Graphic Novel «Venustransit»: Berlin mal anders

In seiner neuen Graphic Novel erzählt Comicautor Hamed Eshrat vom Leben in Berlin. Das könnte unfassbar bedeutungslos sein. Ist es aber nicht.

Feine Stadt in feinem Strich: Berlin, aus dem Stift von Hamed Eshrat.

(Bild: Avant-Verlag)

In seiner neuen Graphic Novel erzählt Comicautor Hamed Eshrat vom Leben in Berlin. Das könnte unfassbar bedeutungslos sein. Ist es aber nicht.

Es gibt sie zuhauf: Geschichten über junge Menschen in Berlin, die versuchen, mit ihren «harten» Leben klarzukommen. Überfordert und überfressen vom Buffet des Lebens, denken sie, die Welt würde sie mit ihren kleinen Problemen versöhnen, wenn sie sie nur in sie hinaustragen: Mässig erzählt und ohne Selbstironie werden halbgare Lebensweisheiten hinausposaunt und wird konstruktives Mitgefühl erwartet. Was selten eintritt, denn die Reaktion auf solche Texte ist so gut wie programmiert: Nicht schon wieder Gen Y, nicht schon wieder Hipsterbart, und vor allem nicht schon wieder Berlin.

«Venustransit» des deutsch-iranischen Zeichners Hamed Eshrat ist auf den ersten Blick eine davon: Der Protagonist ein junger Zeichner in Berlin, Quarterlife-Crisis, Tage im Spätkauf, Nächte im Berghain. Urgh.

Bis man die erste Seite aufschlägt.

Eine Hochzeit, das Brautpaar schneidet den Kuchen an, ist nervös, hackt versehentlich der kleinen Bräutigam-Tortendeko den Arm ab. Im nächsten Panel ein junger Mann mit dunklen Locken und weissem Hemd, der die Figur sorgfältig wieder an ihren Platz stellt, während alle anderen Gäste smalltalken und Kuchen essen. Die Weichen sind gestellt, die Story angerissen: Der Mann im Hemd ist Ben, leidenschaftlicher Comiczeichner und leidenschaftsloser Bürogummi, der im Verlauf von «Venustransit» immer wieder versuchen wird, sein eigenes Figürchen an den richtigen Platz im Leben zu stellen, während alle um ihn herum mit ihren eigenen Situationen klarzukommen scheinen. 



Ausschnitt aus «Venustransit».

Ausschnitt aus «Venustransit». (Bild: Avant-Verlag)

Die Geschichte um Bens Suche beginnt in der Beziehung zu Julia, die mit seiner Verdriesslichkeit nicht klarkommt. Ben gibt sein Bestes, aber die Beziehung hält nicht. Gleich darauf kommt der Venustransit, vom traurigen Ben und seinen beiden Kumpels im Spätkauf am Bildschirm beobachtet: Die Venus, wie sie an der aufgehenden Sonne vorbeizieht, dazu der Nachrichtensprecher: «Unsere nächste Nachbarin, die Venus, blieb im All lange ein Rätsel. Inzwischen wissen wir, die Venus ist eine brodelnde Hölle, ein einziges Inferno.» 

Hamed Eshrat


geboren 1979 in Teheran, studierte Visuelle Kommunikation an der Kunsthochschule Berlin Weissensee und an der Massey Universität in Wellington, Neuseeland. Er arbeitet als Designer, freischaffender Künstler und Autor in Berlin. 



Wo Worte nicht hinreichen: Ausschnitt aus «Venustransit».

Wo Worte nicht hinreichen: Ausschnitt aus «Venustransit».

Starke Indien-Reise

Die erbarmungslose Venus ist der Auftakt zu Bens Leben nach der grossen Liebe: Frauen, Eskapaden, trübe Tage im grauen Berlin und eine Reise nach Indien, die die ganze Geschichte auf einen Schlag grausam verkitschen könnte. Eshrat aber wählt einen anderen Weg, der den Indien-Teil zum stärksten Kapitel von «Venustransit» macht: direkt in die Novel hinein kopierte Skizzenbucheinträge mit Tickets, Visitenkarten und fantastischen Figurenskizzen, die ersichtlich machen, wieso für manche Geschichten kein Wort der Welt ausreicht.

Mittlerweile hat sich sanft und klug die Geschichte von Imma in die Story reingeschlichen, mit kleinen alltäglichen Zwischenfällen, die sie immer wieder an Ben heranführen. Nach seiner Indienreise treffen die beiden aufeinander und eine Liebesgeschichte nimmt ihren Lauf, die ganz ohne Pathos und Gedöns auskommt. Die Venus ist kein Inferno mehr, das Leben ist weitergegangen, das Figürchen hat erkannt, dass sein Platz nicht unbedingt auf der Hochzeitstorte sein muss. Und der Leser stellt fest: Comic, Gen Y, Bartträger, Berlin? Mehr davon! 

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«Venustransit» von Hamed Eshrat, erschienen im Avant-Verlag.

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