Seit Ira Mays Album «The Spell» auf Platz 1 der Schweizer Charts war, tourt sie durch das Land. Zugleich plant sie ihr neues Album – weniger Retro soll es sein. Die 27-Jährige spricht im Interview über ihre Affinität zu grauem Wetter in England, ihr früheres Leben als Soldat und erzählt einen Witz über Jesus.
Am 6. August tritt Ira May mit ihrer Band auf dem Kulturfloss auf. Sie fährt von Auftritt zu Auftritt, seit ihr erstes Album «The Spell» Ende Januar herauskam und es an die Spitze der Schweizer Charts brachte. Iris Bösiger, wie sie mit bürgerlichem Namen heisst, war mitsamt ihrem Berliner Label «Peripherique» aus dem Häuschen über den Erfolg. Jetzt blickt sie in Richtung ihres nächsten Albums: Es soll weniger Retro werden als das jetzige.
In einem Café in Sissach, wo sie geboren ist und lebt, kommen wir darüberhinaus zu ganz anderen Themen: Die 27-Jährige spricht über ihre Affinität zu grauem Wetter in England, ihr früheres Leben als Soldat in Israel und erzählt einen Witz über Jesus.
Ira May, Sie treten sehr viel auf seit ihr Album Ende Januar erschienen ist. Wieviel geht noch?
Ab Oktober machen wir Pause bis Ende Jahr. Für mich zählt Qualität statt Quantität. Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass wir überall zu hören sind.
Kommt es gut, so viel auf der Bühne zu spielen?
Unterschiedlich. Ich bin nicht immer gleich fit für ein Konzert. Im Sommer finde ich angenehm, dass wir draussen spielen. Frische Luft statt vollgepackter Keller.
Spielen Sie anders, wenn Sie im Club oder unter freiem Himmel auftreten?
Ja. Bei Clubkonzerten kommen die Leute wegen mir. Am Festival hat man viel Publikum, das nicht weiss, auf was es sich einlässt. Man muss mehr Überzeugungsarbeit leisten.
Sie haben einige Male in Deutschland gespielt. Ist das Publikum dort anders?
Schwer zu sagen, wir haben dort meistens als Vorband gespielt, und das kann sehr undankbar sein. Aber nicht so bei Jamie Cullum. Wie das Publikum dort abging, war der Wahnsinn. Jamie Cullum hat während unserem Set von der Bühne aus zugehört. Das rechne ich ihm hoch an.
Gibt es Musiker, die besonders wichtig sind für Sie?
Das bleiben immer die gleichen, auch wenn welche dazukommen. Stevie Wonder ist die Stimme für mich, ausserdem Janis Joplin – auch wenn ich sie nicht den ganzen Tag hören könnte – und Aretha Franklin. Später habe ich angefangen, weniger bekannte Soulmusiker zu suchen und bin auf extrem tolle Sängerinnen und Sänger gestossen. Debbie Taylor zum Beispiel oder Linda Jones. Es gibt Unmengen.
Ihre Musik und ein Video zitieren alte Stile. Wieviel Retro darf sein?
Ich muss ehrlich sein: Mein Album «The Spell» und das Video «Bigger Plan» sind für mich hart an der Grenze zum Kitsch. Ich stehe auf Retro, aber wir leben heute. Deswegen muss ein Mix her. Ausserdem interessiere ich mich gerade mehr für unbekannte Musiker. Mein zweites Album muss rougher werden.
Müssen Sie sich von etwas loslösen?
Ich muss mich von nichts loslösen, weil ich mich auf nichts festgelegt habe. Meine Musik muss echter werden, organischer. Wenn ich jetzt im 60er-Jahre-Röckli auftreten würde, wäre das Bild der Schweizer Amy Winehouse komplett. Das will ich nicht und bin ich nicht.
«Ich suche nicht. Ich weiss, wie meine Songs tönen sollen.»
Wie suchen Sie nach einer Musik, die mehr die Ihre ist?
Ich suche nicht. Ich weiss, wie meine Songs tönen sollen, und diesen Klang will ich erreichen. Beispiel: Viele Songs von meinem jetzigen Album haben 60er-Jahre-Drumbreaks drauf. Die will ich auf meinem nächsten Album nicht haben. Ich höre gerade viel Black Keys. Die machen einen Mix aus Rock, Blues und Soul, der zu etwas Eigenem wird. Dieses Element will ich in meinen Songs.
Geht es weniger um die Komposition als um die Instrumentalisierung?
Ja. Das Gute ist, dass ich meinem Produzenten Shuko Lieder schicken kann und ihm sagen: So soll es tönen. Er weiss genau, was ich meine und teilt meine Empfindung, dass mein Sound rougher werden muss. Ich wüsste nicht, wie ich mit jemandem besser zusammenarbeiten könnte.
Ihr Video «Let You Go» spielt in London. Mögen Sie Grossstädte?
Manche Städte schätze ich sehr, eben London. Doch ich habe schnell eine Reizüberflutung. In Basel habe ich meine Ausbildung gemacht, doch es kam mir selten in den Sinn, am Wochenende dort in den Ausgang zu gehen. Ich mache gern mit Kollegen eine Grillparty am Waldrand und höre dabei Musik.
Dabei sind Ihre Konzerte ein Stadtformat.
Im Publikum bekomme ich schnell mal Platzangst, aber auf der Bühne ist das etwas anderes. Und wenn ich in Basel spiele, bin ich in einer Viertelstunde in Sissach. Ich komme gern abens wieder heim. Wenn ich in einer Stadt wohnen würde, dann weiter weg. Etwas, was ich nicht kenne.
Sie sind bei einem kleinen Label. Ist das das richtige für Sie?
Bis jetzt auf jeden Fall. Bevor Shuko auf mich zukam, hätte ich keine Chance gehabt, irgendwo ein Album aufzunehmen. Es war klar, dass ich wie er bei Peripherique unterzeichnen würde. Und wer ist schon mit einem so kleinen Label auf Platz 1 der Schweizer Charts? Es beweist, dass sich die Musik durchsetzt, obwohl das Bussines eine Riesenmaschinerie ist.
In welchem Land würden Sie gern auftreten?
In England.
Woher haben Sie die Affinität zu diesem Land?
Die hatte ich schon immer. Auch eine Sehnsucht. Vielleicht habe ich in einem anderen Leben schon mal dort gelebt…
Sie haben schon einmal gelebt?
Ich glaube schon (lacht). Ich bin eine starke Anhängerin davon.
Was wissen Sie denn über Ihr früheres Leben?
Ich habe Rückführungen gemacht und viel darüber gelesen. Einmal war ich in einem nahöstlichen Land, vielleicht Israel. Es war kurz nach Christus und ich war ein Mann. Ich habe es körperlich gespürt.
Wie fühlt sich Mannsein an?
Man spürt eine andere Kraft. Ich war Soldat im Krieg.
«Ich mag englische Städtchen, die grau und verhangen sind. Ich empfinde das als passend.»
Und warum England?
Ich gehe hundertmal lieber dorthin als in den Süden. Ich war kürzlich seit Jahren das erste Mal wieder im Süden. Es war schön, aber nicht meins. Ich habe gern, wenn es neblig ist und verhangen.
Mögen Sie dunkle Stimmungen?
Die sind ein grosser Teil von mir, natürlich. Ich bin ein melancholischer Typ, das hört man auch in meiner Musik. Wenn ich in einem englischen Städtchen bin, das grau und verhangen ist, empfinde ich das als passend. Es erdrückt mich nicht, es ist geerdet.
Was bringt Sie zum Lachen?
Schwarzer Humor. Ein paar Leute in meinem Umfeld sind hemmungslos, schamlos und selbstironisch. Sie können Dinge in Situationen sagen, die völlig unpassend sind. Dadurch brechen sie aus etwas aus. Das tut mir sehr gut. Ich selbst mache es genauso. Wenn ich einen Auftritt habe in einem Chalet in St. Moritz, total versnobt, stinkreich, und man muss Finken anziehen, dann habe ich das Bedürfnis, mich total daneben zu benehmen.
Wo ist der Humor zu Ende?
Die Grenze ist instinktiv vorhanden. Klar gibt es die! Die menschliche Würde darf nicht berührt werden. Ich disse nicht. Es ist schön, zusammen und über sich selbst zu lachen.
Kennen Sie einen guten Witz?
Eine Freundin aus der Primarschule hat mir vor Jahren einen erzählt. Es ist der Einzige, den ich immer behalten habe: Jesus hängt auf dem Hügel am Kreuz und ruft Petrus: «Komm rauf zu mir!» Petrus schafft es kaum an den Wachen vorbei, doch irgendwann gelangt er blutüberströmt zu ihm. «Schau», sagt Jesus, «von hier oben kann man dein Haus sehen.» – Der ist fein, ich glaube Jesus könnte mitlachen.
Mögen Sie Jesus?
Ich habe Probleme mit dem Drumherum. Obwohl ich Kirchen mag, das sind altehrwürdige Orte. Für mich ist Gott keine Person, sondern eine Kraft.
Wann spüren Sie die?
Heute hatte ich einen Moment. Ich lief vom Coop heim und hörte Musik. Ich war mit mir selbst im Reinen, das ist Glück für mich. Es hat keinen Grund, und man kann es nicht festhalten. Dafür muss ich nicht auf einer Bühne stehen. Im Gegenteil.
Haben Sie Angst vor der Bühne?
Im Vorfeld häufig, ja. Wenn ich dann oben stehe, fühle ich mich sehr wohl.