Diese Welt kennt kein Erbarmen! Mit «Single des Tages» entwirft Matterhorn Produktionen ein aufwühlendes Horrorszenario zweier junger Frauen, die an ihren unerfüllten Träumen zugrunde gehen.
«Arsch- sonen hueren Arsch – sone verdammt hueren Arsch – sones Arschloch – hesch en ghört? – ‚ener keini‘ – sonen grusige Siech – ’nöd min Gschmack‘ – sones grusigs verdammts hueren Arschloch – wenn i so grusig wär wie dä, würi i mi umbringe!» Das liegt für Maus und Mäuschen nun gar nicht drin, ein Mann, der ihnen die kalte Schulter zeigt, nichts von ihnen wissen möchte, sie gar als Nutten bezeichnet. Die beiden jungen Frauen Mitte zwanzig sind sich nicht gewohnt, dass Männer ihren Reizen nicht erliegen. Klar, dass jemand, der unberührt bleibt, ein «Arschloch» ist.
Oh ja. Sie ist deftig, die Sprache, die Autor Guy Krneta im Stück «Single des Tages» der Jugend der Generation «20 Minuten» oder «Blick am Abend» (dessen gleichnamige Partnersuch-Rubrik dem Abend als Titel diente) in den Mund legt. Und sie ist sicher auch etwas übersteigert. Doch wer im Lumpensammler-Zug, an Bahnhöfen oder im Fast Food-Restaurant die Ohren aufmacht, weiss, dass diese Sprache nicht den wüsten Fantasien des Autors entsprungen ist, sondern dass er viel mehr genau hingehört und beunruhigend genau aufgezeichnet hat. «Arsch» und «Arschloch» ist der allgegenwärtige Ausdruck für die abgestumpften Gefühle von Menschen im Bannkreis der Extremen aus den allgegenwärtigen Scheinwelten von Glanz und Gloria, Doku-Soap und Pornografie.
Horrorstory
So geht es Elvira, die sich aber selbst nur als Mäuschen ansprechen lässt (Newa Grawit). Zusammen mit ihrer besten Freundin Eva – genannt: Maus (Pema Shitsetsang) – ist sie der letzte Gast am Leichenmahl für den 84-jährigen Walter, der in einer Urne auf dem kranzgeschmückten Tisch aufbewart ist. Aber was heisst hier Gast. Sie, erst 27-jährig, ist die Witwe. Hatte Walter – «Kehlkopfkräbs im Ändschtadion» – vor zweieinhalb Jahren geheiratet. «Ändschtadion hätt’s gheisse – zweiehalb Jahr vo mim bluetjunge Läbe!», ereifert sie sich. Doch jetzt ist es vollbracht. Walter ist kremiert, die Zehnzimmer-Villa gehört ihr – vermeintlich.
Es ist eine etwas abstruse Geschichte, in die Krneta die beiden jungen Frauen setzt. Vom Leichenmahl steigert sie sich weiter zur fürchterlichen Horrorstory, die gespiesen wird von den Schagzeilen der Gratisblätter, die die jungen Leute mit ihren schaurigen Geschichten unterhalten. Da ist die Rede vom Pornostreifen, in dem Frauen während des Geschlechtakts gehäutet und ausgeräumt werden. Vom «stilvollen» Aktfotografen, der sich als Psychomörder entpuppt. Von dessen Adoptivmutter, die auch kurz auftritt (Maja Stolle), die vor den Augen der beiden jungen Frauen von Kampfhunden zerfleischt wird. Und vom plötzlich auftauchenden verlorenen Sohn des Verstorbenen (Michael Wolf), dessen Surfschule in Südafrika von seinem Partner in den Konkurs getrieben wurde und der nun Anspruch auf sein Erbe erhebt.
«I gschpüre nüt»
Doch letztlich ist die Story nur der künstlerische Rahmen für die abgestumpfte Gefühlswelt der jungen Frauen, die nur noch in absoluten Extremen Ausdruck zu finden vermag. «I gschpüre nüt», sagt Mäuschen immer und immer wieder. Da passt es auch, dass Regisseurin Ursina Greuel mit dem Raum, in den sie die schaurige Geschichte setzt (Ausstattung: Bettina Ginsberg) wiederum einen krassen Kontrapunkt setzt: Es handelt sich un den heimelig-altertümlichen Saal im ersten Stock des Restaurants zur Mägd. Das Publikum verfolgt das Geschehen von Plätzen hinter weiss gedeckten Tischen aus, die im Viereck um die Spielfläche herum aufgestellt sind. An den Ecken befinden sich Türme mit alten TV-Monitoren, die in verwackelten und verzerrten Bildern die Aussenwelt in den Raum hineintragen. Und im Hintergrund begleitet Hagen Neye das Geschehen mit jazzigen Rhythmen auf dem Kontrabass.
Dies alles zusammengenommen birgt die Gefahr, dass das Bühnengeschehen mit Vollgas ins Abseits der abstrusen Verfremdungen und Übertreibungen rast. Theoretisch. Denn in der Praxis fügt sich der Mix aus Extremen und Verfremdungen in vielen Momenten zum stimmigen Ganzen zusammen. Das liegt vor allem am beeindruckenden Spiel der beiden jungen Schauspielerinnen, die die derbe Sprache glaubwürdig verinnerlicht haben, ohne dabei zu vulgärpsychologischen Karikaturen zu verkommen. Nicht alles überzeugt an diesem rund 100-minütigen Abend. Aber der powerhafte Auftritt von Maus und vor allem von Mäuschen geht unter die Haut.
«Single des Tages»
Von Guy Krneta
Regie: Ursina Greuel, Ausstattung: Bettina Ginsberg, Film: Miro Widmer, Licht/Technik: Jens Seiler
Mit: Newa Grawit, Pema Shitsetsang, Michael Wolf, Hagen Neye, Maja Stolle
Eine Matterhorn Produktion in Koproduktion mit dem Kleintheater Luzern, der Kaserne Basel, dem Schlachthaus Theater Bern und dem Theater Tuchlaube Aarau
Im Säli des Restaurants zur Mägd
Die nächsten Vorstellungen: 16., 17., 22., 23. und 24. März 2013