Ihre Gesangsschule war das Leben

Die US-amerikanische Sängerin Annie Goodchild bereichert seit drei Jahren die Basler Musikszene. Jetzt veröffentlicht sie erstmals eine CD unter eigenem Namen. Am 10. September tauft sie diese am Silofest.

Mit ihrer Vielseitigkeit fordert Annie Goodchild ihre Hörer. «Ich bin schnell gelangweilt», sagt sie.

(Bild: Alexander Preobrajenski)

Die US-amerikanische Sängerin Annie Goodchild bereichert seit drei Jahren die Basler Musikszene. Jetzt veröffentlicht sie erstmals eine CD unter eigenem Namen. Am 10. September tauft sie diese am Silofest.

Wenn man Annie Goodchild fragt, wie sie zur Musik gekommen sei, dann sprudelt es aus der Sängerin nur so heraus. Man glaubt gerne, dass diese 30-jährige Frau aus Boston schon in ihren Kindheitsjahren laut und kreativ war. 

«Ich wollte zwar immer Musik machen, spielte Klavier und sang in Gospelchören. Die 200 anderen Sängerinnen und Sänger wirkten dabei wie ein Schutzschild. Doch alleine zu singen, dieser Gedanke paralysierte mich.» Weshalb die Musik jahrelang eine heimliche Obsession blieb. Nicht einmal vor ihrer Familie traute sie sich zu singen. 

Nach der High School lernte sie eine andere Schülerin kennen, die vorhatte, nach Guatemala zu reisen. Das klang genau nach dem Abenteuer, auf das die Teenagerin gewartet hatte. «Fünf Wochen später sassen wir im Flugzeug Richtung Süden.»

Die Überwindung der Bühnenangst

Als sich die Backpackerinnen eines Abends in der Dunkelheit verliefen, folgten sie den Klängen von Pink Floyds «Dark Side Of The Moon» («Ich war dieser Band eine Zeit lang verfallen») und landeten in einer Tequila-Bar. Der Zufall wollte es, dass ein Open-Mic-Anlass anstand, eine Gitarre die Runde machte und mit dieser die Aufforderung, ein Lied zu singen.

Als die Gäste Annie pushten, starb sie einerseits einen kleinen Tod – andererseits half der Tequila, ihre Selbstzweifel zu überwinden: Sie exponierte sich vor einem Publikum. «Es war furchtbar. Aber im Nachhinein auch wunderbar. Ich zupfte Akkorde, sang ein Tracy-Chapman-Lied und erhielt gleich darauf mein erstes Engagement. Da wusste ich: Jetzt brauche ich eine Band.»

Mit einem anderen reisenden Musiker verstand sie sich besonders hervorragend: dem holländischen Gitarristen Maarten Swan. «Es war eine musikalische Lovestory», sagt sie rückblickend. Die beiden entschieden sich Hals über Kopf, nach Amsterdam zu fliegen, um ihr Leben ganz der Musik zu widmen. Daraus entstand ihr erstes Bandprojekt: Melou.

Vom Berklee nach Basel

Melou genossen Gastrecht in besetzten Häusern, veröffentlichten Platten und reisten durch Westeuropa. Zwischendurch kehrte Annie Goodchild zurück nach Boston, studierte am Berklee College Gesang – «aber nach einem Semester zog es mich wieder auf Tour.» Ihre Gesangsschule war das Leben. 

Das hört man den Songs auf ihrer ersten EP an, die sie nun beim Basler Label Reelmusic veröffentlicht. Nur vier Lieder lang, ist die CD an Vielfalt schwer zu übertreffen: Schon nur im Opener «Green eyed monster» spürt man den cineastischen TripHop von Portishead, die verträumte Tiefe einer Annie Lennox oder die Experimentierfreude einer Roisin Murphy. Sehr vielseitig, sehr vielschichtig also – aber auch schwer einzuordnen.

Vielschichtige Popsongs

Die 19 Minuten auf «A Random Physical Sensation» sind ein Showroom, den man betritt und bestaunt, mitgerissen von einer reizvollen Ungreifbarkeit zwischen Soul und Pop, die allerdings manche Zuhörer überfordern dürfte. «Ich bin schnell gelangweilt», sagt Goodchild. Das mag nicht nur ein Grund sein für ihre eklektische Musik, sondern auch für ihre an Anekdoten reiche Biografie.  

Vor sechs Jahren etwa nahm sie in New York an einem Casting teil. Dem vorläufig einzigen in ihrem Leben, «denn ich fühlte mich so unwohl dabei, dass ich mir schwor, nie mehr an eine Audition zu gehen», sagt sie. Die Überwindung aber zahlte sich damals aus, denn sie erhielt ein festes Engagement in einem Stück der britischen Theatercompany Punchdrunk. «Sleep No More» spielte in einem fiktiven Hotel mit zahlreichen Räumen, voller Anspielungen auf Hamlet und Hitchcock. Im Nu wurde es zur grossen Theatersensation in New York. «Meine Rolle war es, in einer Bar der 30er-Jahre zu singen. Ich liebte es», sagt Goodchild.

Nach zwei Jahren traf sie eine andere Liebe zu einem Mann, einem Schweizer. Sie quittierte den Job, verpasste dadurch, wie Björk auftauchte und mit dem Cast eine Party feierte. «Zehn Tage nach meiner letzten Vorstellung – gemein!»

Ein Youtube-Hit im Retrokleid

Zu noch grösserer Popularität verhalf Annie Goodchild – der Name ist übrigens ein Pseudonym – aber nicht die Bühne, sondern das Internet: Postmodern Jukebox heisst ein Projekt von US-Musikern, die aktuelle Pop-Hits in ein Retrokleid stecken. Annie Goodchild sang mit ihnen u.a. «Roar» von Katy Perry. Das Video wurde in drei Jahren drei Millionen Mal angeschaut. «Ein lustiges Projekt – heute noch trete ich mit ihnen auf, wenn sie in Europa sind.»

Trauert sie dem pulsierenden New York nicht nach, nun, da sie der Liebe wegen im überschaubaren Basel lebt? «Nein, ich habe nicht das Gefühl, dass ich hier schon alles gesehen und erlebt habe. Ich würde zum Beispiel gerne mal jodeln lernen», sagt sie, und: «Ich habe hier tolle Musikerinnen und Musiker kennengelernt, es geht ständig weiter, auch mit dem eigenen Material.» 

Die Neugierde treibt sie an, so erstaunt es auch nicht, dass sie für das Gespräch keine klassische Expat-Kneipe, sondern eine Bar in Kleinhüningen, am Wasser, vorgeschlagen hat: die «Landestelle».

Annie Goodchild ist in Basel gelandet. Es wäre schön, wenn sie noch ein bisschen bleiben würde.

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Annie Goodchild: «A Random Physical Sensation», Reelmusic.
Live: Silofest, Erlenmatt Ost, Basel. 10. September, 20.45 Uhr.

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