Isabel Mundry: «Da ist dauernd etwas los in meinem Kopf»

Sie ist eine gefragte Komponistin und weilte für eine Aufführung in Basel: Isabel Mundry. Wir haben uns mit ihr über die verschiedenen Facetten ihres Berufs und ihrer Berufung unterhalten.

Komponistin Isabel Mundry bei den Proben von «Nicht ich». (Bild: Martina Pipprich)

Sie ist eine gefragte Komponistin und weilt für eine Aufführung in Basel: Isabel Mundry. Wir haben uns mit ihr über die verschiedenen Facetten ihres Berufs und ihrer Berufung unterhalten, im Vorfeld der Aufführung ihres szenischen Konzertabends «Nicht ich» im Basler Gare du Nord.

Isabel Mundry zählt derzeit zu den erfolgreichsten Komponistinnen. Ihre Werke sind filigran und kraftvoll zugleich, spielen sinnlich mit den Traditionen vergangener Jahrhunderte. Im Basler Gare du Nord wird ihr umjubeltes szenisches Konzert «Nicht ich» einmalig aufgeführt. Wir trafen die Komponistin vor den Proben zum Gespräch.

Sie sind Komponistin und Hochschulprofessorin, leben in Zürich und München, sind jetzt gerade in Basel. Wann finden Sie Zeit zum Komponieren?

Ach, heute Morgen habe ich bereits eine Stunde komponiert.

Heute Morgen? Es ist gerade einmal 09:30 Uhr…

Wenn es ein Zeitfenster gibt, setze ich mich so schnell wie möglich dran. Man kann dieses konzentrierte Arbeiten üben.

Benötigen Sie für die kreative Arbeit nicht einen gewissen Freiraum?

Wer hat schon den Luxus, ganze Tage zum Komponieren zu haben? (lacht) Manche Kollegen, die das haben, schaffen in ihrer Zeit auch nicht mehr. Man darf nicht auf die Inspiration warten, sondern muss sich bewusst machen: Was ist meine Frage? Ich dokumentiere alle Arbeitsschritte sehr penibel, damit ich das nächste Mal direkt weiterarbeiten kann. Und ich habe stets Skizzenbücher bei mir.

Weshalb sind Sie Komponistin geworden?

Weil ich vom Hören so gefesselt bin, dass ich komponierenderweise damit umgehen möchte. Es geht mir nicht darum, etwas ganz und gar Neues zu schaffen. Sondern es geht mir darum, mich mit meiner eigenen Wahrnehmung von Musik auseinanderzusetzen, indem ich komponiere.

«Bereits als Kind habe ich viel am Klavier improvisiert.»

Wann wussten Sie, dass Sie Komponistin werden möchten?

Das wusste ich schon sehr früh. Bereits als Kind habe ich viel am Klavier improvisiert. Als ich dann in einem Schulprojekt gemeinsam mit einer Geigerin eine freitonale Skizze improvisierte und aufschrieb, war das mein Schlüsselerlebnis. Von da an wusste ich, dass ich Komponistin werden wollte.

Wie haben Ihre Eltern auf diesen Entscheid reagiert?

Meine Eltern waren zu jener Zeit sehr mit sich selbst beschäftigt. Ich glaube, sie waren einfach froh, dass ich so genau wusste, was ich wollte – und nicht einfach rumhing und Drogen nahm. Das kam in Berlin, wo ich aufgewachsen bin, ja schon immer mal vor.

Kann man denn vom Komponieren leben?

Das ist sehr schwer, selbst für bekannte Komponisten. Denn es gibt ein grosses Missverhältnis zwischen der Zeit, die man zum Komponieren benötigt, und dem Honorar. Ein Dirigent, der ein neues Stück aufführt, bekommt, verglichen mit der Zeit, die er zum Einstudieren braucht, deutlich mehr.

Wie haben Sie dieses Problem für sich gelöst?

Indem ich früh begonnen habe, zu unterrichten. Heute habe ich zwei Professuren, in Zürich und München, und finde das auch eine sehr schöne, bereichernde Arbeit.

Komponistin sein – ist das für Sie Beruf oder Berufung?

Es ist beides. Im Unterrichten, im Proben, im Kommunizieren sehe ich meinen Beruf. Doch das Komponieren ist vermutlich so etwas wie eine Berufung: Ich gehe als Musik imaginierende Frau durchs Leben. Da ist dauernd etwas los in meinem Kopf. Aber ich pflege das auch, gehe dem nach. Sonst würde es vielleicht versiegen.

Wenn Sie Musik anderer Komponisten studieren – tun Sie das, indem Sie eine CD anhören oder lesen Sie die Partitur?

Ich mache beides. Lesen und Hören sind zwei ganz verschiedene Wahrnehmungsformen. Was ich allerdings weniger mag, ist beides zur gleichen Zeit: Die Partitur mitlesen beim Hören. Wenn ich Musik höre, dann mache ich am liebsten die Augen zu.

Achten Sie bei den Proben darauf, dass die Musiker Ihre Werke in Ihrem Sinne interpretieren?

Ich habe den Anspruch, Partituren zu schreiben, die sich die Musiker ohne mein Beisein erarbeiten können. Mitte des 20. Jahrhunderts gab es mal eine Zeit, in der Komponisten alles festlegen wollten. Der Dirigent mutierte dann zum Polizisten, der bewacht, ob die Regeln eingehalten werden oder nicht. Das finde ich schrecklich. Aber als ich studierte, war das tatsächlich noch üblich.

Was bringen Sie denn Ihren Studierenden heute bei?

Vor allem möchte ich sie darin unterstützen, für eigene künstlerische Fragen auch eigene Lösungen zu finden. Mit jedem neuen Stück muss man sich auf die Suche begeben, wie man es bestmöglich gestalten kann. Das kann man bedingt beibringen. In meinen Seminaren lese ich auch viel mit den Studierenden, Texte, aus der Philosophie oder Ästhetik, aber natürlich auch Partituren.

Im Gare du Nord ist nun Ihr Stück «Nicht ich» zu hören; ein «szenisches Konzert», das 2011 uraufgeführt wurde und für Furore sorgte. Wie ist dieses Werk entstanden?

Ich wurde angefragt, etwas zum Kleist-Jahr beizusteuern. Kleist fand ich schon immer faszinierend, seinen Essay «Über das Marionettentheater» kenne ich, seit ich 12 Jahre alt bin. Darin wird das Thema der Projektion verhandelt: Ein Tänzer sehnt sich nach dem Dasein von Marionetten, weil jene weder durch Gesetze der Schwerkraft noch durch falsche Ambitionen gebremst seien.

«Kleist fand ich schon immer faszinierend.»

Ein Thema also wie geschaffen für die Zusammenarbeit mit dem Choreographen Jörg Weinöhl?

Ja (lacht). Wobei diese Zusammenarbeit sehr experimentell war, sehr ungewöhnlich, aber sehr fruchtbar. Wir haben zwei intensive Jahre daran gearbeitet, den ganzen Text minutiös gelesen, grosse Lesepläne erstellt, über Bewegung in Musik und Bewegung auf der Bühne diskutiert. Es ist schliesslich ein szenisches Konzert geworden, bei dem die Musiker selbst den Bühnenraum erzeugen.

Sie sind mittlerweile so gefragt, dass Sie nur noch Auftragskompositionen schreiben. Ist das ein Vorteil? Oder würden Sie lieber frei komponieren?

Nein. Die meisten Anfragen sind ja sehr interessant, spielen mir Themen zu, auf die ich sonst vielleicht nicht gestossen wäre. Ich lehne auch ab, wenn mir etwas gar nicht zusagt.

Was würden Sie lieber auf eine einsame Insel mitnehmen: Musik zum Hören, oder Notenpapier und Stift zum Komponieren?

Unbedingt beides (lacht). An Musik: Bach natürlich, denn bei ihm kreuzen sich die harmonische wie die polyphone Dichte, das erzeugt eine aussergewöhnliche Weite. Aber auch «Jeux» von Debussy würde ich mitnehmen. Und Marc Antoine Charpentier. Und Lyrik von Thomas Kling – eben alles, womit ich nicht so schnell ans Ende komme. Und natürlich Papier und Stift – das ist einfach existentiell.

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«Nicht ich» – Szenisches Konzert, ensemble recherche & Vokalensemble Zürich
Gare du Nord, Schwarzwaldallee 200, Basel. Do, 6.2., 20 Uhr.

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