Gibt es so etwas wie Schweizer Architektur? Eine Ausstellung geht der Frage nach

Mit «Schweizweit» zeigt das Schweizerische Architekturmuseum S AM die erste Ausstellung, die unter der Leitung des neuen Direktors Andreas Ruby entstanden ist.

Das Musée Cantonal des Beaux-Arts finden nicht nur dessen Architekten «Made in» selber gut, sondern auch K. Knapkiewicz & A. Fickert.

(Bild: © Made in)

Mit «Schweizweit» zeigt das Schweizerische Architekturmuseum S AM die erste Ausstellung, die unter der Leitung des neuen Direktors Andreas Ruby entstanden ist.

Erstaunlich leer präsentieren sich für einmal die vier Räume des Architekturmuseums: Da sind zwei Tische mit postkartengrossen Fotos, eine Art Wäscheleine mit etwas grösseren Bildern und zwei Räume, die Grossbildprojektionen vorbehalten sind. Die Gegenwartsarchitektur der Schweiz eine Einöde?

Ganz im Gegenteil, meint der neue Direktor des Schweizerischen Architekturmuseums S AM, Andreas Ruby. Allerdings sei zumindest der Blick von aussen auf die Schweiz geprägt von dem, was man als Minimalismus der Neunzigerjahre bezeichnen könnte. Gemeint sind etwa die Arbeiten von Peter Zumthor, Diener & Diener und Herzog & de Meuron. Neben diesen grossen Namen fänden viele Beiträge einer jüngeren Generation von Architektinnen und Architekten vergleichsweise wenig Beachtung. Ziel der Ausstellung sei deshalb eine flächendeckende Bestandesaufnahme aktueller Schweizer Architektur – und zwar aus der Perspektive ihrer Urheber.

Antworten von 162 Büros

Drei einfache Fragen dienten als Ausgangspunkt. Von 300 in der Schweiz ansässigen Architekturbüros wollte das S AM wissen,

  1. welches eigene Projekt sie für besonders relevant hielten
  2. welches aktuelle Projekt eines anderen Schweizer Büros wegweisend sei und 
  3. welche anonyme Architektur oder räumliche Situation in der Schweiz für die eigene Architekturauffassung von besonderer Bedeutung gewesen sei. 

Zu jedem Punkt wurde ein Bild mit Kurzbeschrieb erwartet.

162 Büros – darunter auch solche der «älteren» Generation – sandten Antworten ein. Allerdings nicht immer ohne Wenn und Aber, wie Auszüge aus dem E-Mailverkehr im Eingangsbereich der Ausstellung belegen. Was etwa alles zur vernakulären (auch anonymen) Architektur gezählt werden darf, schien für manch einen Architekten verhandlungsbedürftig. Ein Abfallkübel und der von Jakob Friedrich Wanner geplante Hauptbahnhof Zürich zeugen von einer etwas eigenwilligen Begriffsauslegung bei gewissen Architekten beziehungsweise von der toleranten Haltung der Ausstellungsmacher.

Noch mehr Brisanz bot die zweite Frage nach dem herausragendsten Bau eines anderen Studios – welchen Glücklichen mag etwa HdM auserkoren haben? (Die Antwort gibts im S AM und im bilderbuchartigen Katalog zur Ausstellung.) Nicht alle Büros mochten nach den einseitig verordneten Regeln mitspielen und verzichteten sogar ganz auf die Teilnahme.

Vorteil für Unwissende

Gesprächsstoff bietet die schweizerische Nabelschau aber auch so. Daran ändert auch die Anlage der Ausstellung wenig, die den Fokus lieber auf Architektur als auf Namen lenken möchte: In den beiden Haupträumen werden zum einen vier Bilder «eigener» Projekte nebeneinander gezeigt (unter Verzicht der Angaben zu ihren Urhebern), während nebenan jeweils zwei Bilder von Projekten «anderer» (ebenfalls ohne Quellenangabe) grossflächig an die Wand projiziert werden. Die in unterschiedlichem Rhythmus wechselnden Bilder sollen die Vielfalt der aktuellen Schweizer Architektur losgelöst erfahrbar machen.



Zumindest ein Klischee ist erfüllt: Schweizer Architektinnen und Architekten lassen sich häufig von den Alpen inspirieren.

Zumindest ein Klischee ist erfüllt: Schweizer Architektinnen und Architekten lassen sich häufig von den Alpen inspirieren. (Bild: © Pino Brioschi)

Ob man an dieser Stelle tatsächlich reine Architektur(-fotografie) geniessen kann, hängt davon ab, wie gut man sich in der Szene auskennt. Der Unwissende hat hier für einmal einen Vorteil gegenüber der Kennerin. Aber auch Letztere profitiert vom ungewöhnlichen Nebeneinander höchst unterschiedlicher Architekturen, die einen darüber nachdenken lassen, ob es so etwas wie Schweizer Architektur überhaupt gibt. 

So spannend diese Frage ist, sie dürfte angesichts der offengelegten Autorschaft im ersten Ausstellungsraum in den Hintergrund treten. Gegen die Neugier, wer sich mit welchem Projekt präsentiert und welche fremden Projekte nominiert wurden, ist wohl kein Kraut gewachsen. Dabei haben Ruby und sein Team bewusst darauf verzichtet, das erhobene Material weiter zu durchleuchten und zu ordnen: Regelmässigkeiten, Überschneidungen und Häufungen muss der Besucher selbst ermitteln.

Keine visionären Projekte

Schade eigentlich, denn man hätte so vielleicht doch einiges erfahren, was die Schweizer Architekturszene miteinander verbindet: Etwa die Tatsache, dass man sich am liebsten mit Gebautem vorstellt, selbst wenn man die Gelegenheit gehabt hätte, visionäre Projekte vorzustellen, deren Radikalität eine Umsetzung verhinderten. Oder dass es Mehrfachnennungen und damit offensichtlich Favoriten unter den aktuellen Bauten gibt und dass hier erstaunlich oft bekannte Namen fallen.



Am liebsten zeigt man sich in der Schweizer Architekturszene mit Gebautem. Ein bisschen Werbung sei erlaubt: Hier etwa für Angela Deuber mit dem Schulhaus Thal im St. Galler Rheintal.

Am liebsten zeigt man sich in der Schweizer Architekturszene mit Gebautem. Ein bisschen Werbung sei erlaubt: Hier etwa für Angela Deuber mit dem Schulhaus Thal im St. Galler Rheintal. (Bild: © Schaub Stierli Fotografie)

Dann auch überraschende Vorlieben für natürliche Raumsituationen in Bergregionen, historische Tessiner Steinarchitektur oder den Gotthardtunnel, der gleich aus verschiedenen Perspektiven als hervorragendes Beispiel autorloser Architektur angeführt wird. Gleichzeitig liegt in der Tatsache, dass man sich den Weg durch die Bilderflut selbst bahnen muss, gerade der Reiz der Ausstellung. Wer sich die Zeit nimmt, wird nicht nur Überraschungen erleben, sondern auch erkennen, dass das Architekturmuseum alles andere als leer ist.

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«Schweizweit», S AM – Schweizerisches Architekturmuseum, Steinenberg 7, Basel. 19. November 2016 bis 7. Mai 2017.

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