wie es scheint, und alles so, wie es scheinen könnte. Klingt kompliziert? Nehmen wir ihre Foto-Arbeiten: Hier sieht man Porträts der Künstlerin in allen Alters- und Lebenslagen, jeweils in Zweiergruppen arrangiert. Sieht auf den ersten Blick aus wie eine Nabelschau ohne roten Faden.
Auf den zweiten Blick aber beginnt man sich zu fragen: Wieso hat sie ihr siebenjähriges lachendes Ich zu ihrem twentysomething-deprimierten Ich gestellt? Wer ist die richtige Roni Horn? Worin unterscheiden sich Wesen und sichtbare Erscheinung?
Womit wir bereits mitten im Horn’schen Universum wären. Die Künstlerin zeigt, was da ist. Und zwar nicht nur, was wir physisch sehen, sondern eben auch, was sich dahinter verbirgt: unsichtbare Mechanismen, Verbindungen und Zuschreibungen. Indem wir uns den Kopf über Sinn und Unsinn dieser Anordnung zerbrechen, hat sie ihr Ziel erreicht: Wir sehen nicht nur Roni Horns Selbstporträts, wir sehen Roni Horns Wesen.
2. Roni Horn macht das Wesentliche sichtbar – im wahrsten Sinne des Wortes
Kann man so was wie Wasser in Worte fassen? Kann man natürlich. Aber kann man auch so was wie das Wesen von Wasser in Worte fassen? Roni Horn hat sich dieser Aufgabe angenommen und die Themse porträtiert.
Sie kombiniert Nahaufnahmen des Flusses mit eigenen Gedanken, die sie nummeriert und als Fussnoten unter die Aufnahmen setzt – während sie die entsprechenden Nummern im Bild verteilt. Im Museum sieht das dann so aus (zugegeben, sehen kann man nicht wirklich viel. Also schleunigst ins Museum!):
Einfach nur Wasser? Ja und Nein. (Bild: © Roni Horn)
Und so hört es sich an – von der Künstlerin persönlich vorgetragen:
3. Roni Horn hat lustige Freunde
Was ist das für 1 Freund, der Roni Horn ein zweigesichtiges Rotkäppchen schenkt? (Bild: © Roni Horn)
Was haben ein Liebesbrief, ein ausgestopfter Schwan, ein versteinertes Dinosaurier-Ei und ein Rotkäppchen mit zwei Gesichtern gemeinsam?
Es sind alles Dinge, die Roni Horn im Laufe ihres Lebens von Freunden geschenkt bekommen hat. Reichlich merkwürdige Dinge, die Horn auch reichlich merkwürdig präsentiert: In ihrer tatsächlichen Grösse, vor ganz weissem Hintergrund abgelichtet. Ein Selbstporträt, das eigentlich keines ist.
4. Roni Horn trickst uns aus
Sieht aus wie Wasser, ist in Wirklichkeit fünf Tonnen gegossenes Glas: Roni Horns «Water Double»-Skulpturen. (Bild: Genevieve Hanson)
Ist das etwa Wasser? Ist es nicht. Etwas viel Tolleres: massives Glas, so sorgfältig gegossen, dass kein einziges Luftbläschen die Oberfläche der Skulpturen trübt. So schön, dass man darin auf der Stelle versinken will. Wäre es denn Wasser. Ist es aber nicht, also muss man sich mit seinem Spiegelbild zufrieden geben und sich vergewissern, dass die Wache nicht hinschaut, wenn man ehrfürchtig über die Oberfläche dieser fantastischen Objekte streichelt.
5. Roni Horn hilft gegen Regen
Was sieht man hier genau? Ist auf dem Foto schwer zu erkennen, aber es ist was ganz Spannendes, versprochen. Ab ins Museum! (Bild: Thomas Müller)
Die Schriftstellerin Siri Hustvedt sagte mal, dass interessante Kunstwerke Zeitaufwand bedeuten. Sehenswerte Kunst braucht Zeit, ein gutes Kunstwerk lässt sich kaum in drei Minuten verstehen. Damit spielt sie Roni Horn in die Hände: Deren riesige Collagen aus zerschnipselten Zeichnungen sind in erster Linie schön anzuschauen – und in zweiter Linie schwer zu begreifen. Genau das Richtige für die nahenden Regen-Novembertage.
Horn sagte mal über Island (wo sie zeitweise lebt und arbeitet): «Big enough to get lost, small enough to find myself.» Gross genug, um verloren zu gehen, klein genug, um sich zu finden.
Was der Roni Horn ihr Island, ist uns die Roni Horn.
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«Roni Horn», 2. Oktober 2016 bis 1. Januar 2017, Fondation Beyeler.