Ivor Bolton wird Chefdirigent beim Sinfonieorchester Basel

Jubel bei den Musikern des Sinfonieorchesters Basel: Ab Herbst 2016 heisst ihr neuer Chef Ivor Bolton. Der Brite will den internationalen Ruf des Orchesters stärken. Der junge Pole Michał Nesterowicz wird Gastdirigent.

Er wird neuer Chefdirigent: der Brite Ivor Bolton.

(Bild: Ben Wright)

Jubel bei den Musikern des Sinfonieorchesters Basel: Ab Herbst 2016 heisst ihr neuer Chef Ivor Bolton. Der Brite will den internationalen Ruf des Orchesters stärken. Der junge Pole Michał Nesterowicz wird Gastdirigent.

Das Geheimnis war früh gelüftet: Der Dirigent und aussichtsreiche Kandidat für das Amt des Chefdirigenten des Sinfonieorchesters Basel spazierte bereits am Morgen mit Mitgliedern des Orchestermanagements durch Basel. Am Vormittag erfuhren dann die jubelnden Orchestermusiker, dass ihr Wunschkandidat soeben einen Vier-Jahres-Vertrag unterzeichnet habe. Ivor Bolton wird ab Herbst 2016 neuer Chefdirigent des Sinfonieorchesters Basel. Er löst Dennis Russell Davies ab, dessen Vertrag ausläuft.

Bolton wurde mit grosser Mehrheit vom Orchester gewählt, und auch die Findungskommission sowie die Stiftung teilten den Wunsch, Bolton zu verpflichten. Solche Einigkeit ist selten: Zuletzt kam das Beethoven Orchester Bonn in die Schlagzeilen, weil Musiker und Findungskommission unterschiedliche Kandidaten befürworteten. Und auch die Berliner Philharmoniker haben sich in erster Runde nicht zwischen Andris Nelsons und Christian Thielemann entscheiden können – bis der Kompromisskandidat Kyrill Petrenko dann eine überwältigende Mehrheit vom Orchester erhielt.

Annäherung an die Originalklang-Bewegung

Ivor Bolton also. Wie alle sieben Kandidaten, die auf der Short-List standen, hat auch der sympathische Brite in der auslaufenden Saison ein Kennenlern-Konzert mit dem Orchester absolviert. Der 57-Jährige stand gemeinsam mit der Geigerin Isabelle Faust und Beethovens Violinkonzert auf der Bühne das Musiksaals. Schon hier zeigte sich, was Bolton wichtig ist: eine Annäherung an die Originalklang-Bewegung, auch mit einem solch grossen, modernen Sinfonieorchester.

Bolton liess die vier Blechbläser auf Naturhörnern und -trompeten spielen, den Paukisten auf historischen Pauken. Den Streichern erlaubte er nur zu bestimmten Höhepunkten das Vibrato – und machte den Orchesterklang damit transparenter und geschmeidiger.

Und: Bolton hat sogar bereits eine CD mit dem Sinfonieorchester Basel aufgenommen. Erst kürzlich erschien beim Orchester-eigenen Label eine Aufnahme, die Hector Berlioz‘ von William Shakespeare inspirierte Werke vereint. «Of Madness and Love» heisst der Titel, mit der Mezzosopranistin Vesselina Kasarova für Berlioz «La mort de Cléopâtre» prominent besetzt. Auch hier zeigt sich Boltons Bewusstsein für die Erkenntnisse der historisch informierten Aufführungspraxis, die sich mittlerweile bis tief ins 19. Jahrhundert vorgearbeitet hat. Bolton lässt die Musiker kurz phrasieren, der Orchesterklang wirkt differenzierter. «Berlioz ist nicht so überladen, wie viele denken – in seinen Partituren gibt es unglaublich viele Details zu entdecken», sagt er auf Nachfrage. Und diese hörbar zu machen, darin sieht er seine Aufgabe.

Schliesst sich für den Musikstandort Basel eine Lücke?

All das passt gut in die Musikstadt Basel, in der schon zahlreiche andere Klangkörper historisch informiert spielen. Wenn das Sinfonieorchester Basel hier im Bereich des 19. Jahrhunderts eine Weiterentwicklung erfährt – das einzige Repertoire, auf dessen intensive Pflege sich Bolton schon jetzt festlegen wollte, alles andere liess er offen –, schliesst sich auch für den Musikstandort Basel eine Lücke.

Und die gewünschte Profilierung des in den AMG-Jahren lange gesichtslos gebliebenen Sinfonieorchesters Basel könnte damit einen entscheidenden Schub erfahren: eine zumindest historisch orientierte Aufführungspraxis kann gerade im traditionsreichen romantischen Repertoire mit althergebrachten Hörgewohnheiten brechen und viel Neues zutage bringen. Und schliesslich hat nicht nur das Kammerorchester Basel mit dem Alte-Musik-Spezialisten Giovanni Antonini – der kürzlich auch das Berner Symphonieorchester zu neuen Ufern führte ­– schon mehrfach für Furore gesorgt.

Doch Bolton, der über ein breites Repertoire von Claudio Monteverdi bis Thomas Larcher verfügt, will sich nicht in eine Spezialisten-Ecke stellen lassen: «Das ist ein Marketing-Gedanke. Ich bin Musiker», stellt er klar. Das klassische Repertoire mit Mozart und Haydn aber will er eher anderen Klangkörpern überlassen. «Das ist auch eine ökonomische Überlegung», sagt er: «Bei Mozart sind einfach zu viele unserer Musiker unbeschäftigt.» Denn natürlich würde er dafür die Grösse der Besetzung den Gegebenheiten aus Mozarts Zeit anpassen. Eine klassische Sinfonie mit hundert Musikern zu interpretieren kommt für ihn nicht infrage.

Internationale Verbindungen, von Salzburg bis Madrid

Das internationale Renommee des Orchesters ist nach Bolton ausbaufähig. «Hier sitzen Spitzenmusiker», sagt er, «doch der Ruf des Orchesters stimmt nicht mit seiner tatsächlichen Qualität überein. Das wollen wir ändern. Das Orchester muss bekannter werden – das haben diese Musiker einfach verdient.» Mehr Tourneen sollen dabei helfen – wie gut, dass Bolton gut vernetzt ist und Verbindungen zu den BBC-Proms hat. Dahin will er das Orchester auf jeden Fall mitnehmen. Dass Bolton auch regelmässig bei den Salzburger Festspielen gastiert, könnte für die Basler Musiker ebenfalls Türen öffnen.

Dass Boltons Verpflichtungen beim Mozarteum Orchestra Salzburg, das er seit 2004 leitet, just mit dem Amtsantritt in Basel enden konnten, ist ein Glücksfall. Denn vor einer leitungslosen Übergangszeit hatten sich die Musiker am meisten gefürchtet. Zeitgleich mit seinem Basler Amtsantritt wird Bolton Musikdirektor am Teatro Real in Madrid. Jede Spielzeit soll er dort drei Opern und einige Konzerte dirigieren. Dass ein Dirigent zwei Chefpositionen gleichzeitig innehat, ist nicht ungewöhnlich. So ist etwa Fabio Luisi gleichzeitig Generalmusikdirektor am Zürcher Opernhaus und Chefdirigent an der Metropolitan Opera in New York.

Ein talentierter Gastdirigent

Und weil die Kandidatenschau auch andere Talente nach Basel geschwemmt hat, hat das Sinfonieorchester Basel – auf besonderen Wunsch der Orchestermusiker – neu auch einen ersten Gastdirigenten engagiert: Michał Nesterowicz. Der 41-jährige Pole gilt als vielversprechender Vertreter der jüngeren Dirigenten-Generation und soll in Basel verstärkt osteuropäisches Repertoire sowie die Musik der Moderne auf die Konzertbühne bringen.

Vielleicht ist dies eine neue Möglichkeit, sich langfristig den Nachwuchs an Chefdirigenten selbst heranzuziehen. Denn was im Fussball schon lange gang und gäbe ist, könnte auch in der Musikwelt zu spannenden Ergebnissen führen.
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Die neue CD vom Sinfonieorchester Basel
«Of Madness and Love». Werke von Hector Berlioz, inspiriert von William Shakespeare.
Grande Ouverture du Roi Lear, Scène d’amour aus Roméo et Juliette, Rêverie et Caprice, La mort de Cléopâtre. Vesselina Kasarova (Sopran), Soyoung Yoon (Violine), Sinfonieorchester Basel, Ivor Bolton (Leitung). Sinfonieorchester Basel SOB 08 (1 CD).

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