Nicole Bernegger ist zurück: Mit ihrem zweiten Soloalbum lässt die Sängerin Stress hinter sich, ebenso ihre langjährige Band The Kitchenettes. Vor ihrem Heimspiel in der Basler Kuppel spricht sie vom tränenreichen Abschied, von inspirierenden Aufnahmen – und von Zukunftsträumen.
Zwei Jahre sind vergangen, seit Nicole Bernegger die Castingshow The Voice Of Switzerland gewann. Damit wurde die langjährige Leadsängerin der Basler Formation The Kitchenettes auf einen Schlag einem grossen Publikum bekannt. Und musste – quasi während des Mutterschaftsurlaubs – ein erstes Album einsingen, das ihr von mehreren Songwritern (u.a. Rapper Stress und Hitmill) auf den Leib geschneidert wurde. Ihre grosse Ausdruckskraft wurde mitunter in seichtere Gefilde gezwungen.
Weitaus besser zu ihr passt da «Small Town», ihre zweite Soloproduktion. Für diese hat Bernegger mit dem britischen Produzenten Andy Wright (Simply Red) zusammengearbeitet. Mehr Soul, weniger Pop lautet das Resultat ihrer Sessions in London. Wie es dazu kam – und was die höheren Ansprüche für ihre alte Band bedeuteten, wollten wir von der Birsfelderin bei einem Kaffee wissen.
Nicole Bernegger, was läuft mit Ihrer Band The Kitchenettes?
Es gibt sie nicht mehr.
Was ist passiert?
Ich habe im letzten Jahr grössere Anforderungen an mich und die Band gestellt. Das wurde für einige Musiker zu heftig. Wir haben lange versucht, uns alle auf dasselbe Level zu bringen. Aber es ging nicht. Vielleicht habe ich zu spät gehandelt, vielleicht wäre die Band nicht ganz auseinandergebrochen, wenn wir früher ein paar Positionen ersetzt hätten.
Dabei lag Ihnen die Band doch so sehr am Herzen – nach Ihrem Sieg bei «The Voice» kämpften Sie dafür, dass Sie mit der alten Crew auf Tour gehen konnten.
Ja, das stimmt. Wir hatten ja auch immer davon geträumt, gemeinsam die Welt zu erobern – und versuchten alle, dem professionellen Anspruch gerecht zu werden. Aber es gelang uns nicht hunderprozentig. Ab einem gewissen Level wird einem das nicht verziehen, also musste ich etwas unternehmen, wenn ich professioneller auftreten wollte.
Als Sie das der Band mitteilten: Gabs böses Blut?
Nein. Vielmehr gebrochene Herzen – und viele Tränen. Auch von meiner Seite. Es tat weh, wir hatten es menschlich sehr gut, tingelten zehn Jahre lang gemeinsam durch die Clubs. Die Trennung tat wirklich sehr weh. Und ich kam mir schrecklich vor, als ich den Entscheid fällen musste.
«Es gab gebrochene Herzen und viele Tränen»
Nachvollziehbar, ist eine Band doch immer auch eine Beziehungsform.
Ja, genau. Man kommt an einen Punkt, an dem es sich nicht mehr lohnt, weiterzukämpfen. Es ist besser, wir gehen eigene Wege. Das ganze Bandprojekt frass immer mehr Ressouren auf, manche kamen ans Limit. Und so verloren wir die Lockerheit, die es bräuchte, damit man sich wohl fühlt – auch auf der Bühne.
Und dann fragten Sie in der Zürcher Profiszene rum und suchten Sessionmusiker?
Nein, ich behielt die Bläsersektion mit Christoph Huber und Joel Schmidt. Und ich erhielt einen Tipp für eine bestehende Rhythmsection, die seit zehn Jahren zusammenspielt und bestens aufeinander eingestimmt ist. Dass es untereinander groovt, war mir enorm wichtig. Ich wollte keine Söldnerband zusammenstellen. Das Risiko, das blieb, war die menschliche Komponente. Denn mir ist auch das allgemeine Bandfeeling sehr wichtig, ich bin eine Teamplayerin.
«Ich finde, Humor ist sehr wichtig in einer Band.»
Wie haben Sie diese neue Band zusammengeschweisst?
Ich bin einfach ein wahnsinnig sympathischer Mensch (lacht laut). Nein, im Ernst: Wir hatten Glück, das Heu liegt auf der gleichen Bühne. Schon in der ersten Probe haben wir viel gelacht – und Humor ist immer sehr gut und wichtig in einer Band, finde ich. Das andere Glück ist, dass der Schlagzeuger J. J. Flück, der als musikalischer Direktor fungiert, klare, ja, die gleichen Vorstellungen vom Sound hat.
Bemerkenswert professionell auch, dass Sie nicht in Versuchung gerieten, Ihren Mann in die Band zu holen, der bei Kalles Kaviar Schlagzeug spielt.
Es wäre schon nur aus Zeitgründen nicht möglich. Er arbeitet voll, ausserdem haben wir die drei Kinder. Ich wüsste nicht, wie wir daneben auch noch zur gleichen Zeit Musik machen könnten, besonders nicht auf diesem Level.
Sie konnten es früher, vor den Kitchenettes, als Sie ebenfalls bei Kalles Kaviar mitgewirkt hatten.
Ja, damals hatten wir auch noch keine gemeinsamen Kinder. Mein Mann ist im Ska, Reggae und Rocksteady zuhause, ich im Soul und Funk. Ich finde es ganz gut so, wenn jeder ein bisschen sein Gärtchen pflegt. Hinzu kommt, dass wir auf sein Einkommen angewiesen sind. Es wäre im Moment eine Illusion zu glauben, dass wir von der Musik leben könnten.
Nicht nur Ihre alte Band haben Sie hinter sich gelassen, sondern auch Stress. Jenen Stress, der bei «The Voice» Ihr Mentor war. Warum?
Ich wollte noch mehr zu mir selber finden – und noch stärker so klingen, wie ich es mir vorstellte. Das erste Album nach der Show erschien ein halbes Jahr später, dazwischen lag noch eine Geburt …
Ihrer Tochter…
… ja, genau. 6 Monate waren nur vergangen, dennoch fanden alle Medienschaffende: Das ging aber jetzt lange, bis Ihre Platte erschien. Offenbar liessen wir uns – für eine Castingshow zumindest – viel Zeit. Zugleich ging es schnell, so schnell, dass man dem Album anmerkt, dass die Ideen, wie es klingen sollte, noch nicht so konkret waren wie heute. Einige Songs waren Oldschool, andere sehr poppig produziert.
Es ist ein grosser Unterschied. Bei «The Voice» hat man Ihre Stimme mitunter in Synthieteppichen versenkt, in einer Pop-Produktion…
… daher war es für mich auch wichtig, dass ich den nächsten Schritt alleine machen würde. Stress und ich sind weiterhin in Kontakt. Aber ich wollte mich ganz von der Casting-Show befreien. Daher liess ich mir auch Zeit, einen Produzenten finden, mit dem ich mich wohl fühlen würde, der mir keine neuen Kleider überziehen wollte, sondern sich auf meinen Stil, meine Ideen einliess. Mir war ganz wichtig, dass ich überall mitreden und mitentscheiden konnte. Beim neuen Album liegen mir die Songs, die Gesangslinien näher. Die Musik konnte mehr atmen.
Mit dem Sieg der Casting Show haben Sie ja einen langjährigen Vertrag mit Universal Music abgeschlossen. War es schwierig, diese Firma von Ihren Plänen zu überzeugen?
Nein. Man hat immer das Gefühl Universal, ein Plattenmajor und Branchenriese stehe auch für eine riesige Maschinerie. Aber die Stimmung ist familiär. Es sind lediglich fünf Leute an diesem Projekt beteiligt. Und wir können offen reden und arbeiten. Es ist ein Miteinander, nicht gegeneinander. Ich glaube, sonst ginge gar nichts.
Nicole Bernegger (38) ist im Fricktal aufgewachsen, hat ihre Studentinnenzeit in einer Basler WG verbracht (sie studierte u.a. Germanistik) und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Birsfelden. Seit mehr als 20 Jahren steht sie als Sängerin auf der Bühne.
Wie kamen Sie denn zum britischen Produzenten Andy Wright?
Den Kontakt zu ihm hat mein Manager Lukas Moser hergestellt. Wir gingen in Zürich zusammen essen, als er in der Schweiz war. Er fragte mich, in welche Richtung die Platte gehen sollte, wie ich sie mir vorstellte. Und ich merkte, dass wir die gleiche Wellenlänge, die gleichen Ideen hatten. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir mit den Kitchenettes bereits drei, vier Songs geschrieben. Ich stellte sie ihm vor, bei einem Aufenthalt in London entwickelten wir sie weiter und schrieben neue Sachen. Es fühlte sich richtig gut und inspirierend an. Und war für mich grossartig.
Was denn?
Alles! Von London habe ich kaum was gesehen, es lief so viel im Studio ab. Ständig kamen neue inspirierende Musiker vorbei, mit denen ich an Songs arbeiten konnte. Andy hat ein extremes Netzwerk, sodass ich mit sensationellen Songwritern zusammenarbeiten konnte. Mit Emily Phillips etwa, die für John Newman den Song «Cheating» geschrieben hat. Ich war bei ihr Zuhause, saugte die Luft ein, in der Hoffnung, dass da noch ein Partikelchen von John Newman im Raum war (lacht).
Wenn man mit vielen Leuten zusammenarbeitet, droht die Gefahr, dass das Album am Ende nicht homogen herauskommt…
Ja, und das wollten wir diesmal vermeiden. Am Ende haben wir die Songs innerhalb einer Woche live eingespielt. Mit Musikern aus London. Das war für mich auch ein Wow-Effekt. Die Typen waren Wahnsinn. «Never Let You Go» hatten Emily Phillips und ich als Pianoversion komponiert. Ich wollte den Song aber ganz gross haben, beschrieb dies der Band im Studio mit Farben, Früchten und Grimassen. Ich wollte den Big Food! Da machte es bei allen einfach klick und wir hatten den Track genau so gross wie in unserer Vorstellung. Das war einfach grossartig, die sind so versiert, dass es gut klingt, und zwar so, wie ich wollte.
Das ging so gut, dass wir gar keine Overdubs mehr machen mussten – auch nicht von meiner Stimme. Noch nie konnte ich im Studio so gelöst mitsingen und damit so natürlich, direkt aus dem Bauch aufnehmen.
Das hört man der neuen Platte auch an. Ist sie komplett in London entstanden?
Nein, einige Songs haben wir in Basel eingespielt. Joel Schmidt, unser Saxofonist, machte eine Vorproduktion, die wir dann weiter produziert haben. Das war die Basis für den ganzen Rest, die Vorgabe, wo wir hin wollten. In London schrieben wir dann weitere Songs und nahmen diese auf. Am Schluss hatten wir ein so grosses Paket, dass die Entscheidung schwer fiel, welche auf der Platte landeten und welche nicht. Was ein gutes Zeichen war.
Sie mussten in den letzten zwei Jahren aber auch einstecken: Nach dem Hype und vor der Tour titelte der «Blick» in fetten Lettern: «Nicole Bernegger floppt». Wie konnten Sie mit solchen kritischen, neuen Tönen umgehen?
Später gut: 10’000 verkaufte Platten, Goldstatus und eine gute Clubtour – all das widersprach dem Blick-Artikel.
Aber ganz vergessen geht so ein hartes Urteil trotzdem nicht, oder?
Nein, natürlich tat das sehr weh. Auch, weil ich ja mein Leben lang an einer Musikkarriere gearbeitet habe und «The Voice» als Möglichkeit sah, neue Kontakte zu knüpfen – denn mit unserer Band feierten wir zwar schöne Erfolge, aber es fehlte uns das professionelle Umfeld. Natürlich war mir klar, dass man als Gewinnerin einer Casting Show anders beurteilt wird – aber was schade war, war, dass ich bei den folgenden Interviews ständig diese Frage beantworten musste. Ich wollte mich mit der Musik behaupten. Das schien aber schwierig. Auch, weil die Musik in vielen Medien gar keine Rolle mehr spielt.
Nach alledem: Haben Sie auch schon mal gedacht, dass Sie auf die Casting-Show-Episode besser verzichtet hätten?
Nein. Ich bereue es noch immer nicht. Ich habe so viele Leute kennengelernt, dabei auch viel mehr über das Musikbusiness gelernt. Dass ich jetzt hier stehe, hat ja auch mit dieser TV-Sendung zu tun. Ich hatte schon viel im Rucksack, aber «The Voice» hat mich weitergebracht.
Musikalisch war Ihr Talent unüberhörbar vorhanden, das wusste man in Basel schon lange vor «The Voice». Was kam nun dazu?
Anerkennung von professioneller Seite, dass ich mit Stress zusammenarbeiten konnte war sehr toll. Dass ich nun wieder auf seinem Album singen konnte, zeigt mir auch, dass wir uns auf Augenhöhe begegnen. Das tut natürlich gut. Zudem ist für mich jeder Schritt ein Schritt vorwärts.
Und was kommt als nächster Schritt: das Ausland?
Das wäre ein Traum, ja, ein unerfüllter. Andere sind Wirklichkeit geworden in den letzten Monaten: Ich wollte einmal im Bierhübeli Bern spielen, im Zürcher Moods auch. Wir haben mit den Kitchenettes schon in Deutschland Konzerte gegeben, ich weiss daher, dass es dort besonders hart ist und niemand auf Musiker aus der Schweiz gewartet hat. Andererseits bin ich frei, habe mich von Universals Booking Agentur losgelöst. Und bin jetzt bei einer Agentur, die auch Konzerte von Joss Stone oder Van Morrison veranstaltet. Da scheint also erstmals in meinem Leben theoretisch alles möglich zu sein, was die Vernetzung im Ausland angeht. Und ich glaube, dass das mit der Platte und der Crew so realistisch ist wie nie zuvor. Ich hoffe es.
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Live: Sonntag, 20. April, Kuppel Basel, 19.30 Uhr.
Das Album «Small Town» erscheint am 24. April bei Universal Music.