In der Ehe gefangen

Auch die säkularste Ehe kann in Israel nur durch ein religiöses Gericht geschieden werden – und das stellt sich in der Regel auf die Seite des Mannes. Der preisgekrönte Film «Get» von Ronit und Shlomi Elkabetz erzählt von einem patriarchalischen Anachronismus, den Tausende Frauen im modernen Israel durchmachen.

Viviane Amsalem (gespielt von Ronit Elkabetz) – möchte sich scheiden lassen, kann aber nicht. (Bild: ©filmcoopi)

Auch die säkularste Ehe kann in Israel nur durch ein religiöses Gericht geschieden werden – und das stellt sich in der Regel auf die Seite des Mannes. Der preisgekrönte Film «Get» von Ronit und Shlomi Elkabetz erzählt von einem patriarchalischen Anachronismus, den Tausende Frauen im modernen Israel durchmachen.

Nüchtern ist der Raum, in dem das Leben von Viviane und Elisha Amsalem verhandelt wird – das vergangene, vor allem aber das zukünftige. Elisha hat seine Frau, mit der er seit zwanzig Jahren verheiratet ist, nie geschlagen, ihr nicht den Beischlaf verweigert, ihr nicht den Unterhalt verwehrt, keinen Ehebruch begangen. Dennoch ist die Ehe unglücklich, war es von Anfang an. Zwei, die nicht zueinander gepasst hatten, als sie verheiratet wurden, und die auch später nicht zueinander fanden. Sie, säkular, will die Scheidung. Er, religiös, ist dagegen. Deshalb stehen sie mit ihren Anwälten vor Gericht.

Ein Verwaltungsakt, könnte man meinen, aber so einfach ist es nicht. Viviane und Elisha sind jüdische Israelis, durch ein rabbinisches Amt getraut, und nur ein solches kann die Ehe wieder auflösen. Der traditionelle jüdische Gesetzeskanon, die Halacha, verlangt dafür einen Scheidungsbrief, den «Get», den der Mann der Frau zu überreichen hat, vor einem dreiköpfigen Rabbinergericht und zwei Zeugen. So sieht es das mosaische Gesetz vor, und so wurde es formalisiert: Vollziehen kann die Scheidung nur der Mann. Verweigert er ihr den «Get», bleibt sie in der Ehe gefangen. «Agunot» werden diese Frauen in Israel genannt: Angekettete.

Rigide Auslegung der Gesetzestradition

Im Fall von Viviane und Elisha Amsalem dauert es fünf Jahre, während denen sich die beiden Parteien alle paar Monate vor dem Rabbinergericht treffen. In dieser Zeit werden nicht nur die intimsten Details ihres Ehe- und Familienlebens ausgebreitet, sondern fallen die Masken: jene der Freunde des Paares, die als Zeugen die Ehe der Amsalems beurteilen sollen und mit ihren heuchlerischen Versuchen, die glänzende Fassade einer vortrefflichen jüdischen Familie aufrechtzuerhalten, ebendieses Milieu der Lächerlichkeit preisgeben.

Vor allem aber entlarvt der Film die Frauenfeindlichkeit des Gerichts: Einzig daran interessiert, einer rigiden Auslegung der Gesetzestradition Folge zu leisten, zeigen sich die Rabbiner unempfindlich für das emotionale Leid der Ehefrau und haben für sie nur den Rat übrig, es erneut mit ihrem Mann zu versuchen.

«Wollen Frauen aus ihrer Ehe fliehen, ist ihre Situation nicht viel besser als im Mittelalter»

Hauptdarstellerin und Co-Regisseurin Ronit Elkabetz

«Ein solches Schicksal teilen Zehntausende Frauen im Land», sagt Ronit Elkabetz, Hauptdarstellerin und, neben ihrem Bruder Shlomi, Co-Regisseurin des Films «Get». Der Film hat grosse Wellen geschlagen, weil er über den konkreten Prozess der Viviane Amsalem hinaus einen Geburtsmakel des modernen israelischen Staates offenlegt. Vom Osmanischen Reich und der Britischen Mandatszeit hat Israel die Praxis des Millet-Systems übernommen, das die Hoheit über familienrechtliche Fragen in die Hände der religiösen Gerichte der verschiedenen Glaubensgemeinschaften übergibt. Offiziell geheiratet und geschieden wird in Israel nur vor dem Rabbiner, dem Kadi, dem Priester – jedoch nicht vor einem zivilen Amt.

Für ein Land, das in anderen Feldern der geschlechtlichen Gleichberechtigung weit fortgeschritten ist, wo Frauen im höchsten Gerichtshof einsitzen, Armeedienst leisten und auch schon die Regierungsgeschicke geleitet haben, erscheint die Scheidungspraxis des «Get» wie ein Anachronismus aus den alten Tagen der Patriarchen. Lässt der Mann die Scheidung nicht zu, bleibt die Ehe geschlossen. Unerheblich, ob es sich um ein religiöses oder säkulares Paar handelt. «Wollen Frauen aus ihrer Ehe fliehen, ist ihre Situation nicht viel besser als im Mittelalter», sagt Ronit Elkabetz.

Der Film, als bester israelischer Film des vergangenen Jahres ausgezeichnet, hat einen längst fälligen Diskurs vorangebracht. «Get» läuft in Israel nicht nur in den Kinos, sondern als Spezialvorführung auch in religiösen Schulen, für Anwaltsvereinigungen, und, noch diesen Monat, an der Jahreskonferenz der rabbinischen Gerichte Israels. Für Organisationen, die sich für eine Verbesserung der rechtlichen Situation der Frau einsetzen, stellt der Film einen Meilenstein dar. «In der Realität gibt es weitaus schlimmere Fälle», sagt Judith Garson Djemal von der Organisation Mavoi Satum, die seit zwanzig Jahren Frauen in Scheidungsfällen berät und beisteht und sich für eine Änderung des Heirats- und Scheidungsrechts in Israel einsetzt. «Manche Frauen warten zehn bis fünfzehn Jahre auf den Scheidungsbrief.»

Ultraorthodoxes Judentum als Hindernis

Das Problem, so Garson Djemal, sei nicht einmal primär das Religionsgesetz – es existieren liberalere Auslegungen, die beispielsweise in US-amerikanischen jüdischen Gemeinden angewandt werden und es einem Rabbiner erlauben, eine Ehe auf Wunsch der Frau zu lösen. Das Problem sei die starke Stellung des ultraorthodoxen, strenggläubigen Judentums in Israel, das die religiöse Landschaft dominiere.

Die Ultraorthodoxie sitzt mit eigenen Parteien im Parlament, dominierte jahrzehntelang diejenigen Kommissionen, die Rabbiner für die Gerichtshöfe ernennt, und bestimmt bis in die Gegenwart die Praxis der Rechtsauslegung. «Aber die Ultraorthodoxie versteht die moderne Lebenswelt nicht», sagt Garson Djemal, «und verharrt in einer starren Rechtspraxis, während sich die Gesellschaft weiterentwickelt. Junge Paare heiraten im Ausland oder in einer privaten Zeremonie, weil sie sich nicht dem Diktat der Rabbinergerichte unterwerfen wollen.»

Filme wie «Get» können dazu beitragen, dass sich die Situation ändere, sagt Garson Djemal. «Dass an der Rabbinerkonferenz der Film gezeigt wird, ist sensationell. Es wird dazu beitragen, dass die Perspektive der Frau vor Gericht stärker berücksichtigt wird.» In der Politik sind erste Schritte bereits getan. In der Regierungskommission, die für die Ernennung von Gerichtsrabbinern zuständig war, waren über ein Drittel der Mitglieder Frauen – soviele wie nie zuvor. «Es gibt Rabbinerseminare, an denen modernere Strömungen des Judentums gelehrt werden», sagt Garson Djemal. «Es ist Zeit, dass wir diese auf die Richterstühle bringen.»
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«Get» von Ronit und Shlomi Elkabetz läuft unter anderem im kult.kino Camera in Basel.
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