Gehört Videokunst ins Kino? Doris Gassert, Florine Leoni und Jannik Giger meinen: Sicher doch! Und zeigen am Dienstag im Stadtkino, warum das so ist.
Kino und Kunst verträgt sich gern. Die Verbindung von Unterhaltungsindustrie und anspruchsvollem Schöngeist verzückt und bewegt seit eh und je die Gemüter.
Dabei gibt es traditionellerweise zwei Möglichkeiten, wie Film und Kunstwerk zueinanderfinden: Entweder wird der Kinofilm als Kunstwerk gepriesen (mit den Godardianern, David Lynch-Aficionados und Gaspar Noé-Anhängern an vorderster Front) – oder es verhält sich wie mit Luis Buñuels andalusischem Hund, wo es sich entschieden um ein Kunstwerk handelt, das aber in der Gestalt eines Filmes daherkommt.
Das Kunstwerk als Film ist längst fixer Bestandteil der Kinosäle und Filmliteratur und hat mit Produktionen wie Women without Men der iranischen Künstlerin Shirin Neshat oder Pipilotti Rists Pepperminta bewiesen, dass auch unkonventionelles Kino mit Kunstanspruch beachtliche Mengen an Zuschauer anlocken kann.
Wie verhält es sich aber mit Arbeiten, die zwischen diese beiden Möglichkeiten fallen, die weder aufwendig produzierte Filme noch streng filmisch gedachte Kunstwerke sind? Werke, die aus der bildenden Kunst kommen aber trotzdem auf der Kinoleinwand funktionieren sollen?
Videokunst: stiefmütterlich behandelt
Die Videokunst gehört in genau diese Sparte und wurde durch ihren unklaren Stand lange Zeit von allen Seiten her stiefmütterlich behandelt, meint die Medienwissenschaftlerin Doris Gassert. «Video als elektronisch-analoges Medium ist längst ein obsoletes Trägermedium. Mit der Digitalisierung hat sich ein technischer und ästhetischer Bruch vollzogen, der Film und Video viel näher zusammen gebracht hat.»
Dass sich Film und Video heute näher sind denn je, macht sich in den Kinosälen kaum bemerkbar. Videoarbeiten sind selten im Kinosaal anzutreffen (ausser es handelt sich um grosse Produktionen – man erinnere sich an Matthew Barneys Fäkalienparade letzten Sommer) und weit öfters im Ausstellungsraum vertreten.
Am Dienstagabend wird das zumindest in Basel nicht der Fall sein. Die Basler Kunstschaffenden Florine Leoni und Jannik Giger präsentieren zusammen mit Doris Gassert und der Schwarzwaldallee ihre aktuellsten Videoinstallationen – im Stadtkino Basel, auf Grossleinwand.
Gespaltener Bildschirm, gespaltene Erzählung
Der Titel «Split/Screen/Narratives» bezieht sich auf den Bruch, der bei dieser Überführung vom Ausstellungsraum in den Kinosaal passiert: «Wie wirkt sich der Ort und seine Präsentations- und Rezeptionsbedingungen auf die künstlerischen Ausdrucksformen und das Erleben der Werke aus? Dieser Prozess interessiert uns», meint Gassert.
Bei Jannik Gigers Arbeit «The Making Of An Exhibition» ist die Spaltung des Bildschirms buchstäblich im Werk enthalten. Auf 4 verschiedenen Screens entfaltet sich der Entstehungsprozess einer Ausstellung. In einem fiktionalen Setting begegnet man Kunstschaffenden und erhält Einblick in deren Arbeitsweisen und -prozesse. Durch komplexe mediale Anordnungen und Verschachtelungen werden die Autorenschaften künstlerischer Positionen in Frage gestellt. Ergänzt und kontrastiert wird das Aufbrechen der Bilder durch das Sound-Design von Cedric Spindler.
Der Einsatz von vier verschiedenen Bildschirmen ist im Ausstellungsraum kein Problem: Der Betrachter wählt sich aus, was er zuerst sehen will, und setzt sich die Geschichte selbst zusammen.
Im Kinosaal geschieht jedoch was ganz Anderes. Hier ist die Leinwand viergeteilt und der Zuschauer hat nicht mehr alle Zeit der Welt, sich mit dem Film auseinanderzusetzen. «Du musst dich entscheiden, was du sehen willst», meint Jannik Giger, «im Ausstellungsraum musst du damit leben, dass du nicht alles auf einmal sehen kannst, gleichzeitig kannst du es dir aber immer wieder anschauen, bis du genug davon hast. Im Kino hingegen hast du nur eine Zeitspanne zur Verfügung, die du akzeptieren musst.»
Raum, dreigeteilt
Bei Florine Leonis «En garde» geschieht der «Split» auf der räumlichen und mentalen Ebene. Der konkrete Raum des Basler Fechtsaals trifft auf einen mentalen unterbewussten Raum. Leoni verwebt dokumentarische Aufnahmen im Basler Fechtclub mit Text- und Bildelementen aus einer Hypnose uns macht so mehrere Räume auf einmal auf.
Die besondere Blicklenkung, die Positionierung des Zuschauers und die aufgebrochene narrative Struktur fordern den Betrachter heraus. Die Struktur ihrer filmischen Arbeiten widerspiegle auch den künstlerischen Arbeitsprozess, sagt Leoni: «Meine Arbeit erfolgt nicht nach einem streng organisierten Storyboard, sondern entwickelt sich zusammen mit dem Inhalt stets organisch weiter.»
Das mag für den herkömmlichen Kinogänger fürs Erste ziemlich verwirrend sein. Doch genau auf diese visuelle und inhaltliche Überforderung kommt es den drei Organisatoren von «Split/Screen/Narratives» an. «Es geht darum, eine Plattform für Videokunst im Kino zu schaffen und herauszufinden, was diese Verbindung mit Zuschauer und Kunstwerk anstellt», meint Doris Gassert.
Für den historischen Kontext werden nebst den beiden Arbeiten von Giger und Leoni auch Werke aus dem Videoarchiv der Basler Galerie Stampa gezeigt. Das Ziel sei ein vielseitiger Abend, der die Dazwischen-Rolle von Videokunst hinterfragt, indem sie sie vom Kunst- in den Kinoraum befördert. Und beweist: Kino und Videokunst? Verträgt sich gern!
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«Split/Screen/Narratives», Werkschau von Jannik Giger und Florine Leoni im Stadtkino Basel, moderiert von Doris Gassert. Dienstag, 14. Oktober 2014, Vorstellungen um 20 Uhr und 21.45 Uhr. Die Plätze sind limitiert. Reservationen unter: mail@schwarzwaldallee.ch