«Il Postino» erhielt einen Oscar, verdient hätte der Film mehrere

Ein Pöstler, der zum Dichter wird, verzauberte in den Neunzigerjahren das Kinopublikum. Anlässlich einer Philippe-Noiret-Hommage zeigt das Stadtkino nun «Il Postino» wieder einmal auf der grossen Leinwand.

Eine spezielle Männerfreundschaft: Mario Ruoppolo bittet Pablo Neruda um Hilfe.

Ein Pöstler, der zum Dichter wird, verzauberte in den Neunzigerjahren das Kinopublikum. Anlässlich einer Philippe-Noiret-Hommage zeigt das Stadtkino nun «Il Postino» wieder einmal auf der grossen Leinwand.

Fischer sollte Mario Ruoppolo werden, wie der Vater und wohl auch der Grossvater vor ihm. So gehört sich das in den Fünfzigerjahren in dem kleinen Fischerdorf auf einer kleinen italienischen Insel. Doch der Sohn schlägt aus der Art, er verträgt die Feuchtigkeit auf dem Meer so schlecht, erkältet sich davon. Der Vater kann darob nur den Kopf schütteln – was soll aus dem unnützen Sohn bloss werden?

Just als weder Sohn noch Vater weiterwissen, zieht der verfolgte chilenische Volksdichter und Kommunist Pablo Neruda auf die Insel ins Exil. Und für Mario Ruoppolo kommt die Chance seines Lebens: Er wird Hilfspöstler und radelt fortan einmal täglich den Hügel zu dessen abgelegenen Haus hinauf.

Aus diesem Plot hat Michael Radford 1994 einen Film gedreht, der zu Herzen geht (und am Ende auch die Tränendrüsen nicht vernachlässigt). Der schüchterne und unbeholfene Mario, dem in der Gegenwart seiner angebeteten Beatrice kein Wort über die Lippen kommt, ist fasziniert davon, was der Dichter mit Worten anstellen kann. All seinen Mut nimmt er zusammen und bittet die Berühmtheit um Hilfe. Und mit der Kunst der Metaphern, von deren Existenz der Fischersohn bislang keine Ahnung hatte, gelingt es ihm schliesslich, das Herz der Dorfschönheit zu erobern.

So gross kann die Freude über eine Metapher sein:

Der Film, der mit Preisen überschüttet wurde und das Publikum scharenweise ins Kino zog, ist selbst ein Gedicht. Er gewinnt den Zuschauer mit seiner ruhigen Art, verstrickt ihn in die Worte, die zwischen Meister und Zögling hin- und hergehen.

Es ist ein stiller Film, der wie auch die Figur Nerudas taktvoll umgeht mit der Unwissenheit der Inselbewohner. Der es schafft, ihre unschuldige Naivität nicht als lächerlich vorzuführen, sondern die darin enthaltene unverstellte Ehrlichkeit in den Fokus zu stellen.

Poesie und Politik

Will man in diesem wunderbaren Film eine Schwäche suchen, so findet man sie nur in der Darstellung der politischen Umstände – obwohl gerade diese am Ende eine alles entscheidende Rolle spielen. Denn Mario wird nicht nur von Nerudas Poesie beeinflusst, sondern auch von dessen überzeugtem Kommunismus.

Politik hatte bis zu Nerudas Eintreffen keinen Einfluss auf das Leben der Inselbewohner. Die Unruhen, zu denen die Proteste der Kommunisten gegen die Regierung der Nachkriegszeit führen, kosten den Fischersohn aber schliesslich das Leben. Wie es überhaupt so weit kommt, vermag der Film jedoch nur ungenügend aufzulösen.

Noiret, Troisi und der Oscar

Unbestritten wiederum ist die schauspielerische Leistung der Beteiligten. Philippe Noiret gibt seinen Pablo Neruda gleichermassen aufgeschlossen wie unnahbar, und Massimo Troisi verschmilzt mit seiner Rolle als Mario Ruoppolo regelrecht. Es war die Rolle seines Lebens – in jedem Sinne: Am Tag nach dem Abschluss der Dreharbeiten, am 4. Juni 1994, verstarb der Schauspieler an einem Herzinfarkt.

Troisi hatte während des Drehs auf eine dringende Herzoperation verzichtet. 1996 wurde er postum für den Oscar als bester männlicher Hauptdarsteller nominiert. Bekommen hat diesen dann jedoch Nicolas Cage für die Darstellung eines Alkoholkranken in «Leaving Las Vegas». «Il postino» musste sich – bei insgesamt fünf Nominationen inklusive Bester Film – mit dem Oscar für die beste Filmmusik begnügen. Verdient hätte das stille, anrührende Meisterwerk auch alle anderen.

Hommage an Noiret
Das Stadtkino widmet Philippe Noiret im August und September eine Hommage. 140 Filme hat der Franzose gedreht, darunter «Il postino». Er stand für Louis Malle vor der Kamera, für Claude Chabrol oder Bernard Tavernier. Das Stadtkino hat eine Auswahl getroffen, die unter dem Motto «Die vielen Gesichter des Philippe Noiret» steht. Ob der betuliche Onkel aus «Zazie dans le métro», der trottelig-verliebte Richter bei «La grande bouffe» oder der kauzige Filmvorführer des «Nuovo Cinema Paradiso» – sie alle kommen vor.
Filmtermine finden Sie auf der Website des Stadtkinos.

Nächster Artikel