«Für junge Galerien ist der Markt hart»

Heute Abend ist die Vernissage der Liste. Direktor Peter Bläuer ist seit 18 Jahren am Ruder, einen Grund kürzer zu treten, sieht er nicht. Auch am Standort Warteck will er nicht rütteln, sagt der 61-Jährige im Interview.

«Wir waren immer eine Ergänzung zur Art Basel. Wir haben mit unserem Konzept eine Marktlücke gefunden», ist sich Peter Bläuer sicher. (Bild: Basile Bornand)

Peter Bläuer, der Direktor der Liste, die zeitgleich zur Art stattfindet, sieht auch nach 18 Jahren keinen Grund, kürzer zu treten. Auch am Standort Warteck will er nicht rütteln.

Die Bewohner des Warteck in Basel haben wieder einmal ihre Büros und Werkstätten geräumt und Platz gemacht für die Liste. Bereits zum 18. Mal findet hier die Messe für junge Kunst statt, wie immer unter der Leitung von Peter Bläuer. Seit Langem schon hat sich die Kunstmesse als die «kleine Schwester der Art Basel» und damit als zweitwichtigste Kunstmesse vor Ort etabliert. Sie zeigt seit jeher junge Gale­rien, von denen heute nicht wenige den Sprung an die «grosse Messe» schaffen – obwohl der Kunstmarkt immer härter und umstrittener wird.

Seit 18 Jahren leiten Sie die ­Liste, seit der Gründung. ­Standen Sie noch nie am Punkt, an dem Sie sich sagten: Jetzt ist genug.

(lacht) Aber sicher! Das gehört wohl dazu, dass man zwischendurch mal die Nase voll hat und denkt, oh Gott, oh Gott, worin bewege ich mich da eigentlich. Die Kunstwelt hat ja auch ihre schwierigen Seiten. Dann sehe ich aber auch wieder, dass sie etwas ganz Tolles ist, und möchte nicht wechseln.

Peter Bläuer
1996 wurde die «Liste –The Young Art Fair» von jungen Galeristen gegründet. Der Basler Kunsthistoriker Peter Bläuer war mit dabei und leitet die Kunstmesse seit ihrer ­ersten Stunde. ­Daneben ist der 61-Jährige seit 15 Jahren an der ­Schule für ­Gestaltung als Lehrer tätig. 2005 durfte er für sein Engagement den Kulturpreis des Kantons Basel-Stadt entgegennehmen. Die Liste präsentiert dieses Jahr 66 Galerien aus 22 Ländern – ausgewählt aus rund 300 Bewerbungen.

«Liste – The Young Art Fair» findet vom 11. bis 16. Juni 2013 statt. Vernissage: 10. Juni, 17 Uhr. www.liste.ch

Worin besteht denn das Tolle am Kunstgeschäft?

Zuerst natürlich in der Kunst. Ich bin Kunsthistoriker, von daher interessiert und beschäftigt mich Kunst seit jeher. Aber auch die vielen interessanten Menschen, die sich in der Kunstwelt bewegen, bereichern mein Leben. Das Tolle an der Liste ist, dass wir jedes Jahr neue Künstler und neue Galerien vorstellen können. Das ist wahnsinnig spannend. Basel ist einmalig – an der Art Basel oder der Liste ­dabei sein zu können, ist für eine Galerie oder ­einen Künstler eine Riesenchance.

Wie positionieren Sie sich gegenüber der Art Basel – als Gegenmesse?

Das wäre naiv. Wir waren immer eine Ergänzung zur Art. Wir haben mit unserem Konzept eine Markt­lücke gefunden.

Hat die Art Basel die Liste zuerst als Konkurrenz empfunden?

Das müsste man die Art Basel fragen. Die Art-Macher waren am ­Anfang sicher etwas irritiert. Aber dann hat man vermutlich realisiert, dass wir eine wertvolle Ergänzung sind, die auch den Platz Basel belebt – und dass wir mit der Förderung ganz junger Galerien eine wertvolle Aufgabe übernehmen. Heute sind wir befreundet.

Die Liste fungiert für einige ­Galerien als Sprungbrett für die Art. Funktioniert dies gut?

Ja, wir sind für viele das Sprungbrett zur Art Basel geworden. Die Galerien, die wir vorstellen, stehen ja noch ganz am Anfang, und sie müssen beweisen, dass auch sie zu den ganz Wichtigen gehören. Das ist harte Arbeit, das schaffen nicht alle. Je weiter oben man ist, desto härter wird der Konkurrenzkampf.

Als Aussenstehende sieht man vor allem den Glamour, und man hört viel von Geld …

Das Bild der Kunst ist in der Gesellschaft teilweise sehr verzerrt. Daran sind die Medien mitschuldig. Man muss wissen, dass wahrscheinlich 80 Prozent der Künstler nicht von ihrer Kunst leben können. Die hohen Preise für Kunstwerke, von denen man dauernd hört, betreffen einen ganz kleinen Teil der Künstler. Aber darüber berichtet die Presse lieber als über die Künstler, die ein schwieriges Dasein haben.

«Es wäre falsch, Zeiterscheinungen zu igno­rieren.»

Die Liste erscheint oft wie aus ­einem Guss, was den Stil der gezeigten Kunst angeht. Liegt das an Ihrer subjektiv geprägten Art auszuwählen oder an den jeweiligen Trends im Kunstmarkt?

Ich empfinde die Liste nicht wie aus einem Guss. Aber ich weiss, was Sie meinen. Wenn man sich mit junger Kunst beschäftigt, geht es immer auch um Zeitgeist. Und wir wählen Galerien mit ihren Kunstschaffenden aus, die Anteil am Zeitgeist ­haben. Das merkt man dann natürlich. Plötzlich arbeiten zum Beispiel viele mit Wegwerfmaterialien im skulpturalen Bereich, dann sieht tatsächlich vieles sehr ähnlich aus. Das hat manchmal auch mit Schulen oder bedeutenden Vorbildern zu tun. Aber trotzdem gibt es je nach Kon­tinent oder Region grosse ästhetische und inhaltliche Unterschiede.

Der Markt hat sich in den letzten 18 Jahren stark entwickelt. ­Hatte das bei der Liste Konzept­änderungen zur Folge?

Keine grösseren, aber immer wieder kleinere. Zum Beispiel dürfen ab diesem Jahr die Galerien auch Künstler zeigen, die älter sind als 40. Das hat damit zu tun, dass junge ­Galerien vermehrt ältere Kunstschaffende – oft als Wiederent­deckungen – in ihrem Programm haben. Das sind Zeiterscheinungen, und es wäre falsch, diese zu igno­rieren. Trotzdem wird die Liste eine Messe bleiben, die vor allem junge Künstler zeigt und mehrheitlich Künstler vorstellt, die nicht auch an der Art Basel zu sehen sind.

Hatte die Preisentwicklung am Markt einen Einfluss aufs Konzept?

Nein. Aber es geht dem Kunstmarkt sicher nicht mehr so gut wie vor zehn Jahren. Gerade für junge Galerien ist der Markt hart. Man muss sich vorstellen: Galerien aus Italien oder Spanien verkaufen zum Teil in ihrem Land kaum mehr etwas, weil weniger Geld da ist, weil mancherorts eine ganze Gruppe von Sammlern verschwunden ist. Diese Gale­rien sind umso mehr auf Messen angewiesen. Sie müssen deshalb bei uns auch Werke zeigen können, die sie verkaufen können.

«Basel ist zwar eine tolle Museumsstadt, aber es reisen nicht mehr viele Leute ­wegen den Galerien hierher.»

Diese Entwicklung wird auch in Basel zum Problem: Sammler fehlen, Galerien kämpfen ums Überleben, und der Nachwuchs fehlt. Die Liste hat seit ihrer Gründung mit Nicolas Krupp gerade mal eine Basler Galerie im Programm gehabt. Was ist der Grund dafür?

Wer in der Deutschschweiz eine ­Galerie eröffnet, die international mitreden will, tut dies mehrheitlich in Zürich. Weltweit zeichnen sich immer mehr Kunstzentren ab – dort eröffnet man dann auch Gale­rien, weil das ­Publikum dorthin reist. Basel ist zwar eine tolle Museumsstadt, aber es reisen nicht mehr viele Leute wegen den Galerien hierher. Das ist in Zürich anders.

Auch in Basel war das einmal anders. Vermissen Sie das?

Natürlich hätte ich es gerne, wenn Basel eine Galerienstadt wäre. Was wir aber nicht vergessen dürfen, ist, dass wir an dieser Entwicklung mitschuldig sind.

Inwiefern?

Wir jetten dauernd durch die Welt. Ich sah gerade, wer alles zur Art Basel Hongkong reiste. Ein Galerist sagte mir dort, dass viele hie­sige Käufer nie in seine Galerie kommen – aber dann in Hongkong bei ihm Kunst kaufen würden.

Konzentriert sich denn das ­Sammeln von Kunst immer mehr auf die Messen?

Nein, so kann man das nicht sagen. Es gibt noch immer Galeristen, die einen rechten Teil ihrer Verkäufe in ihrer Galerie tätigen. In eine Galerie-Ausstellung wird viel Zeit investiert, sie vermittelt etwas anderes als eine Messe. Darum schätzen wir auch die ­Solo-Shows an der Liste so sehr: Es sind lauter kleine Ausstellungen. Eigentlich aber hat eine Messe eine andere Funktion. Sie soll viel Information in kurzer Zeit vermitteln. Hier sollen sich Menschen treffen, die sich im Markt bewegen und sich austauschen wollen.

«Wir haben scheinbar alle zu ­wenig Zeit. Darum reisen wir an jene Orte, wo gleichzeitig viel passiert.»

Dann ist also das Netzwerken die Hauptmotivation, um an der Art oder an der Liste teil­zunehmen?

Ganz klar. Alle wichtigen Leute des Kunstgeschäfts reisen im Juni nach Basel. Wir haben scheinbar alle zu ­wenig Zeit. Darum reisen wir an jene Orte, wo gleichzeitig viel passiert. Das hat mit dem Zeitgeist zu tun. Und da bin ich nicht frei davon, und Sie wohl auch nicht.

Da haben Sie recht.

Deshalb haben unter anderem die Messen auch diese Bedeutung bekommen. Weil die Leute an Events rennen. Darum gibt es auch so viele Biennalen, und deshalb sind Sonderausstellungen für Museen so wichtig. Das sind Realitäten, mit ­denen wir umgehen und die wir auch nutzen müssen.

«Die Galerien verlangen, dass die Fachleute genug Raum und Zeit haben. Deshalb war auch ich gezwungen, eine Preview einzuführen.»

Eine Zeitlang haben sich die Messen hier in Basel fast ex­plosionsartig vermehrt. Ist das ­positiv oder ein Problem?

Es ist Ausdruck der Zeit. Wir haben in der westlichen Welt von ­allem zu viel – ausser an Arbeitsplätzen. Dort, wo etwas passiert, sammelt sich eine Szene an. Das Profil der Liste hat sich durch die anderen Messen geschärft, sie hat dadurch ihre Position noch verstärken können. Konkurrenz fördert das Geschäft, weil man sich anstrengen muss.

Die Art Basel trägt den Entwicklungen im Kunstmarkt Rechnung, indem sie exklusiver wird, etwa durch neue Preview-Regelungen. Spüren Sie auch Druck in diese Richtung?

In den ersten Jahren gab es bei uns keine Preview. Jeder konnte ohne Einladung an die Eröffnung kommen. Dann wurden es mehr und mehr Leute, und die Sammler und Museumsleute begannen zu reklamieren, man würde nichts mehr sehen. Man muss bedenken, dass jede Messe zuerst fürs Fachpublikum veranstaltet wird. Die Galerien verlangen, dass die Fachleute genug Raum und Zeit haben. Deshalb war auch ich gezwungen, eine Preview einzuführen. Ab 17 Uhr ist dann jeweils die öffentliche Vernissage – dann freuen wir uns über die Basler, die kommen, sich alles anschauen und auf der Strasse ein Bier trinken.

«Es ist ­eine delikate Sache, Sammler in eine erste und zweite Kategorie einzuteilen. Ich hoffe, ich bleibe davon verschont.»

Gab es in Sachen Vernissage noch nie sicherheitstechnische Bedenken?

Die Sicherheit hat oberste Priorität. Ich bekomme auch schon mal Bauchweh, wenn das Haus gestossen voll ist. Vielleicht werde auch ich einmal gezwungen sein, die Vernissage ­gestaffelt zu gestalten. Die Art Basel macht das ja auch, weil so viele ­Interessierte kommen wollen. Es ist ­allerdings eine delikate Sache, Sammler in eine erste und zweite Kategorie einzuteilen. Ich hoffe, ich bleibe davon verschont.

Ist denn die Sammlerschaft international so stark gewachsen?

Sicher, ja. Kunstmessen oder Biennalen haben zur Popularisierung der Kunst beigetragen. Aber natürlich auch die Museen. Diese sind weniger elitär als noch vor 20 Jahren. Es wird viel stärker vermittelt, folglich finden mehr Menschen zur Kunst und beginnen zum Teil auch mit dem Sammeln. Dazu kommt, dass der Markt grösser und offener geworden ist. Vor zehn Jahren reiste niemand aus China oder Indien nach Basel.

Was sind die Gründe für diese Ent­wicklung?

Die Art Basel ist ein gutes Beispiel dafür: Sie geht mit ihren Ablegern in Miami und Hongkong dem Markt entgegen. Wer die Messen dort kennenlernt, der kommt im nächsten Jahr vielleicht auch nach Basel. Abgesehen davon, gibt es immer noch ganz viele Menschen mit ganz viel Geld, die dieses irgendwo investieren müssen. Und da gibt es Dümmeres, als Kunst zu kaufen. Kunst gehörte immer auch zu den Mächtigen und Reichen. Das hat sich nicht verändert. Dazu kommen gesellschaft­liche Zwänge. Als Direktor kann man zu Hause ja nicht Poster an die Wände hängen. Also geht man mal in eine Galerie. Ich kenne mehrere Sammler, die so zur Kunst gekommen sind. Und die dann gemerkt haben, dass Kunst etwas Interessantes ist und dass sie darin etwas finden, was sie in ihrem Beruf vielleicht nicht finden: mehr Freiheit, weniger Zwang, spannende Fragen, eine Öffnung der Sicht, was Welt sein kann.

Hätten Sie es deshalb lieber, dass die Galerien an der Liste gute statt schlicht markt­orientierte Kunst zeigen, wie Sie ­vorhin gesagt haben?

(lacht) Bei uns darf nur Gutes gezeigt werden, und marktorientiert heisst nicht schlecht. Als Galerist glaubt man an seine Künstler. Auch wenn man manchmal im ersten Jahr nichts von ihnen verkauft. Aber weil man an sie glaubt, will man sie vorstellen – vor allem auch den Museumsleuten, von denen sehr viele an die Liste kommen. Diese wollen auch die ersten sein, die die aufstrebenden Künstler in ihren Museen zeigen. Da gibt es einige Beispiele von Künstlern, die noch als Unbekannte an der Liste gezeigt wurden und dann den Durchbruch schafften. Elizabeth Peyton etwa hing hier, natürlich noch billig. Auch Wilhelm Sasnal sagt, er sei hier entdeckt worden. Und auch viele Galerien haben an der Liste angefangen und gehören heute zu den Top Ten – Neugerriemschneider beispielsweise, Perrotin und viele andere.

«Das Warteck als Ausstellungsort hat Charme – auch wenn es hier mal zu kalt, mal zu heiss ist und sich die Leute in den Räumen verirren.»

Seit 18 Jahren ist die Liste im Warteck beheimatet – kein ein­facher Ort: eng, verwinkelt, ­unklimatisiert. Haben Sie nie den Gedanken gehegt, einen leichter bespielbaren Ort zu suchen?

Jeder Gedanke wird einmal gehegt. Ich kenne die Vor- und Nachteile des Warteck. Gerade beim Aufbau, wenn man die Stellwände in dieses Haus bringen muss, würde ich mir manchmal eine Rampe wünschen, über die ein Gabelstapler reinfahren kann. Stattdessen tragen 50 starke Männer diese Wände herum, das ist ja eigentlich Wahnsinn. Aber ich bin dem Warteck treu und ­liebe es. Aus­serdem: Zuerst müsste man einen anderen Raum finden. In einer Stadt wie Basel gibt es ja nicht Fabrikhallen, die über mehrere Jahre hinweg leerstehen.

Könnten Sie sich überhaupt ­vorstellen, eine Messe in einer kahlen Halle auszurichten?

Sicher, es wäre einfach etwas anderes. Das Allerwichtigste ist ja der Inhalt, die Kunst. Das Warteck als Ausstellungsort hat Charme – auch wenn es hier mal zu kalt, mal zu heiss ist und sich die Leute in den Räumen verirren: Das alles ist Teil der Identität der Liste. Der gros­se Teil unserer Besucher liebt das Warteck. Natürlich gibt es Sammler, die mich fragen, wann ich endlich in ein anständiges Gebäude umziehen werde – aber sie kommen trotzdem immer wieder (lacht). Es gibt auch Galerien, die lieber einen klimatisierten Ort hätten mit VIP-Lounge und rotem Teppich, aber da mache ich nicht mit.

Warum nicht?

Weil es mir zuerst um die Kunst geht. Ausserdem bin ich nicht naiv: Das Image von «jung» ist nicht Cüpli und roter Teppich. Wir bewerben un­sere Messe unter anderem mit dem Brand «jung», und dazu gehört auch dieses wunderbare Gebäude.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 07.06.13

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