Er war ein grosszügiger Gastgeber, riesiger Musikliebhaber und schillernder Festivalleiter. Er war aber auch ein Träumer und Dickkopf: Mit Claude Nobs (76) verliert die Schweiz einen einzigartigen Kulturimpresario, der das Montreux Jazz Festival weltweit bekannt machte und wie seine Musikgäste zum Klassiker wurde.
«Man hiess mich einen Spinner, als ich Mitte der 1960er-Jahre erstmals die Idee eines Jazzfestivals in Montreux ausformulierte», pflegte Claude Nobs zu sagen. Der Romand hatte es sich in den Kopf gesetzt, die Musikgrössen, deren Platten er vergötterte, an den Genfersee zu holen. Damit wollte er sich und anderen Musikfans eine Freude und seine Heimatstadt bekannter machen.
Damals war er beim lokalen Verkehrsverein angestellt. Und sah in einem Jazzfestival die Möglichkeit, für seine Stadt zu werben. Was ihm – zum Erstaunen der vielen Skeptiker – rasch gelang. Der Spinner wurde zum Winner, Montreux Jazz eine weltberühmte Marke, deren Wert heute, fast ein halbes Jahrhundert später, auf mehr als 60 Millionen Franken geschätzt wird.
Ein engagierter Feuerlöscher
Dies ist sein Verdienst, sein Lebenswerk. Im Laufe der Jahrzehnte holte Nobs alle grossen Stars der Popmusik, des Blues und Jazz nach Montreux, wo sie zunächst im Casino spielten. Als dieses an einem Konzert von Frank Zappa abbrannte, schrieben die Hardrocker von Deep Purple ein Lied und setzten dem jungen Veranstalter ein Denkmal: «Funky Claude» nannten sie ihn im Songtext von «Smoke On The Water».
Dieser Claude war auf Du und Du mit den Grössen der Welt. Er liebte es, ihnen am Bühnenrand zuzuhören – und sie liebten ihn, weil er ihnen nicht nur eine Gage in die Hand drückte, sondern auch extravagante Wünsche erfüllte. Für Jazzlegende Miles Davis etwa trieb Nobs in den 1980er-Jahren einen Ferrari auf, damit dieser vor seinem Konzert in den Weinbergen rumkurven konnte.
Ein grosszügiger Gastgeber
Was war das Geheimnis seines Erfolges? Nicht nur seine Beharrlichkeit, seine Leidenschaft für die Musik und seine Bewunderung für die Musiker. «Ich wollte immer ein guter Gastgeber sein», sagte er treffend.
Und das gelang ihm vorzüglich. So verwandelte sich sein Chalet in Caux, hoch über dem Lac Léman, während den zwei Festivalwochen im Sommer jeweils zum Treffpunkt der internationalen Jazz- und Rockszene. Hier fanden sich allabendlich Sponsoren und Stars ein.
Mittendrin Nobs, der für das Wohl aller besorgt war. Wenn es die Zeit zuliess, verwöhnte er seine Gäste gleich selber mit seinen Kochkünsten – er, der einst im Basler «Schweizerhof» eine Lehre als bester Jungkoch der Schweiz abschloss, wusste, was einen perfekten Gastgeber ausmachte, war grosszügig und aufmerksam.
Stadionacts wie Prince, Sting oder Jamiroquai kamen nach Montreux und spielten vor 4000 statt wie sonst 14’000 Zuschauern. Und Nobs dankte es ihnen mit Gesten: Jamiroquai-Sänger Jay Kay etwa schenkte er am Ende des Konzerts ein Modellauto, im Wissen um dessen Leidenschaft für Rennautos. Zum internationalen Ruf des Festivals trug auch die durch Nobs’ Engagement perfektionierte Organisation bei.
Ein umtriebiger Manager
Mit Carlos Santana schaute er sich vor dessen Konzerten Videos früherer Auftritte an (die Nobs, ein grosser Sammler, beinahe lückenlos aufgezeichnet und archiviert hatte). Sein Verdienst war es auch, dass sich Stars wie Freddie Mercury selig, David Bowie oder Phil Collins am Lac Léman häuslich niedergelassen und in Montreux Platten aufgenommen hatten. Alle kannten sie Claude, der eine Zeit lang auch für Warner Music im Plattengeschäft tätig war – und der ein Adressbuch besass, um das ihn viele Veranstalter auf der Welt benieden.
So wurde der Waadtländer, der nie akzentfrei Englisch sprach, selber zum Prominenten. Unvergesslich, wie ein Fotograf bei einem Empfang im Chalet von Caux vor Jahren eine ältere Dame zur Seite schob, weil sie ihm im Weg stand und die Sicht auf den grossen Claude Nobs verdeckte. Die Dame war etwas verdutzt, machte aber freundlich Platz und schritt zum reichhaltigen Buffet. Dieses schien Paloma Picasso gut zu schmecken.
Ein grosser Sammler
Dass Nobs auch kunstinteressiert war, manifestierte sich in den Festivalplakaten, die er wie so vieles clever vermarktete. Man traf ihn fast jährlich an der Art Basel an. Und wer ihn in den zwei Chalets besuchte, die er mit seinem Lebenspartner bewohnte, erblickte an den Wänden Pop-Art-Gemälde von Keith Haring oder Roy Lichtenstein.
Man staunte auch angesichts der zigtausend Schallplatten, die Nobs ebenso sammelte wie Modelleisenbahnen oder signierte Musikmemorabilia. Er, der selber nicht wirklich ein Instrument spielen konnte, liess es sich nicht nehmen, Stammgäste wie den Blueskönig B.B. King im Zugabenblock auf der Mundharmonika zu begleiten. Unbeirrt der Tatsache, dass das nicht seine Stärke war.
Ein eigensinniger Dickkopf
Schwächen? Die hatte er auch. Manche unausgegorene Idee führte zu Verlusten. Manche Freiheiten, die er Künstlern gewährte, wurden zu Flops – und manche seiner alten Freunde programmierte er noch, als diese längst den Zenit überschritten hatten.
Rückschläge musste er immer wieder hinnehmen: Sein Traum, dass das Montreux Jazz Festival vermehrt als Veranstalter mit einzelnen Künstlern auf Tournee ging, erfüllte sich nicht. Auf Expansionen folgten immer wieder Restrukturierungen. Und mit seinem Eigensinn und seiner Dickköpfigkeit vergraulte er auch hin und wieder gute Mitarbeiter. Als Chef konnte er bestimmt sein und auch trotzig wie ein Kind.
Zugleich fiel aber auch seine Harmoniesucht auf. «Ich will die Leute glücklich machen», lautete seine einfache Philosophie. Wer dies an seiner Stelle tun wird, nun, da Claude Nobs an den Folgen eines Langlauf-Unfalls gestorben ist?
In den letzten Jahren betonte der Impresario, dass die Nachfolgeregelung stehe. Auch zog er sich, allerdings ungern, in die zweite Reihe zurück, kümmerte sich um Spezialprojekte. «Es wird weiter gehen mit dem Festival», war er überzeugt, wenn man ihn darauf ansprach. «Auch ohne mich. Das zeigt allein schon der Wert des Markennamens Montreux Jazz. Mein persönliches Adressbuch ist sicher weniger wertvoll.»
Sicher ist auch, dass Claude Nobs, dieser Waadtländer, der es als Veranstalter eines Festivals selber zu Weltruhm brachte, sowohl eine grosse Lücke als auch grosse Spuren in der Musikgeschichte hinterlässt.