Was haben Basler Bands wie die Bitch Queens, Bored & Beautiful und Arf gemeinsam? Sie alle waren auf Tour im Land der aufgehenden Sonne. Wie das geht, weiss Jens Seiler, der den kleinen Basler Japan-Boom ausgelöst hat.
Die Erinnerungen sind noch fast so frisch wie der Lidstrich unter ihren Augen: Die Bitch Queens, nominiert für den Basler Pop-Preis, der am Mittwochabend vergeben worden ist, sind von ihrer ersten Japan-Tour zurückgekehrt. Im Oktober spielten sie in Kobe, Osaka und natürlich auch in Tokio. Zehn Konzerte in zehn Locations innert zehn Tagen. «Es war eine intensive Zeit», sagt Sänger Melchior Quitt, «fast zu dicht, was die Anzahl Konzerte anging.» Spass gemacht hat es allemal, wie man dem Tourblog der Basler Glampunkband entnehmen kann.
Gig in Japan? Das mag exotisch erscheinen, steht dieses Land doch nicht gleich als Erstes auf der Wunschlandkarte westlicher Bands. In der Regel verschlägt es Schweizer Musiker erst in solch ferne Gefilde, nachdem sich eine Nachfrage ergeben hat. So wie bei Lee Everton, dem Zürcher Reggae-Sänger. Sein erstes Album «Inner Circle» verkaufte sich in Japan – auch zur Überraschung der eigenen Plattenfirma! – gleich mehrere Tausend Mal. Also nutzte er den Schwung aus und ging auf Tour – natürlich mit seiner Basler Backingband, den Scrucialists.
Dass die Bitch Queens, die von Spanien bis England schon viele Teile Europas gerockt haben, ihre ersten ausserkontinentalen Auftritte in Japan gegeben haben, ist nicht auf einen Hit zurückzuführen. Sondern vor allem auf den Kontakt zum Basler Musiker und Lichttechniker Jens Seiler. Dieser kennt die japanische Indieszene wie kein anderer Schweizer – seine Faszination für Japan begeistert, sein Tatendrang hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass weitere Basler Musiker in die Clubwelt von Tokio und Co. eintauchten.
Stundenlange Recherchen im Netz
Seiler hat mit seiner eigenen Punkrock-Combo Bored & Beautiful Konzerterfahrungen gesammelt und als Tourmanager auch die Basler ProgRock-Band Arf nach Japan gebracht. In den letzten fünf Jahren hat er gar mehr Konzerte in Japan gegeben als in der Schweiz. Er ist Dreh- und Angelpunkt hinter der ungewohnten Häufung an Japan-Tourneen hiesiger Bands.
Wie kam es dazu? 2008 bereiste Seiler erstmals das Land der aufgehenden Sonne – als Tourist. 2010 flog er wieder hin, um AC/DC live in Osaka zu erleben. «Auf diesen Reisen habe ich mich in das Land verliebt», sagt er. Seiler nahm sich vor, nach Japan zurückzukehren. Aber diesmal als Musiker.
«Als ich das bei einer Bandprobe erwähnte, lachten die anderen. Sie konnten es sich nicht vorstellen.» Die Mischung aus Tradition und Moderne aber liess ihn nicht mehr los. Seiler begann stundenlang im Netz zu recherchieren, fand Infos auf Expat-Seiten über «Live Houses», wie die Konzertlokale in Japan genannt werden.
Jens Seiler (zweiter von links) ist so gut vernetzt in Japan, dass er von Musikern dort sogar geküsst wird.
Rasch war klar, dass er die sprachliche Hürde überwinden musste, um nicht «Lost in Translation» zu sein. «Ich fand einen Dolmetscherdienst im Netz, der für ein paar Dollar meine Fragen übersetzte. So nahm ich via Facebook und E-Mail Kontakt auf mit Veranstaltern und Clubs. Und staunte, wie rasch ich erste Konzertzusagen erhielt», erzählt er.
Schweizer Bands geniessen in Japan Exotenbonus
Seiler erfuhr, dass im Clubbereich das «Pay-to-play»-Prinzip gilt, wie es auch in den USA verbreitet ist. Pro Abend treten fünf oder sechs Bands in einem Lokal auf, jede verpflichtet sich, eine Anzahl Tickets zu erwerben, mit dem Ziel, dass sie diese an ihre Fans weiterverkauft und so Leute mitbringt.
Seiler aber genoss einen Exotenbonus: «Der Deal war eigentlich überall derselbe. Wir mussten nicht zahlen, erhielten aber auch keine Gage – und um Reise und Verpflegung kümmerten wir uns selber.»
30 Minuten Zeit, um das Publikum zu gewinnen
Ob Osaka, Tokio oder Nagoya: Das Niveau der Shows hat Bored & Beautiful beeindruckt. Die Bands haben 30 Minuten Zeit, um das Publikum zu begeistern und sich von den anderen Gruppen abzuheben. Das sorgt für mehr Energie als in der Schweiz. Und inspirierte Seiler zu einem Clip mit japanischem Flavour: «Never Say That» ist garniert mit Fluchwörtern, die Japaner ausserhalb eines Punkschuppens in Verlegenheit bringen.
Nach der ersten Konzertreise stellte die Basler Band den neuen Song ins Netz und taggte ihn clever mit japanischen Schriftzeichen, sodass er auf der anderen Seite des Globus die Runde machte. Tatsächlich grölten auf den folgenden Tourneen manche Leute den Refrain mit. Mittlerweile kommt der Clip auf stolze 22’000 Views.
Kein Geld vom RFV, dafür aber von nationalen Stiftungen
Bored & Beautiful finanzierten den Grossteil aus der eigenen Tasche, buchten die Tour unter Erlebnisferien ab. Bei den darauffolgenden zwei Tourneen stellten sie Anträge an den RFV, Basels Popförderinstanz. Dieser lehnte jedoch alle Gesuche um Unterstützung in Sachen Japan-Tourneen ab. Warum ein solcher Effort einer hiesigen Band überhaupt nicht gewürdigt wird, weiss nur die Jury. Ob Horizonterweiterungen not tun?
Nationale Gremien jedenfalls erachten diese Erfahrungen als unterstützungsberechtigt: So hat die in Zürich ansässige Schweizer Interpretenstiftung Bored & Beautiful einen Zustupf an die Kosten gegeben, bei den Bitches kam sogar noch ein Beitrag von Pro Helvetia hinzu. «Das ist natürlich nicht so Rock ’n‘ Roll, aber wir sind froh über die Stiftungsgelder», sagt Melchior Quitt.
Und auch wenn die Basler Musiker mal vor einem Dutzend, mal vor 100 Leuten gespielt und Japan damit natürlich noch nicht erobert haben: Allein der Werbeeffekt entschädigt für die Tourstrapazen. «Wir haben unglaublich viel Presse in der Schweiz und Deutschland erhalten», staunt Quitt. «Die Tournee hat uns paradoxerweise gerade in Europa mehr Aufmerksamkeit gebracht.»
Die Bitch Queens: Big in Japan, wo Bühnen niederiger sind als bei uns.
Eine Gitarre flicken zu lassen ist einfacher, als das Hotel zu finden
Übrigens: Sowohl Bored & Beautiful als auch Arf und Bitch Queens reisten ohne Tourbus. Einzig mit Gitarren und Kleidern im Gepäck, fuhren sie mit Zug und U-Bahn an ihre Konzerte – was verlässlich funktionierte und möglich ist, weil die japanischen Konzertlokale mit kompletten Backlines ausgestattet sind, vom Schlagzeug bis zu den Gitarrenverstärkern. Dass diese stärker aufgedreht werden können – in Japan gibt es keine staatlich verordnete Dezibellimite! –, trug zur Freude der Basler Rockmusiker bei.
Beeindruckt haben die Schweizer auch die Ausstattungen der Clubs: «Die Soundanlagen sind verglichen mit Europa in einem hervorragenden Zustand», schwärmt Jens Seiler.
Japaner und ihre Liebe zu Geräten, das Klischee erwies sich auch zur Freude der Bitch Queens als wahr: Als eines ihrer eigenen Geräte kaputt ging, war es im Nu repariert. Es ist einfacher, in Japan eine Gitarre flicken zu lassen, als den Weg zum Hotel zu finden.
Und wie waren die japanischen Bands?
Eindruck hinterliess die japanische Disziplin, auch bei den Bühnenshows: «Sie üben sehr konzentriert – und legen einen grösseren Wert auf Show als viele Schweizer Bands», sind sich alle Basler einig. Und: Die Undergroundszene ist ausgeprägter. Da kann auf eine laute Noise-Band nahtlos eine fluoreszierende Theaterperfomance folgen, sind Irokesenfrisuren noch aufwendiger gestaltet als bei uns.
Big in Japan, das waren die Basler Musiker zumindest aufgrund ihrer Körpergrössen. In manchen Backstage-Räumen mussten sie die Köpfe einziehen. Und nun, werden die Basler Bands zurückkehren? Arf haben sich aufgelöst. Die Bitch Queens peilen als Nächstes den westlicheren Westen an und würden gerne einen Fuss nach Amerika setzen, wie Melchior Quitt erzählt. Und Jens Seiler? Er hat den nächsten Flug gen Osten gebucht. Während hier in Basel die Fasnacht spielt, wird er in einem Kellerclub auf der Bühne stehen, begleitet von japanischen Musikerkollegen: «Ich bin angekommen.»