Ganz gratis gehts nicht

Im August bieten mit Kulturfloss, «Stadtmusik» und «Viva con Agua» gleich drei Festivals kostenlose Freiluftkonzerte fürs Basler Publikum. Wie kann das funktionieren?

Vorbei sind die guten alten Zeiten, als das Publikum ohne zu Murren am Kassahäuschen beim Eingang die Billette bezahlte. (Bild: Keystone)

Im August bieten mit Kulturfloss, «Stadtmusik» und «Viva con Agua» gleich drei Festivals kostenlose Freiluftkonzerte fürs Basler Publikum. Wie kann das funktionieren?

Heute kann sich kaum einer mehr vorstellen, wie radikal Tino Krattigers Kulturfloss den Baslern bei seiner Premiere im Sommer 2000 vorkam. Ein zweiwöchiges Festival auf einem Floss, mitten in der Stadt, mit lauter bekannten Bands, alles gratis? Nochmals ein neues Level der Verblüffung erreichten die «Stadtmusik»-Macher 2010 mit der Ankündigung ihres ersten, einmona­tigen Radio- und Musikfestivals: Das könne nicht gut gehen, mutmassten damals viele Basler Kulturinteressierte. Und wie das im gleichen Jahr erstmals auf dem Kasernenareal durch­geführte «Viva con Agua»-Festival, eigentlich ein Benefizanlass, möglich ist, erschloss sich ebenfalls nur wenigen auf Anhieb.

Im nächsten Monat sind alle drei Open Airs wieder am Start – und haben damit bewiesen, dass der Verzicht auf Eintritt keineswegs direkt in den Konkurs münden muss. Doch wer nun sorglos glaubt, dass «Gratiskultur» blendend funktioniert und er bald für keinerlei Festivals mehr Eintrittsgeld berappen muss, begeht laut den Festivalmachern einen immer häufiger anzutreffenden, folgenschweren Denkfehler.

«Gratiskultur ist eigentlich ein falscher, weil polemischer Begriff», betont «Im Fluss»-Leiter Tino Krattiger. Die Idee hinter dem Kulturfloss sei vielmehr, der ganzen Bevölkerung den Besuch zu ermöglich – mit einer freiwilligen Spende, über deren Höhe jeder nach seinen Möglichkeiten entscheide. Tendenziell springen dabei laut Krat­tiger ältere Gäste mit höherem oder zumindest sicherem Einkommen für jüngere Besucher ein, die aufgrund von Studium oder Ausbildung knapp bei Kasse sind.

Dennoch: Die Spenden decken nur ungefähr zehn Prozent des «Im Fluss»-Budgets. Den Rest übernehmen Sponsoren, Lotteriefonds und natürlich die Gastronomie-Umsätze. Jahr für Jahr eine Gleichung mit vielen Unbekannten also. «Dass wir unsere Matrosen mit den Spendennetzen losschicken, hat für uns ein zentrales Ziel: den Dialog», erklärt Krattiger. In vielen Gesprächen könnten die Sammler jeweils direkt auf Feedbacks reagieren – gerade wenn es um die Sensibilisierung gegenüber den Kosten gehe.

Stärker sensibilisieren wollen dieses Jahr auch die «Stadtmusik»-Macher. Bei der ersten Ausgabe hätten sich viele Leute kaum getraut, die Schwelle zum Kunstmuseum zu überschreiten, «weil sie sich nicht vorstellen konnten, dass man da einen Abend verbringen kann, ohne etwas bezahlen zu müssen», sagt Co-Leiterin Katja Reichenstein. Als das Festival letztes Jahr dann einen zweifränkigen Getränkezuschlag erhob, um die Kosten zu decken, kippte bei einigen die Stimmung: «Man hat uns sogar als Abzocker beschimpft. Ein völlig absurder Vorwurf für ein Festival, das keinen Eintritt erhebt. Das hat uns schon betroffen gemacht.»

Trotzdem: Eintritt zu erheben, kommt für die «Stadtmusik»-Leiter auch künftig nicht in Frage. «Der Platz gehört allen, das muss so bleiben.» Aufgrund sinkender Lotteriefonds­zuschüsse, die durch neue ­Sponsoren nicht aufgewogen würden, existiert aber Handlungsbedarf: «Das Budget ist sehr knapp, wir sind auf gutes Wetter und hohe Getränkeverkäufe angewiesen», sagt Reichenstein. Dennoch wurde der Getränkezuschlag gestrichen. Warum? «Die meisten Besucher haben nicht verstanden, wie ein Bier fast zehn Franken kosten kann, obwohl Zuschlag und Depot inklusive waren.»

Bändel für exklusiven Eintritt

Nun hat sich das Team vorgenommen, klarer zu kommunizieren, dass das Festival auf freiwilligen finanziellen Support angewiesen ist.

Der bereits im letzten Jahr erhältliche «Concessum Bändel» kostet neu 40 Franken, ermöglicht aber exklusiven Zutritt zu den Aftershow-Partys, wo weltbekannte DJs wie Todd Terje und Dean Blunt auflegen. Ziel ist, dass das Tragen des Supporter-Bändels für Stammgäste zum Normalfall wird – und die anderen Besucher «zumindest angeregt werden, ihre Erwartungshaltung gegenüber dem Konsum von Gratiskultur zu reflektieren».

Da schliesst sich die TagesWoche gerne an: Was meinen Sie, ist der Trend zur «Gratiskultur» wünschenswert? Und wenn ja: Wer soll das am Ende bezahlen?

In unserer Wochen­debatte zur Frage «Ist Gratiskultur ein Modell mit Zukunft?» diskutieren Cedric Meury (Piratenpartei) und Sebastian Kölliker (Kultur­stadt Jetzt). Stimmen Sie ab und diskutieren Sie mit!

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 27.07.12

Nächster Artikel