Grauzone frisst Geschmack: Die wahre Kunst besteht im Spagat zwischen Kunst und Kommerz

Ohne Publikum kann man nicht leben, ohne kreative Freiheit sich nicht entfalten. Wie verkauft man also Konzerttickets, ohne seine Seele zu verscherbeln? 

Hehre Kunst oder volles Haus? Irgendwann kommt der Punkt, an dem man sich zwischen Muse und Mammon entscheiden muss.

In meiner letzten Kolumne habe ich übers Fernsehen geschrieben. Über die Kluft zwischen gut produzierten Infotainment-Formaten und billigen Reality-Soaps. Über die Leere dazwischen. Nun, eine ähnliche Kluft gibt es auch im Kultur- und besonders im Musikbetrieb.

Da gibt es die Remember-Lloret-de-Mar-Partys, das ausverkaufte Hallenstadion-Konzert von Trauffer und die Warteschlangen vor Konzerten DSDS-Drittplatzierter. Und dann gibt es das Konzert von dieser umwerfenden Band aus Polen, die alle aus den Socken hauen würde – auch wenn da mehr als acht Socken im Lokal mit einer Kapazität von 200 Menschen stehen würden.

Gerade in einem kleinen Land wie der Schweiz ist die Grauzone zwischen plumpem Kommerz und kantiger Kunst verschwindend klein. Viele versuchen den Sprung über diese schmale, aber tiefe Schlucht und stürzen ab. Oder sie erreichen den vermeintlich Zuflucht bietenden Kommerzboden, um irgendwann zu merken, dass er die Hölle ist.

Künstler, Veranstalter und Publikum müssen leiden

Ich selbst sehe mich gerne als Seiltänzer zwischen diesen Welten. Dabei schaffe ich es einigermassen, zwischen den zwei Klippen hin- und herzuspringen, bin dafür nirgends richtig zu Hause und ständig verschwitzt und gestresst. Vielleicht bin ich aber auch schon abgestürzt.

Seit zehn Jahren versuche ich, dieser Schlucht zu trotzen. Ich suchte Wege heraus aus den Existenzängsten des Schweizer Künstlers, wollte partout auf grösseren Bühnen spielen und Geld mit meiner Kreativität verdienen. Doch im entscheidenden Moment habe ich mich jeweils gegen Schritte Richtung Mainstream und Kommerz entschieden.

Auch eine grosse Plakatkampagne würde die Dorfjugend nicht an ein Knackeboul-Konzert im Kleinkunstkeller locken.

Ich habe fatale Fehler gemacht, aber auch immer wieder Wege gefunden, mein Umfeld und mich erfolgreich durch diesen Schweizer Musik- und Medienrummel zu lotsen. So lebe ich heute ganz gut von verschiedenen meiner kreativen Outputs. Ich erreiche viele Menschen, reise um die Welt und erlebe in x Projekten tausend verrückte Geschichten. Aber gerade was meine Hauptleidenschaft betrifft – das Konzerte spielen –, bin ich in einem Dilemma.

Mein momentaner Zustand ist, dass mich der Kommerz-Mief eines Bligg umgibt, aber auch nicht mehr Publikum als einen ungarischen Slampoeten im Kulturkerker Mettmenstetten. Das ist hart. «Ja, im Nachbardorf ist eben noch Holzschnitzelparty, die Jugend ist wohl dort.» «Könntest du vielleicht noch ein FB-Aufruf-Video machen? Die Vorverkaufszahlen sind – wie soll ich sagen – ernüchternd. Also eher eine Ziffer, also drei Tickets», tönt es meistens seitens Kulturveranstalter aus der Provinz.

Und dann schämen wir uns beide ein bisschen. Er, weil er glaubt, er hätte vielleicht doch noch im Jugitreff Pfeffermühle ein paar seiner aus meinem Pressebild und einer peppigen Word-Schrift zusammengeschusterten Flyer verteilen sollen. Und ich, weil ich weiss, dass auch eine Plakatkampagne im Weltformat die Dorfjugend nicht an ein Knackeboul-Konzert im Kleinkunstkeller Grossdietwil locken würde. Die Dorfjugend sitzt nämlich auf dem Sportplatz, raucht eine E-Shisha und spielt sich auf der Bluetooth-Boombox die neueste Cloud-Rap-Youtube-Playlist vor und das ist auch recht so. Nur eben dumm für mich und den Veranstalter.

Natürlich schildere ich hier ein individuelles Leiden des nicht mehr so jungen Knäckers, aber ich weiss, dass Hunderte Künstler und Bands ein ähnliches Lied singen können. Wenn denn jemand zuhören kommen würde. Und alle leiden: die Künstler, die Veranstalter und eigentlich ja auch die Menschen, die nicht sehen, wie sehr so ein Andreas-Gabalier-Konzert die Seele verkrüppelt.

Die Veranstalter einst entdeckenswerter progressiver Bands greifen immer öfter zum Hit-DJ-Halli-Galli-Bierparty-Paket.

Irgendwann setzt auch bei Veranstaltern und Künstlern die Zermürbung und emotionale Verwahrlosung ein und sie ziehen Konsequenzen. Verheerende Konsequenzen. Die Veranstalter einst entdeckenswerter progressiver Bands greifen immer öfter zum Halli-Galli-Bierparty-Paket und viele Bands produzieren aus Verzweiflung immer mehr Songs, die der Hit-DJ dort ohne Einspruch des Bar-und-Pub-Publikums spielen kann.

Anfangs verfolgen beide, Veranstalter und Künstler, dieses Konzept als Quersubvention für ihre wagemutigeren Konzerte und Songs. Doch irgendwann beschränken sich viele auf dieses immer wieder funktionierende Geschäftsmodell und dann haben wir den Salat. Einen bereits gewaschenen und geschnittenen Salat aus dem Plastiksack mit Cocktail-Sauce aus der Petflasche. Der Erfolg gibt ihnen recht – recht wenig Inspiration.

A Hell of a Time

Zum Schluss ein kleiner Relativierungs-Block: Natürlich gibt es Acts, die einen Spagat zwischen Kunst und Kommerz schaffen. Auch in der Hip-Hop-Szene. Acts, die keine bescheuerten Schlager-Hymnen produzieren und doch Locations füllen. Und natürlich bin ich ein wenig neidisch, ja. Aber auch ich selbst spiele ab und zu gerade in den Städten ein erstaunlich gutbesuchtes Konzert und in den Kulturkellern der Provinz kommen dann meist doch immerhin an die fünfzig Leute und wir haben fast immer a Hell of a Time together.

Also liebe Bands, die ihr euch durch diesen Text angegriffen fühlt, weil ihr viele Fans habt, die an euren Konzerten eure Songs mitsingen: Zählt euch zu denen, die den Spagat schaffen, oder mich zu denen, die neidisch sind. Und liebe Veranstalter: Bucht mich trotzdem! Ich mach euch auch ein supercooles Facebook-Aufruf-Video. Und liebe potenzielle Konzertbesucher: hier meine nächsten Shows.

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