Die Basler Band «The Bianca Story» und der Regisseur Daniel Pfluger haben den Gilgameschepos zur Popoper gemacht. Mit dabei: Eine Sopranistin und 14 Berliner Jugendliche, die das Haus zum Wackeln bringen.
Der Abend war zu lang. Aber der Auftritt: eine Wucht. Im Auftrag der Deutschen Oper Berlin haben der Regisseur Daniel Pfluger und die Basler Band «The Bianca Story» aus dem Gilgameschepos eine Popoper gemacht. Gilgamesch ist König von Mesopotamien, den es vielleicht gegeben hat oder auch nicht. Die Geschichte über ihn ist mit 5000 Jahren auf jeden Fall die älteste Erzählung der Welt. Und in dieser ältesten Geschichte geht es um den Traum eines Mannes, Unsterblichkeit zu erlangen. Ist also schon länger ein Problem.
Die Idee der Deutschen Oper, des Regisseurs, der Band, oder wer immer sie hatte, die Idee, diese Geschichte durch ein Rudel Jugendlicher zu erzählen, ist genial. Bei ihrem ersten Auftritt brechen sie durch eine Wand und schleichen auf allen Vieren dem Publikum entgegen, Raubkatzen mit offenen Mäulern. Janine Werthmann (Kostüm) hat sie wahnsinnig gut gekleidet, rockig, hip und ein Stück zu gut, als dass es einfach die Lieblingsdresses der jungen Leute sein könnten. Sie sind sexy, strahlen eine verbotene Attraktion aus, lolitamässig, und sie sind rätselhaft. «Wie jung man sein kann», schrieb der Autor von «Tschick», Wolfgang Herrndorf, staunend in seinem Blog, als er Jugendlichen beim Fussballspielen zusah. Auch in der Kaserne hat man keine Ahnung, was die Teenies beschäftigt, wie sie telefonieren, was sie an diesem Tag gedacht haben, was sie sich wünschen. Eins sieht man jedoch auf einen Blick: Sie haben tierisch Bock, ihren Körper auf der Bühne zu benutzen, zu tanzen, herauszuschreien.
Vielgesichtig undurchsichtig
Sobald man sie jedoch einzeln anschaut, sieht man sehr viel: Da ist einer, der Breakdance kann und gern auch mal Pose macht. Eine andere fühlt sich vielleicht nicht wohl in ihrer Haut. Eine andere ist ernst und ohne Alter. Doch die Individualität der Kids entblösst Pfluger nicht, er bündelt sie zum Chor. Sie bilden eine Menge, jung und stark, vielgesichtig und undurchsichtig.
Sie sind perfekt, um als Chor den Gilgamesch und zugleich seinen Busenfreund Enkidu zu spielen. Während Gilgamesch das Göttliche in sich trägt, ist Enkidu zum Teil ein Tier. Als in Gilgamesch das Menschliche Überhand nimmt und ihn zum Tyrannen macht, stellen ihm die Götter Enkidu zur Seite, um ihn zu mässigen. Sie treffen sich in der gemeinsamen Menschlichkeit und werden Freunde bis ins gemeinsame Bett. Tier/Mensch/Gott, das ist eine vielversprechende Verbindung, die zugleich übel durchgehen kann. Und Tatsache: Die Götter strafen das Duo für ihre übermütigen Taten und töten Enkidu. Zu schön wars und zu heikel.
Zu lang!
Der explosive Besetzungscocktail umfasst ausserdem die tolle Schauspielerin Natalina Muggli, die Mezzosopranistin Christina Sidak und vor allem die Band «The Bianca Story» mit Songs von ihrem Album «Digger». Deren Musik kann in dieser Einbettung sehr viel. Sie kann Stadionrock sein, grosses Kino, big time. Sie kann feinsinnig sein und versonnen. Und wunderbar traurig. Zusammen mit den Kids: eine Faust, eine Geste.
Der Tod von Gilgameschs Busenfreund Enkidu fährt besonders ein. Die Band singt: «My body is running away from me». Die Kids lassen bis auf die Unterwäsche ihre Kleider fallen, verfallen wie der sterbende Held. Die Szene ist so episch, und man gibt als Zuschauer so viel, dass man danach eigentlich nicht mehr kann. Es kommt aber noch eine Dreiviertelstunde. Gilgamesch, seit Enkidus Ableben von Todesangst besessen, muss noch nach Unsterblickeit suchen. Wiederum ein Thema, das sich nicht besser als mit Jugendlichen erzählen lässt. Doch nach den Höhepunkten, die schon waren, ist es zuviel. Obwohl nur 90-minütig: eine masslose Aufführung. Passt irgendwie.
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«Gilgamesh must die». Donnerstag, 24., und Freitag, 25. April, je 20 Uhr. Kaserne Basel. Der Freitag ist bereits ausverkauft. (Weitere Aufführungen in Bern)