Im Tanz mit dem Computerprogramm

In der Tanzperformance «Accalia» trifft Tänzerin auf abstraktes, digitales Wesen. Gezeigt wird die multimediale Aufführung in der Zollhalle im Stellwerk.

Die Tänzerin Elda Galdo tanzt und wird dabei von 3D-Scannern erfasst.

(Bild: Alexander Preobrajenski)

In der Tanzperformance «Accalia» trifft Tänzerin auf abstraktes, digitales Wesen. Gezeigt wird die multimediale Aufführung in der Zollhalle im Stellwerk.

Eine Frau steht auf einer grossen weissen Fläche. Sie dreht sich um und berührt die Leinwand. Dabei erscheinen viele kleine schwarze Punkte, die wie ein Fliegenschwarm aufschrecken. Die Frau läuft einige Schritte und zieht den Punkte-Schwarm hinter sich her. Dann macht die Frau zackige Bewegungen, hüpft über die weisse Fläche, während schwarze Balken auf der Leinwand scheinbar durch den Aufprall ihres Körpers aufspringen.

Ein Mann neben der weissen Fläche zieht die Schuhe aus und stellt sich neben die Frau. Er breitet die Arme aus, gibt Anweisungen, macht Bewegungsvorschläge, und während er dies tut, erscheinen im Hintergrund wieder die schwarzen Punkte in Form seines Arms. Elektronische Musik begleitet diese abstrakten und irgendwie magischen Bilder.

Wir sind bei den Proben der Tanzperformance «Accalia» in der alten Zollhalle des Stellwerks Basel. Die Frau ist die italienische Tänzerin Elda Galdo und der Mann der Choreograf Sebastian Zuber, der einen Tag vor der Premiere letzte Anweisungen gibt. 

Wahnsinn und Rauschzustand

«Es geht um die Begegnung zwischen einer Frau und einem abstrakten Wesen», sagt Zuber. «Dass es sich hier um ein Computerprogramm handelt, ist nicht so relevant.» Das Computerprogramm fungiert in «Accalia» als eine Art digitaler Tanzpartner für die einzige Tänzerin aus Fleisch und Blut, die im Stück auftritt.

Hinter dem Design und der Umsetzung steht das Künstlerkollektiv «undef», bestehend aus Philip Whitfield und Martin Fuchs. Mit einem 3D-Scanner werden die Bewegungen von Galdo erfasst und in Form von verschiedenen Formen, Mustern und Figuren auf der Leinwand und auf dem Bühnenboden wiedergegeben. Auch die Musik von Manuel Oberholzer reagiert direkt auf Galdos Tanzbewegungen.

Der Mensch bewegt sich und die Maschine reagiert, wir tippen Befehle in die Tastatur und der Computer führt sie aus – das kommt einem doch irgendwie bekannt vor.

Doch Computer und Bewegung, ist das nicht ein Widerspruch? «Auf jeden Fall!», sagt Zuber. Doch für den Choreografen sind die Zusammenhänge zwischen dem leistungsorientierten Menschen und dem Computer nur eine von vielen Interpretationsmöglichkeiten. Viel mehr gehe es um die Wechselwirkungen verschiedener Realitäten und die Neugierde, etwas zu entdecken – vielleicht im Zusammenhang mit dem Computer.



Zuber gibt am Tag vor der Premiere letzte Anweisungen.

Zuber gibt am Tag vor der Premiere letzte Anweisungen. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Zuber will mit der Performance nicht vermitteln, dass man sich durch das Internet von der Realität entferne. Der Choreograf spricht von Wahnsinn, Kreativität, Rauschzustand und exzessivem Arbeiten, und dabei merkt man, was ihm wichtig ist. Nämlich, dass der Zuschauer die Vielfalt an Zuständen wahrnimmt, die von Galdo und ihrem abstrakten Gegenüber tänzerisch dargestellt werden. Wo man diese Zustände findet und wie man sich selbst darin sieht, bleibt jedem selbst überlassen.

Ein Ziel – viele Ideen

Die Idee für die multimediale Tanzperformance entstand über ein Musikvideo, an dem Sebastian Zuber und das Künstlerduo «undef» beteiligt waren. In diesem Musikvideo werden Zubers Tanzbewegungen mit derselben Technik wie in «Accalia» erfasst und in digitalen Figuren wiedergegeben. Die drei waren sich einig: Das muss auf die Bühne! Und so entstand die Performance um das Computerprogramm. 

Für Zuber, der sich nach einem Jus-Bachelor für eine Tanzausbildung an der «Salzburg experimental academy of dance» entschied, ist «Accalia» die erste grössere Produktion, bei der er als Choreograf beteiligt ist. Er hat zuvor schon in kleineren Projekten mitgewirkt, doch war das immer nebenbei und unbezahlt. Dieses Mal könne er sich voll und ganz diesem Projekt widmen und habe auch zum ersten Mal genug Fördergelder.



Zuber: «Wenn wir hier sagen: Diese Pirouette gefällt mir nicht, dann hauen die beiden in die Tasten.»

Zuber: «Wenn wir hier sagen: Diese Pirouette gefällt mir nicht, dann hauen die beiden in die Tasten.» (Bild: Alexander Preobrajenski)

Seine Zukunft sieht er weiterhin im Tanz, doch die Arbeit als Choreograf liegt ihm am Herzen: «Das Zusammenschweissen von Gedanken finde ich sehr schön.» Das Spannende an der Zusammenarbeit sei, auf ein Ziel zuzusteuern, doch mit den Perspektiven aller Beteiligten darauf zu blicken.» Zuber betont, dass er nicht der Boss sei und es sich ganz klar um eine Zusammenarbeit handelt, wo das Endprodukt eine Kombination aus verschiedenen Ideen ist.

Und dann hauen sie in die Tasten

Anders als es sich die Leistungsgesellschaft von ihren digitalen Helfern erhofft, lebt der Tanz von der Überraschung. Jede Bewegung ist minimal anders, jede Performance eine neue Chance. In «Accalia» wird die Exaktheit des Computers mit der Flexibilität des Tanzes kombiniert, und genau davon lebt die Performance. Nicht alle Szenen sind choreografiert, und somit ist die Spontaneität der Teilnehmer gefragt.

Whitfield und Fuchs von «undef» sind sowohl während der Proben als auch bei den Aufführungen dabei, um Computer und Bewegungen aufeinander abzustimmen. «Wenn wir hier sagen: Diese Pirouette gefällt mir nicht, dann hauen die beiden in die Tasten», so Zuber.

Die digitale Technik steht nicht nur in der Performance im Vordergrund, sie war auch in der Vorbereitungsphase zentral. Anstelle von mündlichen Besprechungen fand ein grosser Teil des Ideenaustauschs über ein Online-Dokument statt, das für alle Beteiligten zugänglich war. Vielleicht nicht so erstaunlich im 21. Jahrhundert, doch Zuber war anfangs irritiert: «Zuerst habe ich mich schon gefragt, warum wir nicht einfach zusammensitzen können, um das zu besprechen. Doch diese Art von Kommunikation hat besser funktioniert als gedacht.»

Wenn sich die Zuschauer im Zollwerk versammeln und die tanzende Frau, den Punkte-Schwarm und die aufspringenden Balken bewundern, werden sie diese Fusion der Ideen und die harte Arbeit hoffentlich spüren. Trotz aller moderner Technik sollte die Performance emotional zugänglich sein. Eine möglichst grosse Vielfalt an Menschen sollte angesprochen werden. «Der beste Applaus ist der bipolare, wo gejubelt und gebuht wird», sagt Zuber.

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«Accalia», Premiere 3. Juni, weiterer Vorstellungen bis 9. Juni, in der Zollhalle beim Stellwerk Basel, 20 Uhr. 

 

 

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