Christoph Meury verabschiedet sich aus dem Theater Roxy. Mit ihm zieht sich einer der grossen Pioniere der freien Theater- und Tanzszene zurück. Die TagesWoche hat noch einmal mit gesprochen.
Sie haben zu Ihrem Abschied ein Büchlein über Ihre Zeit als Leiter des Theaters Roxy herausgegeben. Darin äussern Sie sich selber aber lediglich mit ein paar Dankesworten. Diese Zurückhaltung ist nicht unbedingt ein Merkmal von Ihnen.
Ich hielt mich als Theaterleiter mit meinen Wortmeldungen nie zurück. Mit meinem Rücktritt aus dem Roxy war es für mich nun aber wichtig, mein Umfeld zu Wort kommen zu lassen – egal in welcher Form, niemand war dazu aufgefordert, eine Laudatio zu halten.
Sie schreiben aber auch: «Vieles müsste oder könnte noch gesagt werden…» Jetzt haben Sie die Gelegenheit dazu.
Ich habe das Roxy 14 oder genauer 18 Jahre lang mitgeprägt, damit ist die Geschichte des Theaters aber noch nicht zu Ende. Ich hätte noch viele Ideen, wie es weitergehen könnte und was getan werden müsste. Aber das ist jetzt nicht mehr meine Aufgabe, also möchte ich dazu auch nicht mehr viel sagen. Zur Kulturpolitik könnte ich mich natürlich noch äussern, aber das würde wohl den Rahmen dieses Gesprächs sprengen…
Dann werden wir etwas konkreter: Mit welchen Gefühlen treten Sie nun ab?
Mit guten Gefühlen. Das Projekt hat sich etabliert, man spricht vom Roxy. Es wurde zum wichtigen Player im freien Theater- und vor allem im Tanzschaffen und ist bei den entscheidenden Festivals mit von der Partie. Das Theater ist überdies extrem gut vernetzt. Damit habe ich das erreicht, was ich mir selber vorgenommen hatte.
Sie haben nicht nur mit dem Roxy Pionierarbeit für die freie Theater- und Tanzszene geleistet. Sie haben die Kulturwerkstatt Kaserne mitbegründet, waren im ersten Leitungsteam der Zürcher Gessnerallee, haben das Festival Treibstoff mit ins Leben gerufen, das Theaterfestival Basel mit wiederbelebt etc. – habe ich etwas ausgelassen, was Ihnen wichtig erscheint?
Die Basler Tanztage vielleicht, die wie Treibstoff sechsmal stattfanden. Dazu etliche kleinere Förderprojekte, wie die Carte Blanche für den Tanz und ein neues Tanzförderprojekt, «Residance Basel 2012» heisst es, das jetzt unter der neuen Leitung konkretisiert wird.
«Auch das Roxy konnte nur gedeihen, weil die Szene und die regionale Kulturpolitik einen Produktionsort für das freie Theater- und Tanzschaffen brauchten.»
Sie waren also sehr oft massgeblich mit dabei, wenn es darum ging, neue Projekte, aber auch Orte für die Kultur zu finden und zu etablieren. Hört dieses Engagement jetzt einfach auf?
Das kann ich jetzt noch nicht so genau beantworten. Es hat sich ja sehr vieles geändert mit der Zeit. Zu ihrer Anfangszeit war die Kaserne Basel, damals hiess sie noch Kulturwerkstatt Kaserne, mehr oder weniger das einzige alternative Kulturzentrum zum traditionellen Angebot. In der Zwischenzeit sind viele neue Orte dazugekommen: das Roxy, der Gare du Nord, das Gundeldinger Feld, das Walzwerk in Münchenstein und so weiter. Was die Orte betrifft, ist mittlerweile eine gewisse Sättigung eingetreten, da ist mein Engagement nicht mehr so sehr gefragt. Ich hatte diese Orte auch nicht gesucht, um für mich ein eigenes Theater zu schaffen. Es ging vielmehr darum, ein vorhandenes Bedürfnis zu befriedigen, eine Bewegung zu unterstützen. Auch das Roxy konnte nur gedeihen, weil die Szene und die regionale Kulturpolitik einen Produktionsort für das freie Theater- und Tanzschaffen brauchten.
Das Roxy ist national, vielleicht sogar über die Landesgrenzen hinaus gut vernetzt und bekannt. Ist es denn auch in der Standortgemeinde Birsfelden angekommen?
Eine heikle Frage. Es gibt eine handverlesene Schar an Birsfelderinnen und Birsfeldern, die regelmässig ins Roxy kam. Das Hauptpublikum aber stammt aus der Stadt oder der gesamten Agglomeration.
Das Roxy war doch aber ursprünglich eine Initiative von Menschen aus Birsfelden, die auch im Sinn hatten, ein Kulturzentrum für Birsfelden zu schaffen. Unter Ihnen hat sich das Theater dann anders entwickelt. Lief dies ganz reibungslos ab?
Diese Positionierung war nicht so einfach. Zur Anfangszeit dachte man schon daran, eine Kleintheaterbühne mit wechselnden Gastspielen zu positionieren. Es stellte sich aber bald heraus, dass dies nicht der richtige Weg sein konnte – wir hätten für so ein Projekt auch keine Gelder vom Kanton erhalten. Es gab aber Leute, die sich nicht so gerne von der Idee des Kleintheaters vor der eigenen Haustüre verabschieden mochten. Aber ganz ausser Acht gelassen wurde diese Programmschiene ja nicht: Stiller Has, Acapickels, Ursus und Nadeschkin, Flamenco en Route, sie alle traten wiederholt im Roxy auf.
Auf was sind Sie im Rückblick besonders stolz?
Auf das Treibstoff-Festival, das Projekt, das sich am besten entwickelt hat. Es ist aus der Notsituation heraus entstanden, dass wir in der Kaserne Basel und im Roxy zu wenig gute Theatergruppen hatten, die wir auftreten lassen konnten. Wenn ich jetzt zurückblicke, was für Leute bei Treibstoff auftraten – Marcel Schwald, Boris Nikitin, Phil Hayes, Patrick Gusset, Marius Kob, Boris Brüderlin etc. –, dann erfüllt mich diese Initiative schon mit etwas Stolz.
«Junge Leute müssen ins Ausland, und viele von ihnen kehren nicht mehr zurück.»
Was ist mit dem Theaterfestival Basel, das Sie zusammen mit der Kaserne Basel erfolgreich revitalisiert haben?
Ich hätte noch gerne eine Ausgabe als Geschäftsleiter weitergemacht, aber man stellte sich auf den Standpunkt, dass es nur mit der neuen Roxy-Leitung weitergehen könne. Dabei war ich ja nicht für das Programm zuständig, sondern für die Arealgestaltung, für die Organisation und Logistik. Aber letztlich weiss ich nicht genau, warum ich nicht mehr mit von der Partie sein kann.
Sie haben sich stets auch für die freie Tanzszene eingesetzt. Diese hinkt aber, was die lokale Verankerung betrifft, im Vergleich zur lokalen Theaterszene noch hinterher. Warum?
Vielleicht können Einzelmassnahmen zu wenig bewirken. Die Situation ist ähnlich wie im Theater: Basel hat keine Schauspielschule, für den Tanz gibt es in der ganzen Schweiz keine wirklich umfassende Ausbildungsmöglichkeit. Junge Leute müssen ins Ausland, und viele von ihnen kehren nicht mehr zurück. Es gibt aber einzelne Protagonistinnen und Protagonisten, die gut unterwegs sind: Anna Röthlisberger, Viet Dang, Rebecca Weingartner oder Tabea Martin zum Beispiel. Aber es ist noch mehr an konzentrierter Förderung nötig.
Es gibt ja die Projektidee mit dem Titel «Residance Basel 2012». Warum geht es da nicht vorwärts?
Der Fachausschuss Theater und Tanz hat das Projekt vor anderthalb Jahren sistiert, weil sich das Gremium nicht einig wurde, wie die Förderung genau auszusehen habe. Es gibt keine klare strategische Linie. Philippe Bischof von der Basler Kulturabteilung, meint, es müsse etwas geschehen, sein Baselbieter Kollege Niggi Ullrich wiederum ist der Meinung, dass man ja bereits viel in die Tanzförderung investiere. So kommt kein richtiger Zug in die Sache. Ich hoffe aber, dass es hier bald vorwärts gehen wird.
«Niggi Ullrich war eine Art Sparringpartner von mir.»
Das Roxy wird vom Kanton Baselland unterstützt, der Leiter der Abteilung Kulturelles des Kantons, Niggi Ullrich, hat sich sehr dafür eingesetzt, Sie traten aber gleichzeitig als einer der schärfsten Kritiker der Baselbieter Kulturpolitik in Erscheinung. Hatten Sie keine Hemmungen, in die Hand zu beissen, die Sie fütterte?
Nein. Niggi Ullrich war eine Art Sparringpartner von mir. Wenn man Höchstleistungen erbringen möchte, sind Auseinandersetzungen nötig – es ging aber immer um Inhalte und nicht um Persönliches. Im Kuschelexpress lässt sich so ein Ding nicht durchziehen. Ich stamme aus einer Generation, die sich als Dschungelkämpfer betätigen musste. Wir mussten um unsere Anliegen kämpfen, das war nicht nur im Roxy so. Letztlich kam ja aber alles gut heraus, der Landrat bewilligte die Kredite und Subventionen mit jeweils deutlichen Mehrheiten.
Ist der kämpferische Einsatz eine Charaktereigenschaft von Ihnen? Sie mischen sich ja sehr gerne und jeweils pointiert in aktuelle kulturpolitische Diskussionen ein?
Es gibt Themen, die mich extrem interessieren und zu denen ich mich gerne äussere. Ich verstand den öffentlichen Diskurs als Teil meiner Arbeit. Das Roxy ist ein öffentlicher Ort, ich wollte nie still mein privates Theater leiten.
Was geben Sie nun Ihrem Nachfolger Sven Heier an Ratschlägen mit auf den Weg?
Ich möchte keine Ratschläge erteilen, er muss selber wissen, in welche Richtung er das Roxy führen möchte. Das wird er auch. Für mich war der Vorlauf wichtiger. Das Roxy ist gut aufgegleist, steht infrastrukturell mit der Probebühne gut da, es ist gut vernetzt und es gibt ein attraktives Portfolio. Ich bin nicht unersetzbar. Ich war Stellvertreter für einen Ort, der den Künstlerinnen und Künstlern die Möglichkeit eröffnete, ihre Projekte zu produzieren. Dieser Ort wird weiterbestehen, auch wenn es zu Wechseln kommen wird. Aber das ist der ganz normale Lauf der Dinge. Ich kann nur wiederholen: Ich konnte das tun, was ich tun wollte. Jetzt lege ich erst einmal eine Pause ein. Was dann folgen wird, weiss ich noch nicht. Vielleicht ein neues Hotel?
Sie meinen zusätzlich zum Kurhaus in Bergün, das Sie mit wiederaufgebaut haben?
Ja, ich bin ja seit zwölf Jahren auch Tourismusspezialist (lacht).
Nach 18 Jahren übergibt der ausgebildete Sozialarbeiter das Roxy Ende September nun an seinen Nachfolger Sven Heier. Dieser wird seine Ära als Theaterleiter am 31. Oktober im Rahmen von Culturescapes mit einer Art Minifestival einläuten: mit einer eigenen Produktion von Ivna Zic, Lea Letzel und Natasa Rajkovic einer Performance von Mala Kline und zwei Tanzstücken.