Sonnenuntergang per Knopfdruck: Michel Winterberg macht Medienkunst, die über den Bildschirm hinausgeht.
Die Ausstellung seines Werks «Sunset on Demand», das im Rahmen der Regionale im Haus der elektronischen Künste gezeigt wird, ist für Michel Winterberg ein Heimspiel, dieses Jahr bereits zum dritten Mal. Dort arbeitet der 43-jährige Basler seit 2013, als technischer Leiter. Seinen Weg zur Kunst fand er erst vor wenigen Jahren, über Umwege, obwohl die Leidenschaft dafür schon ein Leben lang bestand.
Nach einer abgeschlossenen Lehre als Elektromechaniker arbeitete Winterberg 14 Jahre lang auf seinem Beruf. Nebenher produzierte er in seiner Freizeit elektronische Musik. Dann, 2009, fiel die Entscheidung, noch ein Kunststudium anzuhängen. «Es musste sich einfach etwas ändern», begründet Winterberg den Schritt pragmatisch. Von seinem Werdegang spricht der Künstler reflektiert, aber trocken. Beinahe schüchtern wirkt er zeitweise.
Während seinem Studium am Hyperwerk entdeckte Winterberg seine Vorliebe für Visuelle Kunst. Zur Musik kamen Installationen, Projektionen und immer häufiger auch interaktive Werke. Ausstellungen in Basel, wie beispielsweise sein Argus-Aauge diesen Herbst im Münster, aber auch in Polen und Ungarn folgten. Für sein neustes Werk im HeK brachte der visuelle Künstler nun Malerei und Digitale Kunst in einer Installation zusammen, um ein gesellschaftliches Phänomen ironisch-kritisch zu kommentieren.
Leben «on Demand»
«On Demand» könnte das Motto unserer Generation sein. «To demand» also verlangen, kann man auch als Symptom einer gesellschaftlichen Krise sehen, die sich in in den letzten Jahren breitmacht. Alles muss sofort zur Verfügung stehen, wo und wann wir wollen. Filme, Serien, Podcasts, Informationen. Der Mensch plant nicht mehr auf ein Ereignis hin, sondern macht sich selbst zum Mittelpunkt seines selbst erschaffenen Universums.
Das will Winterberg mit seiner Installation zeigen. «Sogar Wetter ‹on demand› gibt es, wenn man das so nennen will. Wenn zum Beispiel Wolken zum Abregnen gebracht werden, indem Flugzeuge Silberjodid versprühen», erzählt er, die anfängliche Schüchternheit wie verflogen, sobald das Thema auf den Hintergrund des Werkes kommt, «sogar die Natur muss nach unserem Willen funktionieren». Verdeutlichen will dies Winterberg anhand eines digital generierten Sonnenuntergangs.
«Der Sonnenuntergang ist ein Sujet, das in der Malerei schon 100fach abgebildet wurde. Und trotzdem ist keine Abbildung so befriedigend wie der Anblick eines echten Sonnenuntergangs», führt Winterberg den Hintergrund seines Werkes aus. «Meine Installation fungiert hier sozusagen als Ersatz. Ersatz für den Weitblick, der uns in urbanen Gegenden oft fehlt. Wenn man nicht gerade über eine Brücke am Rhein spaziert zur richtigen Zeit, verpasst man in der Stadt häufig den Moment die untergehende Sonne zu beobachten. Irgendetwas ist immer im Weg»
«Sunset on Demand»: Weshalb lange voraus planen und sich Zeit für «the real thing» nehmen, wenn der Sonnenuntergang nur einen Knopfdruck entfernt liegt. (Bild: ALEXANDER PREOBRAJENSKI)
Gott hockt im HeK
Per Knopfdruck erzeugen die Besucher eine einmalig berechnete Szene, bestehend immer aus denselben Komponenten: Wasser, Felsen, Himmel, Sonne – und einer obligatorischen Portion Kitsch. Innerhalb von 2 Minuten verwandelt sich vor ihren Augen strahlend blauer Himmel in eine Farborgie aus Pink, Orange, Gelb und Türkis in allen möglichen Schattierungen. So können die Besucher des HeKs mit Winterbergs Installation Gott spielen. Bei genauem Betrachten erkennt man die Aquarellästhetik, in der die Farbverläufe gestaltet sind, und die unterliegende Form von rauem Aquarellpapier. Der Bildschirm ist in einen antiken Rahmen aus dem 18. Jahrhundert eingebettet, womit Winterberg den Bezug zur Malerei herstellt.
Frei angelehnt an Werbesprüche diverser Digitalfernsehanbieter könnte über Winterbergs Installation gesagt werden: «Nie wieder einen Sonnenuntergang verpassen! Kaufen Sie sich jetzt ‹Sunset on Demand›!» Und wer weiss, villeicht ist seine Arbeit ein Vorbote für einen neuen Trend. Vielleicht finden sich, wenn die Digital Natives zu Kunstsammlern werden, in Schweizer Wohnzimmern nebst digitalen Bilderrahmen und Bildschirmen mit Aquariumszenen auch bald Bilderrahmen mit Sonnenuntergangssimulationen. Der Prototyp ist derweil noch im HeK zu bestaunen.
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«Regionale 16», Haus der elektronischen Künste, Freilager-Platz 9, 4142 Münchenstein. Bis 10. Januar 2016.