Im Bird’s Eye fand Sarah Reid eine neue Familie

Um diese junge Frau ranken sich wilde Gerüchte. Sie habe eine Zeit lang bei Piraten gelebt. Und sie wechsle täglich die Farbe ihrer Augenbrauen. Tatsächlich liebt die Wahlbaslerin Sarah Reid Abenteuer. Auch musikalische.

(Bild: Nils Fisch)

Um diese junge Frau ranken sich wilde Gerüchte. Sie habe eine Zeit lang bei Piraten gelebt. Und sie wechsle täglich die Farbe ihrer Augenbrauen. Tatsächlich liebt die Wahlbaslerin Sarah Reid Abenteuer. Auch musikalische.

Für mich war sie das Highlight, die Entdeckung am diesjährigen BScene-Festival: Sarah Reid. Sängerin, Performerin. Im Jazzcampus trat sie mit Nobody Reads auf, flankiert von Nick Nobody (Gitarre, Gesang) und Florian Haas (Schlagzeug). Ihre Stimme liess aufhorchen, die Songs taten es ebenso. Das Trio ritt mal durch eine countryeske Landschaft oder raste in den Garagen-Rock. Unberechenbar. Eindringlich. 

Wer ist die junge Frau, die sich auf Basler Bühnen in die Herzen der Leute singt, mit Soul, mit Blues, mit Charisma … und, zumindest an der BScene, auch ganz nonchalant mit einer Flasche Bier in der Hand?

Zum Gespräch lädt sie in ein Reihenhaus in einer Kleinbasler Nebenstrasse. Hier lebt die 23-jährige Kanadierin mit Freunden in einer Hausgemeinschaft. Die Atmosphäre ist familiär, sie kamen ihr auch einmal bei der Miete entgegen. «Ich habe solch ein Glück, so nette Leute kennengelernt zu haben», sagt sie.

Vom Au-pair zur Frontsängerin

Dabei war aller Anfang schwer. «Ich war 18 und wollte Neuland entdecken, einen Ort, wo man eine andere Sprache spricht.» Allerdings fehlte ihr das Geld fürs Reisen. Also googelte sie den Satz «Wie man ohne Geld nach Europa kommt». Googles Antwort: als Au-pair-Mädchen.

So landete Sarah Reid am Rhein. Mit Baslern in Kontakt zu kommen, erwies sich für sie als schwierig. «Man empfahl mir die üblichen Expat-Lokale, Paddy Reilly’s und so, aber ich suchte etwas anderes: Schweizer Freunde.»

Am Tag, als sie 19 wurde, gab sie Basel eine letzte Chance. «Ich wandte mich ans Universum: Wenn ich nicht mindestens fünf Leute treffe, die meine Erfahrung hier positiv verändern, ziehe ich weiter.» Ihr Vorsatz wurde erhört: Durch Zufall landete Sarah Reid im Bird’s Eye, wo sie zu Live-Jazz ein Bukowski-Buch lesen wollte. Dabei kam sie ins Gespräch mit anderen jungen Leuten, Musikern, die sie mitnahmen, die sie in ihren Kreis aufnahmen. «Wir jammten zusammen, landeten im K6 des Theaters, wo wir improvisierten – und so gab ich mein erstes Konzert mit anderen Musikern.» Eine magische Nacht. «In dieser Nacht habe ich meine neue Familie kennengelernt», sagt sie. 

Das Kind einer Hexe und eines Pastors

Von ihrer eigentlichen Familie schien Reid Abstand zu brauchen. «Meine Mutter ist eine Hexe», sagt sie und lacht. Eine Hexe? «Wirklich wahr!» Früher habe die Mutter als Programmiererin für Microsoft gearbeitet, heute aber betreibe sie ein Naturheilkunde-Business. «Sie züchtet heilende Kräuter und stellt Tee und Heilmittel her.»

Und der Vater? «Ein Pastor. Ich wurde sehr streng erzogen, sehr religiös. Durfte keine Hosen tragen und auch keine säkulare Musik hören. Ob Jazz oder Rock: Das war für ihn alles Teufelsmusik.»



«Meine Mutter ist eine Hexe. Wirklich wahr!»

«Meine Mutter ist eine Hexe. Wirklich wahr!» (Bild: Nils Fisch)

Hat sie das Singen in der Kirche gelernt? Nein. So stereotyp lässt sich Sarah Reids Biografie nicht lesen. «Ich ging zur Kirche, doch dachte ich damals, ich könne nicht singen. Mir fehlte etwas für den Gospel.»

Richtig Musik zu machen, diesen Mut und dieses Vertrauen fasste sie erst in den letzten Jahren. Hier in Basel wurde der Grundstein dazu gelegt, der Abend im Bird’s Eye und im K6 öffnete ihr Türen zur lokalen Musikszene. So singt sie ausser bei Nobody Reads auch in der Formation mit dem schillernden Namen The Intergalactic Transdimensional Space Whale Whailers Kollektiv. 

Heute setzt Reid ganz auf die Musik, denn «ich bin im Moment für nichts stärker qualifiziert, glaube ich. Die Musik, die Poesie, das ist das, was bleibt am Ende des Tages. Und dabei fühle ich mich privilegiert. Denn ich liebe es zu lachen, zu schreien, zu singen. All das ist wie eine Massage für meine Emotionen.»

Nicht nur mit ihrer Stimme hinterlässt sie Farbtupfer, sondern mit ihrer gesamten Erscheinung: Da sind etwa die farbigen Augenbrauen, die sie je nach Tagesstimmung koloriert. Oder da ist der Schraubenschlüssel, den sie um den Hals trägt, «so was kann sehr praktisch sein!», sagt sie.

Und was ist mit all den wilden Gerüchten, die man sich über sie erzählt? Hat sie wirklich mal bei Piraten gelebt? «Nein, das ist übertrieben. Aber ich verbrachte mal auf den Philippinen ein, zwei Tage auf einem Piratenschiff.» Anekdoten wie diese hat die Reisefreudige einige auf Lager. Auf Grenada lebte sie mal in einem Haus mit zwölf Hunden. In Kapstadt sang sie mit einem Strassenmusiker, der Auftritt wurde als Youtube-Video zum kleinen Hit. Und in Abidjan, an der Elfenbeinküste, wurde sie eigens für ein Jazzfestival eingeflogen, «was ich noch immer nicht richtig glauben kann – ich habe solch ein Glück», sagt sie, dankbar, bescheiden auch.

Und obschon sie die Freiheit liebt und immer wieder ausschwärmt: Im Moment hält sie sich ein bisschen länger in Basel auf, um sich ganz auf Studioaufnahmen konzentrieren zu können. Was sie mit einem Ausdruck der Freude quittiert: «Woohoo!»  

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