Mit einem Streichquartettabend wurden im Gare du Nord die 19. Martinů Festtage eröffnet. Das älteste Klassik-Festival Basels huldigt einem noch immer unterschätzten Komponisten.
Die Zahl der Klassik-Festivals, die Jahr für Jahr in Metropolen, Kleinstädten und Bergregionen stattfinden, ist kaum mehr zu überblicken. Doch nur wenige davon widmen sich ausschliesslich einem einzigen Komponisten. Veranstalter wagen solch monothematische Programme meist nur mit anerkannten Grössen wie Georg Friedrich Händel, Wolfgang Amadeus Mozart oder Richard Wagner.
In Basel ist das anders: Hier wird die programmatische Verdichtung und der Event-Charakter eines Festivals genutzt, um einen bis anhin wenig beachteten Komponisten ins Rampenlicht zu stellen: Bohuslav Martinů. Der Tscheche wirkte als Geiger und Komponist in Paris und den USA, bevor er seinen Lebensabend in der Region Basel verbrachte. 1959 starb er in Liestal.
Vielseitig – und kaum bekannt
Martinů war ein Vielschreiber, einer, dem das Komponieren leicht fiel. Über 400 Werke umfasst sein Œuvre, und dass man heute so wenig von ihm weiss, liegt vielleicht auch darin begründet: Seine Musik ist so vielseitig, dass sie in keine Schublade passt. In etlichen Instrumentalkonzerten, 16 Opern, 7 Streichquartetten und 6 Sinfonien entwickelte sich ein Stil, der sich zu seinen Wurzeln in der tänzerischen, vitalen tschechischen Volksmusik bekennt, sich voller Lust dem spätromantischen Klangrausch eines Claude Debussys hingibt, und mit frechen Kontrasten in atonale Sphären hineinschnuppert. Dass er kein Avantgardist war, keiner, der mit der Tradition brach und etwas gänzlich Neues wagte, stand der Rezeption seiner Werke oft im Wege.
Darum bedarf es zusätzlicher Förderungsarbeit, meint zumindest Robert Kolinsky, künstlerischer Leiter der Martinů Festtage. Seine Mission ist es, internationale Künstler von der Musik Martinůs zu begeistern. Einmal in Basel engagiert, sollen sie Martinů in ihr Repertoire aufnehmen und weit hinaus in die Welt tragen. Martin Stadtfeld, Hélène Grimaud, Frank Peter Zimmermann und Vladimir Ashkenazy hat er schon erfolgreich mit dem Martinů-Virus infiziert.
An der Nase herumgeführt
Welchen Reiz die Musik Martinůs ausübt, zeigte sich auch bei der Eröffnung der 19. Martinů Festtage im Gare du Nord. Martinůs erstes Streichquartett stand auf dem Programm, ein Frühwerk voll überbordender Energie, überreich an musikalischen Ideen, formsprengend in jeder Hinsicht. Nach drei Sätzen mit rauschenden Melodien komponierte Martinů einen gross angelegten Schlussakkord; prompt setzte der Applaus ein. Doch es folgte ein weiterer Satz; manche Hörer im voll besetzten Grossen Saal der Gare du Nord fühlten sich an der Nase herumgeführt. Es schien sich zu bestätigen, was Martinů einmal als sein Credo ausgewiesen haben soll: im «Kunstwerk dem Hörer etwas über das Wesen seiner eigenen Weltanschauung» mitzuteilen.
Dennoch – oder gerade deshalb: tosender Applaus für die Interpreten, das ungemein warm und homogen aufspielende tschechische Martinů Quartett, die dem spätromantisch-impressionistischen Frühwerk als Zugabe einen Satz aus Martinůs letztem Streichquartett gegenüberstellten – dessen Klarheit und Stringenz in den musikalischen Gedanken verblüffte.
Grosse Pläne
«Es gibt so viel zu entdecken!», sagt denn auch Robert Kolinsky immer wieder, wenn er nach seiner Motivation für Martinů gefragt wird. Seit 1995 leitet der Schweizer mit tschechischen Wurzeln die Martinů Festtage in Basel; sorgt für die kleine, aber aussergewöhnlich vielseitige Programmgestaltung. Möglich ist dies, weil Martinůs Œuvre so umfangreich ist, dass sich für nahezu jede Programmidee das passende Stück findet. In diesem Jahr gibt Star-Pianist Enrico Pieranunzi einen Jazz-Abend, eine Live-Performance in der Bartha Garage lotet die Grenzen von audiovisueller Kunst aus, tanzende und musizierende Kinder präsentieren im Familienkonzert im Tinguely Museum Martinůs «Küchenrevue», und beim abschliessenden Orchesterkonzert mit Martinůs Oboenkonzert sind Christopher Hogwood, die Camerata Salburg und Françoise Leleux zu erleben.
Ein kleines Festival also, zumindest derzeit. Denn 2015 jährt sich Martinůs Geburtstag zum 125. Mal. Dann hat Robert Kolinsky Grosses vor: Er will Martinůs Opern in die Spielpläne der Schweizer Theater integrieren. Zusagen von Zürich, Luzern und Genf hat er schon. Und auch das Eröffnungskonzert steht bereits fest: Die Wiener Philharmoniker werden spielen, die Begrüssung spricht US Aussenministerin a.D. Madeleine K. Albright. Auch sie konnte Kolinsky für die Musik Martinůs begeistern: Seit einem Jahr ist Albright Ehrenpatronatin der Martinůs Festtage.
Martinůs Festtage laufen bis am 23.11.2013