Hussein Sherbini und die Krux des ägyptischen Künstlers

Mit dem Video-Clip «Etneen Arba3a» und dem neuen Album «Electro Chaabi» prangert der ägyptische Musiker Hussein Sherbini die ägyptische Konsumgesellschaft und deren verrohten Umgang mit Kunst und Kultur an. Im Winter kommt er damit auch nach Basel.

Hussein Sherbini – alleine mit sich selbst.

(Bild: Hussein Sherbini)

Mit dem Video-Clip «Etneen Arba3a» und dem neuen Album «Electro Chaabi» prangert der ägyptische Musiker Hussein Sherbini die ägyptische Konsumgesellschaft und deren verrohten Umgang mit Kunst und Kultur an. Im Winter kommt er damit auch nach Basel.

Ich werde deprimiert, wenn ich die Schlagzeilen lese.
Meine Träume sind zerschmettert.
Nichts wird Anerkennung finden, das ich tue, wenn es nicht billig oder kopiert ist.
Ich will keine Zehntausend, auch nicht mehr als Zehntausend.
Ich schaue seit 2010 zu, wie eine Generation verdorben wird.

Diese Verse rappt der ägyptische Künstler Hussein Sherbini auf Arabisch im Video zu seinem Song «Etneen Arba3a» seines neuen Albums «Electro Chaabi». Gleichzeitig sieht er der Kamera in einer verlassenen Fabrikhalle nüchtern entgegen, verlässt den eigenen Körper drei Mal und verwandelt sich in eine drehende Cola-Dose. Moment – eine Cola-Dose?

Im 82 Millionen Einwohner starken Nilstaat hat der Musikmarkt seine eigenen Mechanismen. Während der ägyptische Staat beinahe keinerlei Kulturförderung betreibt, schreibt er den einheimischen Künstlern die Mitgliedschaft in einem staatlichen Künstlersyndikat vor. Dabei gelangen beinahe nur diejenigen Musiker an die mediale Öffentlichkeit, die einen grösseren Konzern wie Red Bull oder Coca-Cola als Sponsor finden.

Ein jüngeres Beispiel dieser Praxis ist der neue, gemeinsame Smash-Hit von Cairokee, Sharmoofers, Al Madfaageya und weiteren ägyptischen Superstars – die grössten Figuren der ägyptischen Musik-Genren, allesamt in einer Ode an Vodafone vereint.

So erklärt sich auch Sherbinis Metamorphose zur Softdrink-Dose in seinem Videoclip: Irgendwo müssen die zu vermarktenden Produkte schliesslich platziert werden.

«Die Leute wollen etwas leicht Verdauliches»

«In Ägypten gibt es keinen Platz, um neue Grenzen mit neuem Sound-Design oder Melodien zu testen, weil es auch keine wirtschaftliche Nachfrage danach gibt», erzählt Sherbini im Skype-Interview. «Es ist einfach nur bedauerlich, dass die Künstler so viel in ihre Kunst investieren, um einen neuen Sound zu kreieren, Ägypten aber musikalisch seit 30 Jahren stehen geblieben ist. Die Leute wollen nur leicht Verdauliches. Das hängt auch mit dem niedrigen Niveau bei unserer Film- und Fernsehproduktion zusammen.»

Wer sich in Ägypten als Anhänger einer alternativen Subkultur zu erkennen gibt, erntet laut Sherbini bloss Häme. In einer solchen Situation als Künstler bezeichnet zu werden (zu Arabisch: «Ya Fenan!»), ist mehr Spott als Lob. Träger zu langer Haare oder auffallender Kleidung werden schnell mit Drogenabhängigen verwechselt. Deshalb dröhnt Sherbini im Titel «Beng» hypnotisch: «Ich bin vorbereitet und nicht auf Drogen. Ich bin vorbereitet und nicht auf Drogen.» (Arabisch: Ana Muhadder mish Mukhadder).

Diese Umstände machen es für die unkonventionellen Musiker Ägyptens schwierig, sich zu exponieren. Dabei werden sie zu dem, was Sherbini «Schlafzimmerproduzenten» nennt. Die damit zusammenhängende Anbiederung alternativer Musiker an ausländische Labels sowie die Verstaatlichung der ägyptischen Künstler beklagt er im Song «Singah»:

Wer ist auf der Liste? Die Einladungen stehen nur auf dem Esstisch.
Komm zur Ain Sokhna Sensation, Amigo, die VIP Tickets kosten nur 1500.
DJ, bitte buche mich, ich bin gratis und aus einem fremden Land.
Yo Künstlersyndikat, komm und hol dein Schmiergeld im Einkaufszentrum.
Ich werde währenddessen aus meinem Schlafzimmer heraus eine Szene aufbauen und auf Welttournee gehen.

In Ägypten zu experimentell, im Ausland zu wenig orientalisch

«Wenn man als alternativer ägyptischer Musiker Zuhörer im Ausland sucht, wo man sich ein intellektuelleres Publikum erhofft, so hört man oft, dass die Musik nicht authentisch genug sei», sagt Sherbini und erklärt damit, warum sein Album ironischerweise nach dem ägyptischen Musikstil «Electro Chaabi» benannt ist. «Die meisten Journalisten und Kulturschaffenden in Europa erwarten von einem ägyptischen Musiker, dass seine Lieder über orientalische Rhythmen wie etwa bei Omar Souleyman verfügen. Ich habe nichts gegen Electro Chaabi, aber wenn mein Album nicht so heissen würde, würde es wahrscheinlich auch niemand hören. Man könnte sagen, dass die Aufmerksamkeit ethnozentrisch ist.»

Electro Chaabi ist in Wirklichkeit der ägyptische Musikstil, dem seit dem Sturz Mubaraks die meiste westliche Aufmerksamkeit zuteil wird. Gerade weil die Musik dermassen «ägyptisch» ist: In den verarmten Vororten Kairos hat sich die Musik aus den traditionellen Chaabi-Volksliedern heraus zur Massensubkultur der Unterschicht entwickelt. Die Musik liesse sich auch als subversiver Turbo-Schlager Ägyptens bezeichnen und damit als Traumgenre eines jeden Euro-Hipsters. Ausser in einer satirischen Passage in «Etneen Arba3a» und im Albumtitel selbst hat Sherbinis Werk aber nichts mit Electro Chaabi zu tun.

In der westlichen Entdeckung der ägyptischen Musikstile seit der Revolution schwingt für Sherbini auch eine gehörige Portion Orientalismus mit: «Sie werden immer eine Bezeichnung für meine Musik finden, die irgendeinem bereits vorhandenen westlichen Genre entspricht, auch wenn ich etwas Eigenes mache. Einerseits ist das eine Art Kompliment. Andererseits glaube ich, dass man mit der Musik eines Künstlers aus Berlin anders umgehen würde.»

An der Spitze der ägyptischen Avant-Garde

«Es gibt sicher ein bisschen Fortschritt in der ägyptischen Musikszene», räumt Sherbini schliesslich ein, «ich wünschte mir bloss, es gäbe mehr. Ich war frustriert, das trieb mich dazu, dieses Album aufzunehmen.»

An der Entwicklung hat Sherbini zuvorderst mitgeholfen. 2009 war er noch ein Singer-Songwriter mit akustischer Gitarre, dann studierte er Musikproduktion in Los Angeles. In Kairo gründete er mit den Musikern Ismail Hosny und Mahmoud Shiha Epic 101 Studios, dessen Räumlichkeiten sie mit Anleitungen aus dem Internet selbst akustisch und elektronisch eingerichtet haben. Mit dem Studio wollten sie autonom Musik aufnehmen und sich mit Werbeaufträgen querfinanzieren.

Das «Kairo Is» Koming Kollektiv (v.l.n.r: Ismail, Zuli, Bosaina, $$$TAG$$$, NAA, Hussein Sherbini).

Das «Kairo Is Koming»-Kollektiv (v.l.n.r: Ismail, Zuli, Bosaina, $$$TAG$$$, NAA, Hussein Sherbini).

Den eigentlichen Anfang seiner Musikkarriere markierte jedoch die Gründung der Electro-Punk-Band «Wetrobots» mit Geschäftskollege Ismail und der Sängerin Bosaina im Jahr 2010. Dass fast zeitgleich der arabische Frühling in Ägypten einbrach, verschuf dem Trio unverhoffte Aufmerksamkeit aus dem Westen. In den nächsten vier Jahren folgten zwei Europatouren, aus dem Trio wurde ein Kollektiv mit weiteren ägyptischen Künstlern wie ZULI und $$$TAG$$$ unter dem Namen KIK (Kairo Is Koming). Aus den Epic 101 Studios wurde die einzige private ägyptische Musikproduktionsakademie, deren bisher 250 Absolventen Sherbini persönlich unterrichtet hat.

Dass Sherbini damit seinen eigenen Beitrag zur Entwicklung der ägyptischen Musikszene geleistet hat, betrachtet er als eine seiner grössten Errungenschaften: «Damit versuche ich, das Problem zu lösen, über das ich so viel rede. Ich bringe den Leuten die Musikproduktion bei, damit sie mehr Ressourcen für die künstlerische Entfaltung haben. Sie können dann damit machen, was sie wollen. Es ist sehr spannend, dabei zuzusehen, wie Neues entsteht.»

Neue Tour führt auch nach Basel

Die dritte Europatour Hussein Sherbinis und seines Kollektivs ist übrigens für den Januar angesetzt und führt unter anderem ins Kraftfeld Winterthur, ins Palace St. Gallen und in die Kaschemme Basel.

Das ganze Album «Electro Chaabi» kann man hier hören:

Nächster Artikel