Die klassische Musik muss aus ihrer Sackgasse geführt werden, sagt der Basler Komponist Raphael Sommer. Und glaubt, den Weg mit seinen 24 Jahren bereits gefunden zu haben. Lebt er in einer Traumwelt?
Das ist mal eine Frisur! Man muss irgendwie um die Kurve schauen, um unter dem Scheitel das linke Auge von Raphael Sommer zu erblicken. Konzipiert hier jemand sein eigenes Markenzeichen? «Ach nein, das war schon immer so», winkt er ab. Ganz abnehmen mag man ihm das nicht. Dafür ist seine Selbstinszenierung als «Kunstpionier» viel zu konsequent.
Zugleich ist Raphael Sommer sehr bescheiden. Zu unserem Treffen vor dem Stadtcasino Basel, wo seine Orchesterkompositionen an diesem Samstag aufgeführt werden, komme ich zu spät, und Sommer steht im Regen. «Kein Ding», sagt er und fragt stattdessen, ob er noch zu Ende rauchen darf. Irgendwann viel später will er wissen, ob ich es eigentlich okay finde, wenn er mich duzt. Ich hatte damit unwillkürlich schon am Telefon begonnen.
Ein neuer Musikstil
Man staunt nicht schlecht, wie Raphael Sommer diese Zuvorkommenheit mit Ansichten unter einen Hut bringt, bei denen die Decke hochgeht. Wir sitzen bei Hall und Eiseskälte im Hans Huber-Saal des Stadtcasinos, der junge Spund hat die Beine übereinander geschlagen und verkündet mit ruhiger Eloquenz eine Ansage nach der anderen. Meistens mit der Einleitung: «Um das zu beantworten, muss ich weiter ausholen.»
Ganz grundlegend findet er, die klassische Musik stecke in einer Sackgasse. «Meine Lebensaufgabe ist es – und war es schon immer – sie dort hinauszuführen.» Dafür habe er sich während der letzten fünf Jahre genau angehört, was die klassische und die Filmmusik zu bieten haben, jeweils das beste herausgenommen und zu einem neuen Musikstil verschmolzen.
Elbenwald und Eisberge im Saal
Das heisst bei ihm, dass nach wie vor klassische Musiker auf der Bühne sitzen, die Zuschauer aber nicht einschlafen, sondern durch die Show so gepackt werden sollen wie bei einem Fantasyfilm. Dazu erzählen Schauspieler eine selbst geschriebene Story von einem Land, in dessen Name ein Apostroph vorkommt. Ein Chor singt in einer Fantasiesprache, die sich Sommer selber ausgedacht hat. Die Heldenstory wird mit Filmeinlagen, Lichtinstallationen und, last but not least, mit Dufteffekten aufgeladen. Für das Orchester hat Sommer Profimusiker aus der ganzen Schweiz zusammengetrommelt.
«Musik funktioniert besser, wenn man sie mit einer Geschichte verbinden kann. Und ich spreche damit Junge und Alte an.» Sein Traum ist nicht, einmal die Musik für eine grosse Hollywoodproduktion zu schreiben (er mag Hollywood nicht), sondern in der Schweiz ein neues Genre aus Filmmusik und Schauspiel zu etablieren. «Am liebsten würde ich meine Musik in einer riesigen Halle aufführen, wo die Zuschauer zwischen einem Elbenwald und Eisbergen sitzen.» So sieht sie also aus, seine Vision für die Musik, speziell für die Schweiz. «Die Schweizer Komponisten trauen sich nicht, über sich selbst hinauszugehen.»
Keine Vorbilder, keine Lehrer
Doch wie hört sich das eigentlich an? Am prominentesten kann man es in Severin Freis Kinofilm «Schweizer Geist» nachhören, zu dem Sommer die Musik komponiert hat. Wir erinnern uns: Zwischen Kamerafahrten über sonnendurchfluteten Nebel äussern sich naturnahe Schweizer über das Glück, in diesem Land geboren zu sein. Der Film schafft es, gänzlich unkritisch zu sein. Sommer intoniert das mit epischem Streicherapparat, viel Horn und aufgeregten Arpeggien. Die Schweiz als Fantasyworld, Sommer hat den Sound dazu. Ganz schön pathetisch, oder? «Finde ich gar nicht. Und ich hasse Kitsch. Ausser wenn es guter Kitsch ist. Die Melodie muss etwas rüberbringen.»
Damit hat er natürlich recht. Wer fiebert nicht dann und wann bei Fantasyfilmen mit und saugt bei der Kampfesrede des Königs die völlig übertriebenen Hörnersounds in sich auf? Trotzdem drängen sich ein paar Fragen auf. Wenn er das beste aus der klassischen Musik entnommen hat – wer ist sein Vorbild, wer inspiriert ihn? Da schüttelt er etwas angewidert den Kopf: «Niemand. Ich gehe meinen ganz eigenen Weg.» Und bei wem hat er gelernt? «Ich bin Autodidakt.» Ursprünglich aus Geldmangel, inzwischen ist er froh, gänzlich frei von Einflüssen zu sein.
«Ich hasse Selbstinszenierung»
Ein Revolutionär, der niemanden bewundert und sich alles selber beigebracht hat. Man staunt wie gesagt nicht schlecht. Das Witzige ist: er auch. «Ich hasse Selbstinszenierung», sagt er. «Aber als Künstler muss man sich halt vermarkten.» Und irgendwie glaubt man es ihm. Inzwischen nestelt er in seiner kastenförmigen Tasche herum. Er könnte damit auch als Hausarzt auftreten, nicht? «Öhm, ja, genau.» Er lacht.
Man möchte diesen Gesprächspartner, der so sehr an sich glaubt, irgendwie aufs Kreuz legen. Aber es kommt nicht dazu. Nicht, dass man daran scheitern würde. Vielmehr überlegt man, entgegen aller Vermutung, doch in das Konzert am Samstag zu gehen.
- «Die Welt von Ar’ven. Episode 1», Samstag, 21. September, 20 Uhr, Stadtcasino Basel.
Die TagesWoche verlost 3 x 2 Tickets für das Konzert am Samstag im Stadtcasino. Tragen Sie die Antwort auf die folgende Frage unten ins Kommentarkästchen ein. Die schnellsten Drei bekommen die Tickets per Mail zugeschickt.
Wieviele Schauspieler spielen in «Remote Basel» mit, der aktuellen Theaterproduktion von Rimini Protokoll?