Candy Dulfer und Trombone Shorty zeigten an der Baloise Session, wie sie ihren Funk des 21. Jahrhunderts aus ganz unterschiedlicher Perspektive auffüllen – mit überzeugendem bis fraglichem Ergebnis.
Ein einziges Fenster für die Nostalgie öffnet Candy Dulfer während ihres Auftritts, wenn auch ein sehr grosses. Sie, die nach eigener Aussage «schon hundertmal« in Basel war, mit Maceo Parker etwa oder mit Van Morrison, aber nie mit eigener Band, erzählt noch einmal die alte Geschichte: die des 17-jährigen Mädchens, das vom Eurythmics-Chef Dave Stewart geholt wurde, um Ende der 1980er den Titelsong zu «Lily Was Here» einzuspielen. Im Dialog mit ihrem «longtime companion» Ulco Bed an der Gitarre zelebriert sie den balladesken Ohrwurm mit der berühmten Viertönefigur als nicht mehr versiegenden melodischen Strom, der in ein grandioses Rocksolo von Bed mündet. Dass die Leute in Basel immer noch nicht müde von ihr seien, das fände sie toll. Auch wenn sie ja jetzt schon zehn Jahre älter sei, fügt sie kokett hinzu.
Perfekt modellierte Phrasen
Tatsächlich hat sich rein äusserlich wenig verändert bei Candy Dulfer. Die heute 46-jährige Holländerin, die in weissen Stricktextilien und Stiefeletten auftritt, hat immer noch die gleiche Haarfarbe wie ihr Altsaxophon, und sie zaubert immer noch diese wendigen, perfekt modellierten Phrasen, stets nah am Grundrhythmus, selten überblasen und natürlich nie mit irgendwelchen Free-Anwandlungen. Merklich verändert hat sich allerdings der Kontext. Dulfer, die vom Vater Hans, selbst ein renommierter Saxer, in die musikalische Welt eingeführt wurde, hat nie die reine Lehre vertreten, immer schon «funky music» statt Funk gespielt. Doch 2015 – wie ihre Show mit Ausschnitten aus dem aktuellen Album «Crazy» und einem noch unveröffentlichten Werk zeigt – ist ihr Repertoire bei einem teilweise beliebigen Gutelaune-R&B angekommen.
Da ragt «D.I.S.C.O.» als Hommage an die späten Tage der Glitzerkugelära noch heraus, mit knalligem Viervierteltakt, Wah-Wah-Gitarre und Falsettgesang vom Sideman und Anheizer Ricardo Burgust, der Dulfers Sax oft in höherer Lage doppelt. Oder «What U Do», ihre Hommage an die Vielfalt der Musik: Unterlegt mit einem Afrorhythmus wandert sie hier mit einem Solo ausgiebig durch die Reihen der Tanzenden. Ansonsten gleicht die durchaus sympathische, aber glattpolierte Show ein wenig einer Entertainment-Maschinerie. Das rutscht auch schon mal in Richtung Stadionpop ab («Hey Now») oder ins Reich der billigen Keyboardmelodien («Crazy»). Bezeichnend, dass am Ende eine Battle zwischen Drummer Nicky Loman und DJ Dillon Lewis als Boxkampf überhöht wird und die pausenlosen «Make some noise»- und «Put your hands in the air»-Befehle von Burgust sich endgültig abnutzen.
Monströse Hornisse
Andere Naturgewalten rollen auf das Publikum zu, als Troy Andrews alias Trombone Shorty mit Sextett seine Show eröffnet. Posaunist Andrews ist die Galionsfigur einer Generation junger Musiker aus New Orleans, die sich aus dem Post-Katrina-Elend eine neue musikalische Zukunft aufgebaut haben. Das unüberhörbare Signal: Die Crescent City lebt, und sie verbindet ihre Wurzeln mit dem 21. Jahrhundert. Der Schrammelgroove von Pete Muranos Gitarre und Joey Peebles peitschende Drums heizen einen fantastischen Bläsersatz an. Tenor- und Baritonsax (BK Jackson und Dan Oestreicher) pflügen wie ein dampfendes Schiff mit Hochdruck im Kessel durch den Saal, durchfurchen die Eingeweide, und Andrews Posaune, mit kurzem Zug und immer wieder in hohe Lagen ausbrechend, fliegt den Zuhörern wie eine monströse Hornisse um die Ohren.
Hier wird Funk noch wörtlich genommen: In «Mrs. Orleans» erinnert man sich an die zündenden Rhythmen von The Meters, «Vieux Carre» beschwört die ganz frühen Kool & The Gang herauf, und in «Craziest Things» zitiert Andrews, der auch mit einer kernigen Soulstimme gesegnet ist, James Browns «Sex Machine». Da mutiert der schlaksige Kerl zu «Trumpet Shorty», und er offenbart auf seinem Zweitinstrument mit swingenden Spitzentönen, was er vom grossen Vorbild Louis Armstrong gelernt hat. Und plötzlich stehen die Bläser alleine da in diesem Gewitter, verzahnen sich, gemahnen mit einer archaischen Melodie kurz an die Blaskapellen, die von jeher sowohl zum Karneval als auch zu Beerdigungen aufspielen.
Die Zugposaune im Anschlag: Trombone Shorty. (Bild: Dominik Plüss)
Der heimliche Star des Abends ist Bassist Mike Ballard: Zumindest choreografisch begreift er sich als Teil der Horn Section, ist nie Ruhepol, montiert Powerchords, Slap- und WahWah-Effekte in aberwitzigen Soloeinlagen zusammen. Dass Shorty und seine Mannen stilistisch auch mal fern der Heimat agieren können, zeigen sie, als Gitarrist Murano auf der Elektrischen ins Flamenco-Fach eintaucht und im Anschluss eine Art Latinsoul über die Bühne fliegt. Einziger Abstrich: Bei so viel Bandenergie hätte es am Schlagzeug vielleicht einer etwas ordnenderen Kraft bedurft. Drummer Peebles trommelt durchgängig mit viel Beckeneinsatz und kaum dosierter Dynamik. Es ist freilich der albernste Vergleich, den man hier machen kann, aber trotzdem biss er sich irgendwann fest – der mit Animal aus der Muppetshow.