Der Film «Argo» erzählt eine Episode aus der Geschichte des US-Geheimdienstes CIA. Tony Mendez, ehemaliger Agent, erinnert sich daran.
Das Ende sieht nach billiger Action aus: Iranische Revolutionswächter jagen einer Swissair-Maschine auf der Piste des Teheraner Flughafens nach und holen sie beinahe ein, als der Jet abhebt und seine Passagiere, darunter sechs US-Diplomaten und einen CIA-Agenten, in Sicherheit bringt. Doch alles ist wahr. Die Geschichte hinter dem Hollywood-Blockbuster «Argo», der für sieben Oscars nominiert wurde, sei sogar noch spannender gewesen, erinnert sich Tony Mendez, der echte US-Geheimdienstagent, der damals in der Maschine sass. «Meine Lieblingsszene im Film ist der Moment, als das Flugzeug abhebt», sagt Mendez. «Ich habe das alles durchgemacht, und das im Film nochmals zu sehen – das ist ziemlich gut.»
Wovor Mendez, der Agent, damals allerdings noch grössere Angst hatte als vor den Revolutionsgarden am Boden, waren die iranischen Militärflugzeuge. «Wir machten uns mehr Sorgen über die F4-Kampfjets. Auch als wir schon in der Luft waren, hätten sie uns wieder herunterholen können», erzählt der heute 72-Jährige.
Ben Afflecks «Argo» gilt derzeit als stärkster Favorit für die Oscars, die diesen Sonntag in Los Angeles verliehen werden. Ein zweiter aktueller Kinofilm, der sich mit der CIA beschäftigt und sich Chancen auf einen Oscar ausrechnen kann, ist Kathryn Bigelows «Zero Dark Thirty», der die Suche nach Osama bin Laden und seine anschliessende Tötung in der Operation «Neptune’s Spear» schildert. Bigelows Werk beleuchtet jedoch stärker (und kritischer) die heute aktuelle Terrorbekämpfung, während «Argo» ein historisches Einzelschicksal nachzeichnet.
Mit der TV-Serie «Homeland», die kürzlich auch hierzulande angelaufen ist, ist die CIA auch im Fernsehen zum vieldiskutierten Thema geworden. Im Gegensatz zu «Argo» und «Zero Dark Thirty» beruht «Homeland» nicht auf tatsächlichen Gegebenheiten, sondern beleuchtet die fiktive Geschichte von CIA-Agentin Carrie Mathison und ihrem verwirrenden Kampf mit sich selber, vermeintlichen islamistischen Terroristen und der schwierig gewordenen Definition von Gut und Böse.
Lange Zeit war diese Geschichte völlig unbekannt. Erst in den 1990er-Jahren entschied der damalige US-Präsident Bill Clinton, die CIA-Geheimakte über die abenteuerliche Befreiungsaktion der amerikanischen Diplomaten während der islamischen Revolution im Iran für die Öffentlichkeit freizugeben. Militante Demonstranten hatten im November 1979 die US-Botschaft in Teheran gestürmt und an die 70 Diplomaten als Geiseln genommen; 444 Tage sollte das Drama dauern. Aber nicht alle US-Diplomaten waren in der Hand der Geiselnehmer. Vier Männer und zwei Frauen konnten im allgemeinen Durcheinander in die kanadische Botschaft flüchten. Mendez holte sie nach mehreren Wochen mit einem Trick heraus. Daraus wurde dann «Argo». Hollywood-Star Ben Affleck übernahm die Regie und auch die Hauptrolle des CIA-Agenten Tony Mendez.
Erfundene Geschichte
Mendez führte die iranischen Behörden mit einer erfundenen Geschichte hinters Licht. Den sechs US-Diplomaten, die sich in der kanadischen Botschaft versteckt hielten, verschaffte er falsche Identitäten. Filmemacher seien sie, die nach Teheran gekommen waren, um nach einem Drehort für ihr neues Projekt «Argo» zu suchen.
Anders als sein glamouröses Hollywood-Double Affleck ist der wahre CIA-Agent ein kleiner unauffälliger Mann mit weissem Bart und grosser Brille. Unlängst sass er ein wenig verloren in einer Ecke der schicken Lounge Bar L2 im Washingtoner Stadtteil Georgetown. Schwarzes T-Shirt, schwarze Lederjacke, Jeans. Um ihn herum plauschten Diplomaten mit Ex-Geheimdienstlern, Cocktailgläser in der Hand. Die österreichische Botschaft hatte gemeinsam mit dem Washingtoner Spionagemuseum zu einem bunten Abend geladen. Mendez hat das Spionagemuseum mitgegründet.
Über «Argo» erzählt Tony Mendez gern, und wie überhaupt alles anfing. Er ist ein typischer CIA-Agent, ein Mann mit einem Doppelleben. Landschaftsmaler war sein Beruf, bevor er zum Geheimdienst ging, und heute malt er wieder bei sich zu Hause in den Blue-Ridge-Bergen im Westen von Maryland. Kein guter Beruf, um zu überleben, erzählt er. «Du kannst dich zu Tode hungern, wenn du nur bildender Künstler bist», sagt er.
«An jedem beliebigen Tag mussten wir etwa 15 000 falsche Identitäten aufrechterhalten»
Eines Tages sah er dieses Inserat: Die US-Marine sucht Künstler für Jobs im Ausland. «Das Inserat verriet nichts Genaues über die Arbeit, aber ein Künstler hat immer Hunger, also meldete ich mich.» Man lud ihn zum Vorstellungsgespräch ein – in ein Motel-Zimmer am Rand von Denver. Sein Gesprächspartner gab gleich zu, dass er vom US-Geheimdienst sei und Leute wie Mendez brauche. «Wir suchten Urkundenfälscher, jemanden mit den Handfertigkeiten und den Augen, die er hatte», erklärt Jonna, Tonys Frau. Sie hat auch bei der CIA gearbeitet, als Tarnungs-Chefin in der technischen Abteilung.
Als Künstler aufzutreten sei eine gute Tarnung gewesen, erinnert sich Mendez. «Ich konnte meine Wasserfarben für eine Geheimmission einpacken und hatte gleich eine gute Erklärung, wieso ich all diese Werkzeuge im Koffer mit mir herumschleppe.»
Geheimdienst-Künstler
25 Jahre arbeitete er insgesamt bei der CIA, eine Zeitlang als Abteilungsleiter des Büros für falsche Identitäten. «Ich hatte mehrere Hundert Menschen unter mir, und an jedem beliebigen Tag mussten wir etwa 15 000 falsche Identitäten aufrechterhalten», erzählte er. Die Mitarbeiter waren nicht nur Künstler, es gab auch Chemiker, die mit Papier oder Tinte arbeiteten. Jedes Mal, wenn irgendwo auf der Welt ein US-Agent aufgedeckt wurde oder abgezogen werden musste, war ihre Aufgabe, die nötigen falschen Dokumente zu beschaffen, um die Person aus dem jeweiligen Land herauszuholen.
«Im Hauptquartier des Warschauer Paktes gab es einen General und drei Oberst-Offiziere», erinnert sich Mendez an einen Fall. «Eines Tages bestellte der General die drei zu sich und sagte: ‹Einer von uns in diesem Raum hier ist ein Verräter. Wenn wir den Raum verlassen, wird jeder rund um die Uhr überwacht›.» Dem CIA-Agenten unter den dreien gelang es, eine Warnung abzusetzen. Nach zehn Jahren im Land mussten er und seine Familie Knall auf Fall ausreisen. Mendez und seine Leute hatten alle Dokumente sofort parat, inklusive aktueller Passbilder. «Wir haben einige sehr wichtige Beiträge zum Sieg im Kalten Krieg geleistet», sagt er heute stolz.
Ein anderes Mal musste er nach Kabul, um bei der dortigen US-Botschaft drei Personen mit angeblich russischen Diplomatenpässen zu treffen. «Die mussten bis zum Morgengrauen verschwinden. Ich kam via Japan und Hongkong und machte von Samstag bis Montag alles fertig», erzählt Mendez. Als er die drei dann traf und sich ihre Dokumente ansah, stellte sich heraus, dass sie keine Diplomaten waren, sondern normale Reisende. «Also musste ich ein Visum fabrizieren. Sie mussten ja Stempel in ihren Pässen haben, nicht wahr? Also musste ich sicher gehen, dass ich so etwas nachmachen kann, die richtigen Farben benutze zum Beispiel, und dann habe ich das per Hand nachgezeichnet – mit einem Zahnstocher.»
Wirksame Tarnungen
Erfinden ist das eine, die betroffenen Menschen daran glauben lassen das andere. «Argo» war so ein Fall, aber bei Weitem nicht sein kompliziertester, sagt Mendez. Ein paar Monate zuvor musste er einen anderen gefährdeten Mann nach Hause bringen. «Ich musste eine sehr gute Tarnung für ihn konstruieren», sagt Mendez. Trotzdem habe der Mann Angst gehabt. «Er war sich nicht sicher, ob er das durchziehen kann. Ich brachte ihn zum Flughafen, und dort fragte er mich: ‹Hast du Zyanid? Sollte man mich fassen, möchte ich mir das Leben nehmen›», erinnert sich der Ex-Agent.
Das Schwierigste am Fall «Argo» war, die Vorgesetzten zu überzeugen, seinen Plan zu unterstützen, erzählt Mendez. «Das Problem war, dass sich niemand auf irgendeinen Plan einigen konnte. Da Kanada die sechs Diplomaten versteckt hatte, gab es viele Ausschüsse, der Geheimdienst überwachte den Fall, und auch das Weisse Haus war involviert. Meine Aufgabe war, eine Idee zu präsentieren, der alle Parteien zustimmen würden. Es war eine unmögliche Aufgabe, also schlug ich etwas wirklich Verrücktes vor.»
So kam er auf die Idee, für die sechs Amerikaner kanadische Pässe zu fälschen und sie als Filmemacher auszugeben. Seine Vorgesetzten hatten Angst vor den Konsequenzen, falls der Plan schiefgehen würde, erinnert sich Mendez. «Sie waren auch etwas wütend, weil ich den Plan zuerst den Kanadiern vorgestellt hatte, bevor ich mit der CIA darüber sprach», sagt Mendez. Er war auch nicht sicher, ob alle sechs Diplomaten mitmachen würden. Doch dann kam das Happy End. «Als wir endlich den iranischen Luftraum verliessen, jubelten alle im Flugzeug. Und nicht nur wir. Auch alle anderen waren damals froh, aus Iran wegzukommen.»
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 22.02.13