Geissen, Wölfe – und natürlich eine grosse Glocke: Der Schellen-Ursli ist da

Seine Geschichte ist kurz, sein Weg bis ins Kino dauerte dafür lang: Fast 70 Jahre brauchte es, bis der Schellen-Ursli auf die grosse Leinwand kam. Jetzt ist er da, und wie!

Natürlich hat der Schellen-Ursli auch im Film am Schluss die grösste Glocke.

(Bild: ©Frenetic Films)

Seine Geschichte ist kurz, sein Weg bis ins Kino dauerte dafür lang: Fast 70 Jahre brauchte es, bis der Schellen-Ursli auf die grosse Leinwand kam. Jetzt ist er da, und wie!

Als ich ein Kind war, da lief ein Kassettli in meinem Recorder ohne Ende. Jenes mit der Geschichte vom Schellen-Ursli, die Dialektfassung. Ich hörte zu, wie der Grossvater seinem Enkel vom Engadiner Bub mit der Glocke erzählte, und sang mit beim Lied: «Dü da do, Postauto, goht ufs Reisli, zu dene Geissli…» Meine Mutter konnte es nicht mehr hören, wette ich. Und auch das Buch musste sie wohl ein, zwei Mal zu oft vorlesen.

Hätte es damals einen richtigen «Schellen-Ursli»-Film gegeben und nicht nur einen Bündner Werbefilm, dann hätte ich mich sicher auch darauf gestürzt. Gab es aber nicht. Und gab es bis jetzt nicht. Denn obwohl Selina Chönz die Geschichte vom Ursli schon im Jahr 1945 in Worte gefasst und Alois Carigiet dazu gezeichnet hatte, brauchte es fast 70 Jahre, bis eine Verfilmung den Weg ins Kino fand. Was doch ein wenig erstaunt, wenn wir vergleichen, wie viele Verfilmungen für Kino oder TV es von dem anderen Bündner Kind namens Heidi weltweit gibt.

Doch der Schellen-Ursli? – Nun, seine Geschichte ist halt schnell erzählt. Der Bub hätte gern eine grosse Glocke am Chalandamarz, um den Winter auszuläuten. Und weil die grösste Glocke oben auf dem Maiensäss hängt, klettert er durch den tiefen Schnee den Berg hinauf, um sie zu holen. Es ist ein kurzes Abenteuer, bis er zum Happy-End wieder unten im Dorf ist.

Die Kürze des Plots war scheinbar auch Xavier Koller ein Dorn im Auge, der sich nun als erster an die Verfilmung des Stoffes wagte. Die ursprüngliche Geschichte nämlich nimmt in seinem Film gerade mal die letzten zwanzig von insgesamt 100 Minuten ein. Und davor?




Im Film hat der Schellen-Ursli eine Freundin. Seraina heisst sie. (Bild: ©Frenetic Films)

Nun, vorher muss der Uorsin, wie der Engadiner Bub hier unverkleinert heisst, noch ein paar andere Abenteuer bestehen. Entsprechend wurde auch das Personal erweitert. Da ist zum einen Seraina, die Freundin von Uorsin, mit der er den Sommer auf der Alp verbringt, und die ihm auch künftig zünftig beisteht. Hat was von Heidi und dem Geissenpeter, wenn wir ehrlich sind. Weil, Geissen hüten, das kann der Uorsin scheinbar auch, am liebsten die Zilla, das herzige weisse Zicklein.

Beim Alpabstieg dann nimmt das Unheil seinen Lauf. Der hochbeladene Wagen der Eltern kippt ins Tobel – Ernte und Käse, für die man den ganzen Sommer geschuftet hatte, sind verloren. Und natürlich fehlt in der Folge auch das Geld, das aus deren Verkauf hätte gewonnen werden können.

Beides weiss der Dorfkrämer Armon zu seinen Gunsten zu nutzen: Er findet den Käse, verrät aber nichts und verkauft ihn munter. Sein Sohn Ramon, hinterlistig wie der Papi, macht dafür dem Uorsin das Leben schwer. Am Ende ist es auch seine Schuld, dass Uorsin nur die kleine Schellenkette bekommt, und nicht die grösste Glocke, wie das eigentlich vorgesehen gewesen wäre.

Was Xavier Koller und sein Team aus dem Stoff gemacht haben, funktioniert; es ist ein schöner Film geworden. Einer, den Kinder lieben werden und hoffentlich auch Erwachsene. Vielleicht wird manch ein Purist darüber mötzeln, dass da so viel drumherum passiert. Aber das hier ist ein Film, und der darf Freiheiten haben.

Wenigstens wurde darauf verzichtet, den Klassiker in die Jetztzeit zu übersetzen, wie das Filmemacher manchmal so gerne machen, weils dann scheints peppiger wird. Nein, er habe, sagt Regisseur Koller, den «Schellen-Ursli» extra in einer «nicht präzis festgelegten Vergangenheit» angelegt, so wie das die Buchautoren auch getan hatten. Nun, so ganz zeitlos ist der Film dann doch nicht – man kann sagen, dass es noch keine Autos gab, dafür richtige Feldstecher, dass die NZZ schon per Post ins Bündner Dorf geliefert wurde, und dass noch Wölfe durchs Bündnerland streiften. Das ist doch schon mal was.

Und dann gibt es da noch ein wirklich grosses Plus: Im «Schellen-Ursli» wird durchs Band bündnerdeutsch geredet, gespickt mit rätoromanischen Ausdrücken, die über «Allegra» und «Chalandamarz» hinausgehen. Damit liegt der Uorsin auch gleich im Rennen gegen Heidi vorn. Denn auch dieses kehrt noch diesen Winter zurück auf die grosse Leinwand. Allerdings von Walt Disney verfilmt – und wohl deshalb auf Hochdeutsch und das nicht nur in den Frankfurter Szenen. Ist doch schade. Da helfen dann auch die herzigen Geissen nicht.

_
«Schellen-Ursli» läuft ab dem 15. Oktober in den Kinos.

Nächster Artikel