Auf Zyklen und Serien fokussiert die Gerhard-Richter-Ausstellung in der Fondation Beyeler. Klingt eintönig – ist es aber überhaupt nicht. Die Schau ist ein wunderbares Must-See im Ausstellungsjahr 2014.
Am Eingang der Fondation Beyeler rennen wir Gerhard Richter fast um. Die Journalisten drängen zum Haus hin, der Künstler will kurz frische Luft schnappen, bevor er sich der Meute stellt. Er ist kleiner, als man denkt. Spätestens, wenn man vor seinen monumentalen abstrakten Werken steht, wird einem das wieder einfallen.
Vor denselben Werken denken wir an den Film «Gerhard Richter Painting» – an den Maler vor den riesenhaften Leinwänden, wie er mit dem langen Holzrakel Farbe auf- und wieder abträgt. In einem fast meditativen Akt geschieht diese Arbeit, und auch der Betrachter ergibt sich diesem Moment.
Farbschicht um Farbschicht … doch in welcher Reihenfolge wurden sie aufgetragen? Es ist kaum zu ergründen, man verliert sich in Details, die Oberfläche wirkt fast plan, obwohl soviel Farbe darauf liegt.
Als Betrachter mittendrin
Es bietet sich an, ein paar Schritte zurückzutreten und die Bilder aus der Distanz auf sich wirken zu lassen. Es gehören immer mehrere zusammen, und manchmal erhält man das Gefühl, sie seien für dieses Museum geschaffen worden. Der Zyklus «Wald» (2005) beispielsweise. Zwölf hochformatige Ölgemälde, die oberste Farbschicht immer in Schwarz- und Grautönen gehalten, dazwischen schimmern Farben durch, als würde man zwischen Bäumen Figuren oder Gegenstände erahnen. Als Betrachter steht man mittendrin.
«Wald» (2005). (Bild: Stefan Bohrer)
Ein anderer, kleinerer Raum beheimatet die vier Gemälde des «Bach»-Zyklus (1992). Zwei Bilder links, zwei Bilder rechts. Sie sind farbiger als der «Wald», von einem grünen und roten Farbnebel durchdrungen, der Raum wirkt frischer. Die «Bach»-Werke entstanden, während der Künstler der Musik des Komponisten lauschte. Musik inspiriert ihn, nicht nur jene von Bach: Im grossen Saal der Fondation Beyeler hängt auch sein «Cage»-Zyklus, sechs Gemälde umfassend.
Entgegensetzungen
Klassische Musik führte auch zum Hängungskonzept der Ausstellung, die von Kurator Hans-Ulrich Obrist in enger Zusammenarbeit mit den Museumsverantwortlichen und Gerhard Richter selbst erfolgte. Obrists Konzept sah vor, für einmal Richters Serien und Zyklen in den Fokus einer Ausstellung zu rücken. Als sie eines Tages über dem Museumsmodell sassen, funkte Johann Sebastian Bach rein: Richter glaubte plötzlich, es sei wichtig, den Zyklen und Serien einzelne Werke entgegenzusetzen. Kontrapunktisch, wie er sagt, angelehnt an die Kompositionstechnik, welche vor allem durch den deutschen Komponisten bekannt wurde.
Konkret wird der «Bach»-Zyklus nun durch zwei kleinformatige Gemälde ergänzt. «Betty» (1988), welches eine Frau in Rückenansicht zeigt, sowie die «Lesende» (1994). Beide figürlichen Werke kann man ohne Weiteres als Ikonen Gerhard Richters bezeichnen. Unzählige Male reproduziert, sind sie unverkennbar. In den «Wald»-Zyklus flicht Richter zwei gegenständliche Pflanzenbilder ein, und die acht Bilder der «Grau»-Serie, für die im Museum Abteiberg in Mönchengladbach eigens ein Raum eingerichtet wurde, werden durch «Ella» (2007) in ihrem rosaroten Pulli konstrastiert.
Und Richter hatte Recht: Die kontrapunktische Ergänzung stört das Raumgefühl nicht, das den Zyklen konzeptuell eingeschrieben ist, aber sie eröffnet einen Dialog durch das Sichtbarmachen der Brüche, die Richters Œuvre durchziehen. Als «stilistisch vielseitig» wird der Künstler immer wieder beschrieben, doch seine Eigenheit, die Malerei immer wieder neu ergründen und erfinden zu wollen, hat auch schon kritische Stimmen hervorgerufen, die ihm Unstetigkeit vorwerfen.
Querschnitt durch die Vielseitigkeit
Die Werkauswahl, die für die Ausstellung in der Fondation Beyeler getroffen wurde, lässt nichts aus. Sie präsentiert einen Querschnitt durch Richters Schaffen, der alle Aspekte streift. Da sind die gegenständlichen Einzelbilder: Figuren, Landschaften und Stillleben. Da ist der Skandal in Form des «Oktober»-Zyklus. Die Verehrung der alten Meister wird deutlich in der soeben vom Kunstmuseum Basel erworbenen «Verkündigung nach Tizian». Da sind die grossformatigen abstrakten Zyklen. Seine Beschäftigung mit der Farbe Grau zeigt sich gleich in mehreren Medien – vom pastosen «Grau (Borke)» über den «Grau»-Zyklus bis zu den neuesten Spiegelbildern. Dagegen steht die Auseinandersetzung mit Farbkombinationen in «1024 Farben» und «4900 Farben» oder den «Strips», die kürzlich in Winterthur zu sehen waren. Und schliesslich die Scheibenarbeiten, in denen der Künstler den Raum auf dreidimensionale Weise erkundet.
Ein Blick auf zwei Werke des «Oktober-Zyklus». (Bild: Stefan Bohrer)
Seit 60 Jahren ist Gerhard Richter künstlerisch tätig. Er irritiert gerne. Auch in der Fondation Beyeler, wenn er Sätze sagt wie: «Was soll man sonst abbilden, wenn nicht Oberfläche?» Seine analytische Arbeit verbirgt er hinter einem Satz wie diesem. Das Nachdenken, das zu seinen Bildern führt. Das manchmal Jahre dauert, etwa beim Oktober-Zyklus: 1977 gingen die Bilder der getöteten Terroristen der Baader-Meinhof-Gruppe um die Welt, 1988 erst malte Richter 15 ausgewählte Motive in Grau und Weiss auf Leinwand. Es hatte die zehn Jahre gebraucht, um die richtige Auswahl zu treffen.
Lügen jedoch tut Richter mit so einem Satz allerdings nicht, denn die Oberfläche ist in der Tat ein wichtiger Punkt in seinem Werk. Es lohnt sich, vor seinem Gemälden immer wieder den Standort zu wechseln, damit der Lichteinfall sich verändert. Dann sieht man plötzlich Pinselstriche, wo man sie nicht erahnte. Oder aber man sieht gar nichts, wie beispielsweise im kleinen «Davos» (1981), wo die Sonne matt durch den Nebel dringt, der vom Maler so milchig dargestellt wird, dass man meint, hineingreifen zu müssen, um die Glätte zu spüren.
Gerhard Richter, so beschleicht einen in dieser wunderbaren Überblicksschau immer wieder das Gefühl, ist nicht nur ein Maler, sondern viele. Dann sieht man wieder den kleinen, ruhigen Mann vor Augen, der offenbar von einer inneren Rastlosigkeit geprägt ist, die ihn immer weiterschaffen und weitergehen lässt. «Ich hab noch was vor», sagt der 82-Jährige denn auch auf die Frage, was ihn in Zukunft beschäftigen wird. Ob er schon wisse, was, fragt die Journalistin nach. «Mhm», sagt der Künstler. Schmunzelt und schweigt.
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«Gerhard Richter», Fondation Beyeler, Riehen. 18. Mai bis 7. September 2014.