Ein Ausserordentlicher, der früh ging. «Grace» bleibt das einzige Album, das Jeff Buckley zu Lebzeiten fertig stellte. Am 17. November wäre er 50 geworden. Ein Hallelujah für einen zu früh Gegangenen.
In all den Nachrufen der vergangenen Tage auf den verstorbenen Leonard Cohen tauchte dieser Song immer wieder auf: «Hallelujah». Cohen veröffentlichte das Lied 1984 als alttestamentarischen Trialog zwischen David, Bathseba und Gott höchstselbst. Aber es war vor allem Jeff Buckley, der zehn Jahre später – mit veränderten Strophen und Arrangements – dem Weihegesang die eherne Aura verlieh. Buckley entkleidete den Song, bis nur noch ein paar matt gezupfte Akkorde der elektrischen Gitarre und sein Gesang übrig blieben. Flüsternd, betend, beschwörend.
«Grace» heisst das Album, das Jeff Buckley als einziges zu seinen Lebzeiten veröffentlichte. Gnade. Und begnadet war er. Als Sohn von Tim Buckley, einem jung verstorbenen Folksänger, lag das Talent schon in den Genen. Und auch wenn der Sohn den Vater, der seine Familie verliess und bereits 1975 an einer Überdosis Heroin starb, nur einmal im Leben getroffen hatte, begann er früh dessen Lieder zu spielen. Und wie Tim Buckley war es auch Sohn Jeff gegeben, das Gerüst des Folksongs auf vielschichtigen Wegen zu erschliessen.
Nicht gering war der Anteil, der Gary Lucas zugeschrieben werden darf – der Fusion-Gitarrist, der früher in Diensten des Experimental-Bluesers Captain Beefheart stand. Dieser nahm ihn in New York kurzzeitig in seine Band Gods & Monsters auf. Die Zusammenarbeit war fruchtbar, unter anderem entsprangen ihr die Songs «Mojo Pin» und «Grace», die auf Buckleys Soloalbum auftauchen sollten.
Was Buckley daraus machte, offenbarte eine erstaunliche Entwicklung. Schon seine EP «Live at Sin-é» 1993 zeigte auf, wozu dieser junge Sänger, allein auf seine Stimme zurückgeworfen, fähig war. Seine frühen Live-Aufnahmen entblössen ihn als einen Sänger, der sich gesanglich mühelos durch mehrere Oktaven schwingt und eine Performance der völligen Versunkenheit zeigt.
Buckley verweigerte sich der ihm zugedachten Rolle, der nächste Messias des Alternative Rock zu werden.
Nicht erstaunlich, dass sein expressiver Auftritt die Aufmerksamkeit der Plattenindustrie weckte: Es waren die Jahre des Grunge, und Stimmen mit Talent für «Soul-searching» waren gefragt. Als 1994 schliesslich «Grace» erschien, wurde der Eigensinn des jungen Buckley jedoch offenbar: Buckley verweigerte sich der ihm zugedachten Rolle, der nächste Messias des Alternative Rock zu werden. Roh waren die zehn Lieder, wozu auch der vormalige Nirvana-Produzent Andy Wallace beigetragen hat. Doch abgesehen vom dezent rockenden «Last Goodbye», das als einziger Song knapp Eingang fand in die damals noch marktmächtige Rotation von MTV, war Kraft nicht die primäre Stärke von «Grace».
Tragische Parallele zum Vater
Das Album war ein Füllhorn der Romantik, geprägt von seiner Aufgeschlossenheit in alle Richtungen: Rhythmen des Jazz trafen auf Arrangements des Chamber Pop und ein klares Falsett, als höchster Ausdruck von Buckleys vielschichtigem Gesang. Auch hier war er dem Vater, der kurz vor seinem Tod den Folk zugunsten eines offeneren Sounds überwunden hatte, verblüffend nahe.
Die Nähe mündete schliesslich in eine tragische Parallele: 1997 arbeitete Buckley in Memphis an seinem zweiten Album «My Sweetheart The Drunk». Er wollte seine Musik damit enger an den Blues rücken. An einem Frühlingsabend nahm er kurz vor Einbruch der Dunkelheit ein Bad in einem Nebenkanal des Mississippi, aus dem er nicht mehr zurückkehrte. Sechs Tage später wurde seine Leiche gefunden. Von Selbstmordabsichten war nichts bekannt, Spuren auf Drogenmissbrauch fand die Obduktion nicht. Tod durch Ertrinken, vermerkte die polizeiliche Akte nüchtern.
Übrig blieb damit «Grace», ein Album, das aus seiner Zeit herausfiel und über den Sound der Neunzigerjahre hinausstrahlte. Überall, wo zur Jahrtausendwende Hitlisten zu den besten Alben des Jahrhunderts erstellt wurden, tauchte Buckleys Einzelkind auf – als das Vermächtnis eines Ausserordentlichen und als ein unerfülltes Versprechen, was noch hätte werden können. Zum «Sgt. Pepper seiner Generation» wäre der Nachfolger erhoben worden, mutmasste der Boss seiner Plattenfirma, hätte Buckley es vollenden können.