Harte Welt in feinem Strich: Joe Sacco im Cartoonmuseum

Scharfe Blicke, dunkle Striche, schonungslose Wahrheit: Joe Sacco zeigt mit seinen Comicreportagen eine Welt jenseits der Mainstream-Medien. Das Cartoonmuseum zeigt eine beeindruckende Retrospektive des amerikanischen Zeichners.

Eine Reise in den Kopf von Joe Sacco: Die neue Ausstellung im Cartoonmuseum machts möglich.

Scharfe Blicke, dunkle Striche, schonungslose Wahrheit: Joe Sacco zeigt mit seinen Comicreportagen eine Welt jenseits der Mainstream-Medien. Das Cartoonmuseum zeigt eine beeindruckende Retrospektive des amerikanischen Zeichners.

«Ich wollte ein Gewebe schaffen, das der Wirklichkeit möglichst nahekommt», sagte Christa Wolf einmal in einem Interview mit der «Zeit», und sprach damit den Wunsch an, den die meisten schreibenden Menschen nur zu gut kennen: Man will die Realität fassbar machen, sich möglichst nah an sie heranschreiben. Nur leider hat man dazu nur einen Stift oder eine Tastatur und das Geschriebene bleibt stets abstraktes Abbild der sinnlichen Welt. Aber es geht auch anders: Christa Wolf zeichnete nicht. Andere schon. Wie Joe Sacco.

Sacco, 1960 in Malta geboren, fing seine Karriere mit dem schreibenden Stift an: Er studierte in Oregon Journalismus und arbeitete für diverse Publikationen, allerdings ohne je einen wirklich befriedigenden Job zu finden, wie er später meinte. Gleichzeitig störte ihn die Unglaubwürdigkeit seiner Kollegen in der Berichterstattung über den Nahostkonflikt. Als 1982 das Massaker von Sabra und Shatila stattfand, war Sacco 21 Jahre alt und hatte genug von den amerikanischen Medien: «Sie reproduzierten Vorurteile, statt Fakten zu präsentieren: Meine eigenen Kollegen hatten mich betrogen!», erzählte er 2010 im «Tages-Anzeiger»



«Ich glaube an Fairness, nicht an Objektivität»: Joe Sacco in seinem Atelier in Portland, Oregon. 

«Ich glaube an Fairness, nicht an Objektivität»: Joe Sacco in seinem Atelier in Portland, Oregon.  (Bild: Leah Nash)

Berichterstattung aus den Köpfen der Betroffenen

Also beschloss er, sich selbst ein Bild zu machen: Im Winter 1991/92 reiste er für zwei Monate nach Palästina in die besetzten Gebiete. Er wollte eine Art Reisetagebuch mit Illustrationen anfertigen – Sacco hatte bereits einige Jahre als Cartoonist und Produzent von Comicbänden gearbeitet – und als er zurückkam, entstand aus seinen zahlreichen Notizen und Skizzen der Wegbereiter dessen, was man heute als «Comicreportage» kennt.

Das Sammelwerk «Palästina» verbindet Journalismus und Comic, in einer Form von Berichterstattung, die nicht an vorderster Front agiert, sondern in die Köpfe einzelner Schicksale schaut: Sacco befragte Palästinenser im Gazastreifen, in Tel Aviv und Jerusalem, und dokumentierte ihre Geschichten von Folter, Flucht und Tod.



Sacco hielt seine Erlebnisse im Gaza-Streifen in Tusche fest.

Sacco bannte die Erinnerungen von Palästinensern im Gaza-Streifen mit Tusche auf Papier.

Sein Ansatz war nicht neu: Bereits im 19. Jahrhundert schickten Magazine Illustratoren auf Reportagereise. Neu war Saccos Ausführung: Dass ein Comiczeichner auf eigene Faust über Hinterwege in die Lager und Behausungen von Betroffenen geht, um ganz genau herauszufinden, wie die Menschen den Krieg erleben. Und neu war auch die Anerkennung: Drei Jahre nach der Veröffentlichung von «Palästina» gewann es den prestigeträchtigen «American Book Award». Der Comic-Journalismus war neu geboren.

Es folgten Reportagen wie «Safe Area Gorazde: The War In Eastern Bosnia», wo Sacco die Erinnerungen des Chirurgen Alija Begovic aus einem Krankenhaus in der UNO-Schutzzone zeichnet: Zerrissene Körper, blutige Glieder, schonungslos, mit feinen dunklen Strichen, immer Schwarz auf Weiss.

Oder «Sarajevo», in dem man Sacco nach Bosnien folgt, wo er unter anderem mit dem «Fixer» Neven, der Journalisten Kontakte zu Einheimischen vermittelt, dessen Kriegserinnerungen durchläuft. Sacco ist in seinen Comics meistens beim Geschehen dabei: Ein kleiner Mann mit rundem Gesicht und Brille. Man erlebt alles durch seine Augen – und doch sind gerade sie nie zu sehen. Die Augen führten in die Seele, und die wolle er den Zuschauern verwehren, sagte Sacco einmal.



Dunkle Töne, wenig Worte: Ausschnitt aus «Sarajevo»,

Dunkle Töne, wenig Worte: Ausschnitt aus «Sarajevo»,

Die Seele bleibt geschlossen – das Werk Saccos aber ist glücklicherweise zugänglich – wie dieser Tage im Cartoonmuseum. Bis zum 24. April lädt Kuratorin Anette Gehrig in das Universum des Comiczeichners ein. Die Ausstellung ähnelt dem Joe Sacco, den man in seinen Reportagen antrifft: Zurückhaltend, ohne grosses Kawumm und Gedöns. Selten Farbe, dafür immer die richtigen Fragen: Was kann der Comic? Wo fängt der Zeichner an und hört der Reporter auf? Was ist Wahrheit? 

Letztere Frage stellt sich bei dem amerikanischen Künstler immer wieder: Joe Sacco interessiert sich nicht für die hochgelobte Objektivität der Branche. Sein Journalismus sei subjektiv, sagt er, «Ich recherchiere, wenn mich etwas berührt, wenn mich das trifft wie ein Schlag in die Magengrube.»

«Ich glaube an Fairness, nicht an Objektivität.»


Joe Sacco

Sacco will nicht nur abbilden, er will verstehen. Er will wissen, wie die Menschen Kriege erleben, die kaum gehört werden. Die Orte und Themen bestimmt er selbst. «Ich glaube an Fairness, nicht an Objektivität» steht an einer der Museumswände. Es ist eine eigene Welt, die man im Cartoonmuseum antrifft, und eine eigene Wahrheit, immer schonungslos, immer ehrlich.

«Ich glaube, es geht fast jedem Schreiber so, dass man unglücklich ist, weil man nicht so schreiben kann, wie man denkt. Was ich in einem Moment erlebe, was in einer Minute. Was ich denke, was ich sehe» sagte Christa Wolf damals noch in dem «Zeit»-Interview. Man liest das, und weiss dabei genau, was sie meint. Und dann liest man Joe Sacco und denkt: Du musst der glücklichste Mensch auf Erden sein. 

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«Joe Sacco. Comics Journalist», 7. November 2014 bis 24. April 2015, Cartoonmuseum Basel.

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