«Ich will kein Overachiever mehr sein»

Im zweiten Teil des Interviews erzählt uns der Rapper und Mundartpoet Greis, warum er eigentlich kein Musiker ist und in Zukunft vielleicht eine Imbissbude aufmacht.

«Vielleicht verkaufe ich in Zukunft Brillen oder eröffne einen Imbissstand in Basel.».» (Bild: Matthias Willi)

Im zweiten Teil des Interviews erzählt uns der Rapper und Mundartpoet Greis, warum er eigentlich kein Musiker ist und in Zukunft vielleicht eine Imbissbude aufmacht.

Greis, ihr neues Album «MeLove» kommt nicht nur sehr positiv, sondern auch sehr poppig daher. Fühlen Sie sich dem kriselnden Hip-Hop-Genre überhaupt noch verbunden?

Natürlich. Im Gegenteil: Ich fühle mich der Hip-Hop-Kultur heute sogar noch stärker verbunden als in den letzten Jahren. Zuvor hatte ich mich eine Zeit lang stark abgegrenzt, einerseits gegenüber der kommerziellen Vereinnahmung des Genres, andererseits wollte ich aber auch das musikalische Korsett des Raps ablegen. Das hat allerdings nicht geklappt.

Warum nicht?

Ich musste einsehen, dass ich eigentlich kein Musiker bin, zumindest nicht im engeren Sinne. In meinem letzten Album versuchte ich, den Rapper hinter mir zu lassen und plötzlich zum Songwriter zu werden. Das konnte nicht funktionieren. Ganz ehrlich: Mir fehlt das musikalische Fundament, die Basis und der Hintergrund.

Banal gesagt: Ich komme einfach nicht draus. Ich verstehe die Komplexität des Komponierens zu wenig, und da liegen wohl auch nicht meine Stärken. Nun habe ich mich damit zufrieden gegeben, ein Rapper zu sein. Allerdings mit dem Anspruch, ein guter Rapper zu sein, der sich leidenschaftlich für Musik interessiert und begeistert – und offen für alle möglichen Einflüsse ist.

Einer Ihrer wichtigsten musikalischen Einflüsse ist Claud, Ihr langjähriger Produzent und musikalischer Partner. Wenn Sie von ihm sprechen könnte man fast den Eindruck bekommen, Ihre Beziehung sei ziemlich hierarchisch. Das heisst: Claud ist in musikalischen Fragen der Boss, eine Autoritätsperson, die bestimmt wo’s lang geht.  

Das stimmt, oder sagen wir: das stimmt zumindest teilweise. Claud ist ein sehr bestimmter und bestimmender Typ. Er hat eine ausgeprägte Meinung und sehr konkrete musikalische Visionen. Er weiss, wie der Track am Ende klingen soll und versucht natürlich, das dann auch um- und im Zweifelsfall durchzusetzen.

Dass Sie nur «Ja und Amen» sagen, mag man Ihnen aber nicht recht glauben.

Natürlich nicht. Es ist ein Prozess, ein gemeinsamer Austausch. Und manchmal auch eine Art Kräftemessen. Wenn wir unterschiedlicher Meinung sind, gewinnt derjenige, der den anderen überzeugen kann. Claud ist schwer zu überzeugen, schon gar nicht, wenn ich selber von meiner Idee nicht ganz überzeugt bin. Aber wenn mir etwas wirklich wichtig ist, setze ich mich trotzdem durch.

Also kein destruktiver Kampf, sondern ein konstruktiver Wettkampf?

Es ist vielmehr eine kreative Auseinandersetzung, an der beide ständig wachsen. Ich mag Menschen, die Autorität ausstrahlen, und ich mag es insbesondere an Claud, dass er diese Autorität besitzt. Mittlerweile bin ich selbstbewusst genug, um zu meinen Wünschen und Vorstellungen zu stehen und wenn nötig auch darauf zu beharren.

Wie sieht das konkret aus, wenn Sie zusammen arbeiten? Sie sind ja nicht ständig gemeinsam im Studio, sondern schicken sich Ideen und Entwürfe teils über den ganzen Globus hinweg zu. (Anmerkung: Claud lebte während der Aufnahmen vorübergehend in Hongkong, Greis in Italien.)

Genau. Grundsätzlich will er immer mehr, und ich immer weniger. Er will mehr Spuren, komplexere Arrangements und ausgetüfteltere Reime. Ich dagegen versuche immer alles so einfach und minimalistisch wie möglich zu halten. Beim neuen Album hat Claud sich etwa von Mark Ronson inspirieren lassen. Vor zwei Jahren hätte ich noch gesagt: «Spinnsch?!»

Heute nicht mehr?

Nein, heute finde ich es plötzlich cool, mal etwas ganz Klassisches zu machen, das musikalisch wenig originell daher kommt, dafür aber leicht, beschwingt und humorvoll klingt – was nämlich alles andere als einfach ist.

Ich wiederum hatte Lust, die brachiale Ästhetik alter Hip-Hop- und Breakbeats zu rezyklieren, mich also mit den Wurzeln der eigenen musikalischen Herkunft auseinanderzusetzen. Früher war ich für so etwas viel zu versnobt, das wäre mir sicherlich zu simpel gewesen. Dabei hat diese Musik eine rohe Kraft und darum unglaublich viel Energie. Tja, und aus diesen beiden Gegensätzen hat sich dann der Sound des Albums herauskristallisiert. Ein Album, das Spass macht und mitreisst, das man sich hoffentlich gerne anhört.

Es gibt noch einen weiteren Punkt, bei dem sich «MeLove» von seinen Vorgängern unterscheidet: Sie rappen und singen auffällig oft auf Französisch. Warum? War das eine Strategie, um Ihre Schreibblockade zu überwinden?

Zum Teil, aber nicht nur. Ich habe in den letzten Jahren viel mehr vor französischem Publikum gespielt. Das und meine Gesangstunden gaben mir die Sicherheit, öfter auf Französisch zu singen – denn das ist viel «gäbiger», da die Wörter und Vokale besser fliessen, was einem wiederum mehr Möglichkeit, mehr Freiheit beim Texten und Komponieren gibt.

Umgekehrt ist Französisch weniger perkussiv. Das fällt mir auf, weil ich oft und gerne unterwegs Lyrics schreibe, etwa im Zug oder in der Beiz. Das geht auf Schweizerdeutsch besser, hier verläuft die Sprache hart und eckig, wie Punkte, die man auf Zeilen setzt. Im Französischen muss ich die Texte laut vor mich her sagen, damit sie rhythmisch «verheben» – sonst klingt am Schluss alles wie Béchamel-Sauce für die Ohren. Ich habe natürlich versucht, das wann immer möglich zu vermeiden. (lacht)

Davon können sich Ihre Fans bald selber ein Bild machen: Von Mai bis August touren Sie wieder durch die gesamte Schweiz. Dies, obwohl Sie schon mehrfach angekündigt haben, dass sie nicht mehr so oft auf der Bühne stehen wollen.

Das stimmt so nicht ganz: Ich trete gerne live auf. Aber ich stehe (!) nicht mehr so gerne auf der Bühne. Ich bin gerade 34 geworden und kann mit den vielen Jungen im Publikum schlicht physisch nicht mehr mithalten. Und offen gesagt hab ich auch keinen Bock mehr, wie ein Heugumper herumzuhüpfen und mit den Armen zu fuchteln. Davon kriegt man am Ende eine Diskushernie, das können Ihnen nicht nur alle Ärzte, sondern auch einige bereits rückengeschädigte Berufskollegen bestätigen.

Das bedeutet, Sie stellen sich in Zukunft einen Barhocker auf die Bühne, so wie die alternden Rockstars, um in Ehren zu ergreisen?

Gute Idee. Heimlich beneide ich diese Typen nämlich jetzt schon um ihre Hocker. Spass beiseite: Ganz soweit ist es bei mir noch nicht, ich muss mir einfach was einfallen lassen, um die Leute bei Laune zu halten. Zurzeit plane ich ein etwas aufwändigeres Lichtkonzept mit einem Dutzend beweglicher Spots. Das hat den Vorteil, dass ich mich bei Nervosität auch gleich hinter der Lightshow verstecken kann.

Der letzte Track Ihres Album heisst «3210»: Ein Countdown zum Nullpunkt als vorläufiges Fazit. «MeLove» steht damit auch für einen Neuanfang von Null an. In welche Richtung geht es von hier aus?

Schwer zu sagen. Ich habe Gefallen gefunden an dieser neuen, légèren Art, dieser Unangestrengtheit. Ich will kein Overachiever mehr sein, wie es im Album auf «Gröné» so schön heisst. Ich glaube, es ist eine der grossen Krankheiten unserer Generation, das man sich stets selber übertreffen, sich stets ein neues Monument setzen muss, um nicht als Loser dazustehen. Dieser perfektionistische Irrglaube führt dazu, dass wir uns schon in jungen Jahren viel zu sehr unter Druck setzen und schliesslich völlig ausgebrannt und erschöpft fühlen.

Bisher hat’s mit meiner Karriere ja eigentlich ganz gut geklappt. Aber je besser es funktioniert, desto höher geht die Messlatte. Ist das Album ein Erfolg, wird das Weitermachen umso beschissener: Denn es wird immer schwieriger, die hohen Erwartungen zu erfüllen – seien es jetzt die eigenen, oder die Vorstellungen von Publikum oder gar Kritikern.

Können Sie sich überhaupt vorstellen, mit der Musik ganz aufzuhören?

Keine Ahnung. Ich hätte schon Bock, mal etwas ganz anderes, Bodenständigeres zu machen. Vielleicht verkaufe ich in Zukunft Brillen oder eröffne in Basel einen Imbissstand. Vielleicht gibt es auch mal wieder eine PVP-Reunion. Und vielleicht, oder sogar wahrscheinlich, lande ich früher oder später wieder bei der Musik. Für mich ist mittlerweile das Wichtigste, dass ich einigermassen glücklich bin.

Und, sind Sie mittlerweile «Glücklech»?

Im Moment: Ja. Sehr sogar.

  • Lesen Sie hier den ersten Teil unseres Gesprächs.
  • Greis: «MeLove», Soundservice. Ab sofort im Handel erhältlich. Plattentaufe: 28.4. Dachstock, Bern, 04.05. Schiff, Basel. Weitere Infos unter www.greis.ch.
  • Greis: Video zu «Enfant des Étoiles»:

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