Mit Marc Bauers «Nature as Territory» und Sofie Thorsens «Schnitt A–A’» präsentiert das Kunsthaus Baselland zwei voneinander unabhängige Ausstellungen, die zusammengenommen jedoch sehr stimmig wirken.
So viel Weiss war selten beim Eintritt ins Kunsthaus Baselland. Kurz vor der Vernissage der Ausstellungen Marc Bauer und Sofie Thorsen herrscht gähnende Leere im Erdgeschoss. Doch keine Panik, es gibt schon Kunst zu sehen. Der Grund für den ungewohnten Anblick ist eine eher kurzfristige Änderung im Programm: Eine bereits geplante Ausstellung musste abgesagt werden, und die Werke des Kubaners Carlos Garaicoa, der nun einspringt, können aus terminlichen Gründen erst Ende Mai gehängt und ab Anfang Juni gezeigt werden. Der positive Nebeneffekt des leeren Erdgeschosses: Saskia Edens wird am Freitagabend während der Vernissage genug Platz für ihre Performance «Let it happen» haben: Von einem Leuchter aus Eis wird während zweier Stunden Wasser auf die am Boden liegende Künstlerin tröpfeln.
Die Ausstellungen, deren Eröffnung man nun feiert, finden im Kabinett und im Untergeschoss statt. Marc Bauer (*1975), in Berlin wohnhafter Genfer, bespielt die Kabinetträume. Spontan zeichnet er gerade noch ein Gebäude an eine Wand des ersten Raumes. Ein Bauwerk, das auf den ersten Blick aussieht wie eine römische Arena. Zumindest mit Italien liegen wir richtig: die hufeisenförmige Architektur beherbergte früher jedoch ein Gefängnis. Zentral in der Mitte steht ein Turm, von welchem aus der Gefängniswärter seine Insassen überwachen konnte. Das heute verlassene Gefängnis befindet sich auf einer klitzekleinen Insel namens Santo Stefano in der Nähe von Ischia, mitten im Mittelmeer zwischen Sardinien und dem italienischen Festland. Rundherum offenes Meer – von hier gab es kein Entkommen.
Böse Inseln
Mit Inseln verbinden wir vorab Urlaubsgefühle, denken an Sand und Strand und Palmen. Ereignisse wie die Anschläge auf der norwegischen Insel Utoya aber zeigen, dass die Abgeschlossenheit einer Insel auch gefährliche Seiten haben kann. Marc Bauer hat Utoya gezeichnet, von oben blickt der Betrachter auf ihre Umrisse, sieht das Jugendcamp, die Anlegestelle, den Weg, den der Attentäter Breivik zurücklegte. Wie aus der Erinnerung entstanden wirkt das Werk, was dem Zeichnungsstil des Schweizer Künstlers geschuldet ist: Bauer zeichnet nie eins zu eins realistisch, sondern er verwischt gezielt, bringt ornamentale Strukturen ein oder lässt die Perspektive kippen. Als könnte das Gedächtnis die Wirklichkeit nicht mehr perfekt rekonstruieren.
Bauer geht von persönlichen Erinnerungen aus, von Gesehenem, von Erzähltem, von historischen Ereignissen oder er stellt Verbindungen zur Kunstgeschichte her, und vermischt die konkreten Eindrücke mit fiktiven Elementen. Nicht nur das Inselmotiv fasziniert ihn in der Ausstellung im Kunsthaus Baselland, sondern auch Architektur. Auch hier aber zeigt er die Polarität auf, die von ein und demselben Ding ausgehen kann. So wie die Insel schön oder böse sein kann, kann auch Architektur mit Gutem wie mit Schlechtem verbunden werden.
Zwei Häuser hat Bauer gezeichnet, zwei Häuser, die sich äusserlich sehr ähneln. Beide sind klar strukturiert, beide stehen in einem Garten, beide sind von einer Mauer umzäunt. Doch während die eine Mauer die Bewohner eines Hauses in Hollywood vor ungewollten Blicken schützt, verbarg die andere Mauer den Terroristenführer Bin Laden.
Farbenblindheit
Die Mauern, die der Mensch um seine Häuser zieht, lässt das eigene Grundstück zur Insel werden. Hinter den Mauern interessiert nicht, was draussen vorgeht. Die Bewohner einer Insel vor Dänemark namens Fuur schotteten sich ebenfalls über Generationen hinweg vom Festland ab. Ihre Geschichte hat das Interesse der dänischen Künstlerin Sofie Thorsen (*1971) auf sich gezogen, denn bis in die 1930er-Jahre hinein litten auf Fuur mehrere Bewohner und Bewohnerinnen an vererbter Achromatopsie, an vollständiger Farbenblindheit. Sie hatten sich untereinander die äusserst seltene Krankheit weitergegeben.
Thorsen aber interessiert sich weniger für die sozialhistorischen Hintergründe als für die Auswirkungen dieser Sehstörung. Anhand von Interviews, Texten und Fotos versucht sie, der sichtbaren Welt der Farbenblinden in einem filmischen Experiment nachzuspüren. Das Ergebnis ist eine eindrückliche Erfahrung der Wahrnehmung im Allgemeinen und im Persönlichen.
Die Spuren, die wir hinterlassen, ziehen Thorsens Aufmerksamkeit auf sich und lassen sie sie hinterfragen. Ein Kino in Bratislava aus den 1970er Jahren, das heute keine Besucher mehr empfängt, wird von der Künstlerin mittels der Filmkamera auf seine Architektur hin befragt. Einzige Lichtquelle ist die beleuchtete Leinwand, wodurch sich starke Schwarz-Weiss-Kontraste ergeben, die an die eingezeichneten Schlagschatten in der Architekturskizze erinnern. Diese wiederum hat Thorsen nachgezeichnet und auf langen Tischen zu einer Art Partitur gruppiert, die niemand spielen kann. Sie sind nichts mehr als inhaltslose Zeichen, welche die Künstlerin wieder sichtbar zu machen versucht. Auch Spielgeräte, die die Stadt Wien nach dem Zweiten Weltkrieg von Künstlern gestalten liess, reduziert Thorsen auf ihren reinen Zeichencharakter, indem sie die Geräte auf vergrösserten Fotografien kurzerhand rausschneidet.
Beide Ausstellungen, Thorsens und Bauers, sind ruhige Präsentationen. Hier schreit nichts, auch keine Farbe. Wirken tun sie trotzdem – oder gerade deswegen. Tut gut.
Kunsthaus Baselland, Muttenz. 19. Mai bis 15. Juli. Vernissage mit einer Langzeit-Performance von Saskia Edens am Freitag, 18. Juli, ab 19 Uhr. www.kunsthausbaselland.ch