In aller Bescheidenheit gigantisch

In Arlesheim hängt hochkarätige Kunst zwischen Lagerhallen und Parkplätzen – dank der Sammelfreude des schwäbischen Unternehmers Reinhold Würth.

Einer von vielen Farbklecksen inmitten grauer Fabrikatmosphäre: Roy Lichtensteins «Akt am Strand» (1977). (Bild: Foto: Sammlung Würth/©)

In Arlesheim hängt hochkarätige Kunst zwischen Lagerhallen und Parkplätzen – dank der Sammelfreude des schwäbischen Unternehmers Reinhold Würth.

Das Industriegebiet zwischen Birs und Autobahnzubringer heisst nicht umsonst «im Tal». Hier sortiert die Gemeinde Arlesheim Altmetall und Grobsperrgut. Hier gibt es Lagerhallen, Bikertreff und Erdgas-Tankstelle. Und die Gelegenheit, Kunst zu sehen, wie sie selbst im kulturverwöhnten Basel nicht alltäglich ist: Seit 2003 zeigt das Forum Würth hier Ausschnitte aus der gigantischen Firmensammlung, die deren Gründer in fast 50 Jahren zusammengetragen hat. Und die weiter wächst, als gebe es kein Morgen.

Die Kunst ist im Milliardenkonzern kein schmückendes Beiwerk. Sondern zentrales Element einer Firmenkultur, die den doch eher profanen Handel mit montagetechnischen Kleinteilen mit kultureller Nestwärme umgibt. Sicher, ein Imageträger, der Kunden hellhörig und Mitarbeiter stolz machen soll. Und doch ist für Reinhold Würth die Bilderwelt mehr als ein Marketing-Tool: Während Effizienz, Fleiss und Strebsamkeit das Unternehmen gross (und den Besitzer sehr, sehr reich) gemacht haben, erlebe er in der Kunst «ganz andere Lebens- und Zeitmassstäbe»: «Es ist ein Ausgleich in einem Leben, das auch viel Arbeit war.»

Die kulturellen Früchte dieser Arbeit erntet der 77-Jährige nicht erst heute. Zur Kunst kam er in den 1970er-Jahren; zur Essenz seiner Firmenkultur wurde sie erst in der Epoche der Globalisierung. Letztlich, so erkannte Würth, sind es die Menschen, die den Unterschied ausmachen. Und die leben nicht von der Mechanik allein. 1991 machte er die Sammlung mit einem Museum am Stammsitz in Künzels-au (D) öffentlich, zehn Jahre später kam in Schwäbisch Hall eine Kunsthalle dazu. Heute wird in 14 Museen und Kunstforen die Liaison von Kunst- und Arbeitswelt gelebt.

Herzensangelegenheit

So ist in der rationalen Welt der hoch diversifizierten Befestigungstechnik das Unermessliche heimisch geworden. Wo andere Firmen goldene Nadeln verteilen, dürfen sich Betriebsleiter bei Würth in schwäbischer Bescheidenheit eine Aussenskulptur aussuchen, wenn sie ein bestimmtes Umsatzziel erreichen.

In der Sammlung verhehlt Reinhold Würth seine Liebe zum «Breitensport» nicht. Vollständigkeit sei seine Sache nie gewesen, sagt Würth; er sammle, was sein Herz begehrt. 15 000 Werke von rund 2500 Künstlern sind es heute! Eine unvorstellbare Menge Kunst, die etwa der Anzahl entspricht, mit der die Art Basel jährlich in zwei grossen Messehallen aufwartet. In einem zum Depot umgebauten Fabrikgebäude in Bad Mergentheim schnüren vier Kuratorinnen die Kunstpäckchen, die dann auf Europatournee gehen. Was treibt diesen Mann an? Ist es der Ordnungseifer der Montageprofis, wo jedes Schräubele seinen Dübel und jeder Dübel seinen Nummerncode hat? Ist es am Ende der fast unendliche Variantenreichtum der Würthschen Montage- und Befestigungssysteme, der in der Sammlung gleichsam transzendiert wird?

So einfach ist es nicht, auch wenn der Gigantismus irritiert. Zugleich hat die Sammlung internationales Format. Der Katalog zur aktuellen Ausstellung, «Liebe auf den ersten Blick – 100 Neuerwerbungen der Sammlung Würth», legt Zeugnis ab von den jüngsten Investitionen im obersten Qualitätsbereich. Die Hälfte davon wird in Arlesheim präsentiert, und dass die Schau nichts als die ungebrochene Sammellust des Unternehmers belegen wird, kann ihr nicht zum Nachteil gereichen: Was an Werken und Werten die reichen Bestände ergänzt hat, dürfte so manche museale Ankaufskommission vor Neid erblassen lassen.

Reinhold Würth ist kein Kunstjäger, der einem bestimmten Beuteschema folgt. Wir lernten ihn denn auch nicht als reputationssüchtigen Zampano kennen, der in seiner Kunst badet wie Dagobert Duck in den Goldmünzen. Charmant, redselig und gewissenhaft, repräsentiert er den Patron alter Schule. Der Mann, der sich ohne höhere Schulbildung zum Multimilliardär emporgearbeitet hat, hat Charisma und lässt sich nicht leicht vom Weg abbringen. Da konnte selbst die Steueraffäre nicht wirklich am Image kratzen, die der Vorzeige-Unternehmer 2008 uneinsichtig mit einem teuren Vergleich beenden musste.
Sein Horizont hatte sich zuletzt erstaunlich erweitert, als er 2003 für einen zweistelligen Millionenbetrag en bloc die Bildersammlung des Fürsten zu Fürstenberg erwerben (und so vor dem Ausverkauf retten) konnte: Das war weder persönliche Liebhaberei noch schicke Galerienkunst. Sondern ein Altmeister-Kabinett für den Connaisseur, wobei Ernst Cranachs «Familie des Naturmenschen» als so bedeutend gilt, dass die Tafel aus Buchenholz Deutschland nicht verlassen darf.

Expertenrat

Nicht nur damals hat er auf den Rat seiner Experten gehört. Beim fast exponentiellen Wachstum der Sammlung – seit 2003 sind jedes Jahr mehrere hundert Werke dazugekommen – wäre alles andere vermessen. In seinem Kunstbeirat firmiert, neben einigen Direktoren grosser Museen, auch Werner Spiess, der unermüdliche Fürsprecher des Surrealismus, und es ist kein Zufall, dass man für Künstler aus dieser Stil-epoche für die «Liebe auf den ersten Blick» besonders empfänglich war: Zu mehreren Werken von Max Ernst gesellen sich Arbeiten von René Magritte, André Masson und Hans Arp.

Doch Würth hat sich auch bei den teuren Klassikern der Moderne umgeschaut, wartet mit Claude Monets «La gare Saint-Lazare», Edvard Munchs «Strandmystik», Camille Pissarros «Port du Le Havre» und einem kubistischen Stilleben von Pablo Picasso auf. Freunde der Kunst nach 1960 werden mit Fernando Botero, Christo, David Hockney, Roy Lichtenstein und den deutschen Nachkriegshelden Georg Baselitz, Anselm Kiefer und Gerhard Richter gut bedient. Und aus Jean Tinguelys Spätwerk hat er sich acht der 30 «Philosophen» gesichert. Da ist kaum Wohlfühlkunst dabei, ein Objekt wie Kiefers «Tannhäuser» hängt man nicht einfach in den Empfangsbereich.
Ob sich die Gemeinde Arlesheim bewusst ist, welches kulturelle Juwel ihr ins Netz gegangen ist? Man hat nicht das Gefühl, dass die Gemeinde, die sich beflissen bürgernah gibt, ein besonders inniges Verhältnis zum Forum pflegen würde.

Im kommunalen Veranstaltungskalender tauchen dessen Aktivitäten nur im Pauschalverweis auf – obwohl es auf Gemeindegebiet keine lebendigere Kulturadresse gibt. Und unter die Rubrik «Sehenswürdigkeiten» hat es das Forum trotz jährlich 20 000 Besuchern noch nicht geschafft. Auch unsere wiederholte Anfrage um ein Statement vonseiten des Gemeinderats blieb ohne Resonanz. Verbrieft ist immerhin, dass die Gemeinde der Firma 2003 die Anschlussgebühren fürs Wasser erlassen hat. Das Forum habe schliesslich gemeinnützigen Charakter.

Würth-Pressesprecher Thomas Schwager betont, dass man «in der Gemeinde gut aufgenommen» worden sei, sagt aber auch: «Das Unternehmen leistet sich mit seinem Forum ein sehr grosses Engagement und vielleicht neigt man nach neun Jahren irrtümlich dazu, dieses Engagement als selbstverständlich zu erachten». Zurückhaltung habe es anfänglich nur vonseiten der regionalen Kunst- und Museumsszene gegeben. «Man wusste ja nicht, was Würth mit diesem Forum genau vorhat und wollte wahrscheinlich erst mal abwarten und schauen, wie die das machen.»

Erfolgsmodell

Sie haben es gut gemacht, obwohl die Filiale damals zur Kunst kam wie die Jungfrau zum Kind. Mit Gastausstellungen zur Silbermann-Orgel 2007 oder zur Sammlung Im Obersteg 2010 richtete man sich zuletzt vermehrt auch ans lokale Publikum, und 2013 ist eine Kooperation mit der Kreativwerkstatt des Bürgerspitals Basel geplant. Es finden Führungen statt, es gibt Erwachsenenkurse und Kinderworkshops, Lesungen und Konzerte, bei denen heimische Grössen wie Nubya, -minu oder Tagesschau-Blueser Heinrich Müller auf der Bühne stehen. «Das Veranstaltungsprogramm hat in jüngster Zeit einen höheren Stellenwert erhalten», sagt Schwager. «Inzwischen sind die meisten Anlässe gut besucht oder sogar ausverkauft.»

1962 startete Würth mit zwei Mitarbeitern in der Schweiz. Heute arbeiten hier 680 Angestellte für das Unternehmen, das in Chur mit einem Holdingsitz vertreten ist und in Rorschach (SG) derzeit ein zweites Schweizer Standbein – ebenfalls mit Kunstforum – aufbaut. Die Sammlung wächst, das Unternehmen wächst, der Umsatz wächst – im laufenden Jahr könnten erstmals die 10 Milliarden Euro geknackt werden. Wieder so eine Zahl, die schwer fassbar ist. Doch man kann seinen Werkzeugkasten darauf wetten, dass schon bald die nächste Skulptur zur Endmontage vor einem besonders erfolgreichen Vertriebszentrum der Würth AG ausgeliefert wird.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 27.04.12

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