Heisse Umarmungen

Unter glühender Sonne fand am Wochenende das traditionelle Open Air Gampel statt. 85’000 Besucher erlebten schweisstreibende Konzerte. Für Höhepunkte auf der Bühne sorgten die Foo Fighters und Deichkind. Grossen Spass bereiteten daneben auch wilde Wasserpistolen-Schlachten. Eine Reportage.

Neon-Show unterm Sternenhimmel: Die Hamburger Anarcho-Hiphopper Deichkind lieferten in Gampel eine schillernde Performance. (Bild: Keystone)

Unter glühender Sonne fand am Wochenende das traditionelle Open Air Gampel statt. 85’000 Besucher erlebten schweisstreibende Konzerte. Für Höhepunkte auf der Bühne sorgten die Foo Fighters und Deichkind. Grossen Spass bereiteten daneben auch wilde Wasserpistolen-Schlachten. Eine Reportage.

Donnerstag, 16. August: Es ist drückend heiss, im Rhonetal des Wallis. Der klare Himmel lässt die erbarmungslose Sonne ihre volle Macht entfalten. Umgeben von schroffen Bergen, werden die Festivalbesucher lebend gekocht. Innerhalb kürzester Zeit hat man mehr Schweiss verloren als beim Besuch einer finnischen Sauna. Glücklicherweise bieten Migros-Budget-Helfer unter dem Motto: «Wir sind jung und brauchen das Geld» den Besuchern ihre Dienste an. Für gerade mal 1.90 CHF schleppen sie dein Gepäck oder stellen das Zelt auf.

Da anderen beim Arbeiten zuschauen ziemlich durstig macht, schlendern wir nach fremdgetaner Arbeit ins Festivalgelände, um uns dort beim nächstbesten Getränkestand ein kühles Bierchen zu gönnen. Dazu einen kleinen Imbiss beim Chinesen nebenan, und schon sind die ersten 20 Mücken verbraten. Festivals waren schon immer unverschämt teuer, kein Wunder also, dass sich bereits am ersten Tag eine Anaconda vor den gelben Geldbezugautomaten bildet.

Die Foo Fighters gewinnen die Herzen des Publikums

Noch mehr Leute, Tausende, versammeln sich vor der Bühne, um mit der ersten grossen Band des Tages zu dehydrieren: The Beatsteaks. Die spassigen Punkrocker aus Berlin bringen die Massen zum Kochen. Hit um Hit wird auf das Publikum abgefeuert. Dazu fegt Arnim, Sänger der Beatsteaks, wie ein Derwisch über die Bühne, so dass selbst die Kameramänner Mühe haben, ihm zu folgen. Eine dieser Kameras schnappt sich Arnim und filmt das Publikum, während er ihren Überhit «I Don’t Care as Long as You Sing» singt. Grosses Kino. Am Ende des Konzerts lässt er die Zuschauer einen Circle Pit um den Mischpult-Turm machen. Widerstand zwecklos. Die euphorische Masse zieht einen mit, hunderte von Leuten rennen um den riesigen Turm, bis sie zurück vor der Bühne Halt machen. Danach verabschieden sich die Beatsteaks und geben mit ihrem Auftritt allen Bands vor, welche Zutaten es für einen gelungenen Auftritt an einem sonnendurchflutenem Festival braucht: Hits, gute Laune und Interaktion mit dem Publikum.

Diese Kriterien erfüllen auch die Foo Fighters vorzüglich: Sie bestechen am späten Abend mit schnörkellosem und ehrlichem Rock. Zusammengehalten wird der Sound von Schlagzeuger Taylor Hawkins, einem hervorragenden Rhythmiker. Die Fans wissen das zu würdigen und intonieren bei der Vorstellung der Bandmitglieder eine Lobeshymne auf Taylor, was selbst den Bandleader Dave Grohl verblüfft. Dieser gewinnt mit Witz und Kumpelhaftigkeit die Herzen der Menge. Und seine Stimmentwicklung, vom dünnen Hintergrundgesang bei Nirvana hin zur kraftvollen Rockröhre, ist noch immer bemerkenswert. Die Foo Fighters beweisen sich als grossartige Live-Band, die es trotz aller Professionalität schafft, verspielt und spontan zu wirken.

Die Wasserschlacht beginnt

Auf die heisse Umarmung des Tages folgt der eisige Griff der Nacht. Die Kälte kriecht durch die Zeltwände und in den Schlafsack, so dass mehrere Lagen Kleidung plus Schuhe nötig sind, um nicht dem Kältetod zu erliegen. Doch an Schlaf ist trotzdem nicht zu denken. Viel zu laut dröhnt die ganze Nacht über Partymusik vom Festivalgelände auf den Zeltplatz. Mehr als Dösen liegt nicht drin. Bereits um 9.30 Uhr verwandelt die Morgensonne das Zelt in einen Backofen. Schlaftrunkene fliehen zu den sanitären Anlagen, an denen sich bereits die Frühaufsteher mit Zahn- und Haarbürste bewaffnet zur Herde einfinden. Auf dem Gelände verstreut finden sich nicht nur leere Bierdosen, Pet-Flaschen und Fötzel (in denen mal Lebensmittel steckten), sondern auch die Alkoholleichen der letzten Nacht. Diese werden von den 200 Sanitätern mit soviel Liebe und Geduld wie möglich geweckt. Rund 1500 Patientenkontakte werden es am Ende des Festivals sein, die Hitze bereitet 2012 die grössten medizinischen Probleme.

Der Freitag verspricht noch heisser zu werden, schon vormittags kleben Haar und Kleidung am Körper wie Kaugummi und Hundescheisse an Schuhsohlen. Die Festivalbesucher machen aus der Not eine Tugend und besorgen sich mehr Wasserpistolen als ein durchschnittlicher amerikanischer Bürger Waffen im Haus hat. Und so beginnt die Wasserschlacht. Schwerbewaffnete Patroullien bilden sich, die Wasserwerfer im Anschlag und mit nervösen Zeigefingern. Herrlich. Selbst die Veranstalter tragen zur Abkühlung bei: Sie setzen erstmals mobile Schneekanonen ein, um die Besucher mit Wasser abzuspritzen.

Die Band Deichkind rockt die Party

Gar nicht nervös, sondern gelassen und entspannt wirken The bianca story an ihrem Auftritt am Mittag. Die Befürchtungen im Vorfeld, das Kollektiv aus Basel könne mit seiner verkopften Kunstmusik die Festivalstimmung versauen, werden sofort zerstreut. Tatsächlich passt der luftig lockere Sound der Band perfekt zur fröhlichen Ausgelassenheit des Publikums. Und spätestens als Sänger und Chefdenker Elia Rediger von der Bühne steigt, um sich singend unters Volk zu mischen, werden auch die letzten Skeptiker zum Schweigen gebracht.

Das Highlight des Tages sind Deichkind. Vieles wurde bereits gemunkelt, über die Live-Auftritte der technoiden Hip-Hop-Band aus Hamburg. Unglaublich seien sie, geradezu legendär und anarchistisch – dementsprechend gross unsere Erwartungen. Diese kann Deichkind locker erfüllen. Von den ersten Takten an hat die Partyband die Massen fest im Griff. Dabei legen Deichkind den Fokus ihrer Show nicht auf die Musik, sondern auf die Darbietung. Diese gleicht einem Theater. Ständig wechseln die Schausteller und Musiker ihre Kostüme, treten mal als Skelette, dann mit blinkenden Pyramidenhüten oder floureszierenden Neoprenanzügen auf. Dazu kurvt ein elektrischer Rollstuhl und ein Tandem über die Bühne, eine Sonnenbank mit Regenbogenröhren wird aufgestellt und bewegbare Säulen gleiten umher. Ein riesiges Fass, in dem die vier Jungs der Band sitzen, fährt ins Publikum rein. Zwei Artisten springen an Gummiseilen befestigt minutenlang über die Bühne. Ein Cabaret mit tanzbarer Mucke. Die Leute drehen durch, denn sie lieben den Zirkus. Deichkind rocken wirklich die Party. Zum Abschluss gibt es noch ihren Hit «Remmidemmi», bevor die aufgepuschten Fans in den Bars und Clubs des Festivals Halli Galli bis in die frühen Morgenstunden machen.

Mark Lanegan singt den Blues

Am Samstag gleicht das Festivalgelände einer Westernstadt. Die Sonne hat die Erde inzwischen in Sand verwandelt, welcher vom starken Wind den verkaterten Partygängern um die Ohren geschlagen und in die Augen getrieben wird. Die Luft flimmert. Etliche sonnenverbrannte Körper watscheln umher, mühen sich zu den Konzertbühnen. Dort versucht die Zürcher Gothic/New-Wave-Band The beauty of Gemina ihren düsteren Sound in die Köpfe der erschöpften Zuhörer zu dreschen. Doch auf depressive Musik hat hier keiner Bock.

Ähnlich geht es Mark Lanegan, der mit seiner Band das Nachmittagsprogramm bestreitet. Die Grunge-Legende (Screaming Trees) ist bekannt dafür, seine Dark-Blues-Musik zu leben, und kaum bis gar nicht mit dem Publikum zu agieren. Auch heute klammert er sich das ganze Konzert über an seinen Mikrofonständer und zieht Fratzen, als hätte er wahnsinnige Rückenschmerzen. Von Zeit zu Zeit schweifen seine zusammengekniffenen Augen über die Zuschauer hinweg in die Ferne, als gebe es dort etwas unglaublich interessantes zu sehen.

Immerhin bedankt er sich dreimal beim Publikum, was schon zweimal mehr ist als bei ihm üblich. Technisch spielt seine Band einwandfrei, besonders der Gitarrist lässt seine Finger flinker als ein Wiesel über das Griffbrett flitzen und erzeugt dabei tragisch schöne Melodien. Der Bariton von Lanegan ist einlullend, markant, ja, markerschütternd. Doch die Mark Lanegan Band ist visuell derart unterkühlend, dass man sie sich lieber auf Platte anhört.

Wozu wir uns nach seinem Auftritt auch entschliessen und der Alpensüdseite den Rücken kehren. Was bleibt vom Open Air Gampel 2012? Erinnerungen an schweisstreibende Tage voller herrlicher Musik sowie der Wunsch nach Schlaf und einer kalten Dusche.

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