Im deutschen Sprachraum gibt es 1000 Literaturpreise. Warum sind sie für die Literaturszene so wichtig? Und wie gut tut das der Literatur?
«Ich setze jeden Tag eine Meldung in die Zeitung», sagt Lothar Müller, Literaturredaktor bei der «Süddeutschen Zeitung», bei einem Gespräch an der Frankfurter Buchmesse vergangene Woche. «Jeder Preis ist ein Festtag für den jeweiligen Autor. Zugleich gibt es so viele, dass es Alltag ist.»
Im deutschsprachigen Raum sind es etwa 1000, zum Teil sind sie auch Schweizer Autoren zugänglich. Die Auflistung auf Wikipedia ist so lang, dass sie schon wieder amüsant ist.
Für Deutschland ist sie nach Alphabet geordnet. Die Preise bilden einen wichtigen Teil der Förderung von Autoren, nicht nur zu Beginn ihrer Karriere. Warum ist das ausgerechnet in der Literatur so?
Ebenfalls an der Buchmesse unterwegs ist Ijoma Mangold, Literaturchef der «Zeit». Seine Begründung lautet, dass Bücher ein anderes Verhältnis zu finanziellen Werten haben als andere Kunstwerke: «Die Literatur ist unter den Künsten am wenigsten über den Markt kapitalisiert.»
Die Preisgelder bis zur Summe von über einer Million Franken, mit der der Nobelpreis dotiert ist, würden ein Gegengewicht zu den Verhältnissen im Kunstmarkt schaffen, wo die für wichtig befundenen Werke von selber im Preis steigen. «In der Kunst gibt es eine komplette ökonomische Hierarchie der Werke», sagt Mangold. «In der Literatur ist hingegen klar, dass es einen riesigen Graben gibt zwischen Autoren mit grosser Auflage und solchen mit Anwaltschaft auf Unsterblichkeit.»
Die besondere Jury hinter dem Nobelpreis
Die Preisflut hat jedoch auch einen prosaischen Grund. In Deutschland lassen sich Lokalpolitiker nicht entgehen, wenn in ihrer Region ein Schriftsteller gelebt hat, in dessen Name man einen Preis verleihen kann. «Die Idee vieler regionalen Preise ist, die Region bekannter zu machen, statt die Literatur zu fördern», sagt Lothar Müller.
Wichtiger noch als die finanzielle Unterstützung dürften bei renommierten Preisen die Aufmerksamkeit oder sogar der Ruhm sein, den ein Preis mit sich bringt. Insbesondere, wenn es um den grössten geht, den Nobelpreis. Er ist vermutlich, nach den Oscars, der meistbeachtete Kunstpreis überhaupt.
Für Lothar Müller hat die Bedeutung des Preises einen klaren Grund: «Er wird von Mitgliedern der Schwedischen Akademie verliehen und nicht von einer jährlich neu einberufenen Kritikerrunde. Ich glaube, dass jeder Vergabe eine jahrelange Recherche zugrunde liegt.» Durch diesen Aspekt unterscheidet sich der Preis grundlegend von den anderen renommierten Preisen. «Die Akademie hat es geschafft, mit ihrer jeweiligen Entscheidung und in ihrem jeweiligen Horizont Weltliteratur zu definieren.»
Die besondere Beschaffenheit der Jury überträgt sich auf den Ruhm, den der Preis mit sich bringt. Stellt sich weiter die Frage, warum der einzige Kunstnobelpreis ausgerechnet in der Gattung Literatur vergeben wird. Dazu Ijoma Mangold: «Als der Literaturnobelpreis im bürgerlichen Zeitalter ins Leben gerufen und 1901 zum ersten Mal vergeben wurde, war Literatur die Leitgattung. In ihr sollte sich der Geist der Epoche massgeblich auf den Punkt bringen lassen. Herr Nobel hatte eine gesellschaftspolitische Absicht.»
Unbestätigte Befürchtungen
Viele Auszeichnungen stehen immer wieder im Verdacht, nach Kriterien wie Quote, Herkunft, Geschlecht oder auch Vermarktbarkeit verliehen zu werden. Mit Patrick Modiano ging der Nobelpreis jedoch zum wiederholten Mal an einen männlichen, französischen Autor, mit dem kaum jemand gerechnet hatte und den nur die ganz Belesenen überhaupt kannten. Die Erwartung, dass der Nobelpreisträger einer sein müsse, der sich mit aktuellen Weltkrisen beschäftigt, blieb mit Modiano ebenfalls unerfüllt. Auch der Deutsche Buchpreis, die meistbeachtete Auszeichnung im deutschsprachigen Raum, ging mit «Kruso» von Lutz Seiler an ein Buch, das bis anhin bei den Buchhändlern einen schweren Stand hatte.
Dabei ist die Gefahr von unfreien Entscheidungen vorhanden, etwa bei den Schweizer Literaturpreisen. Sie werden jährlich an fünf bis sieben Autoren aktueller Werke verliehen (dazu kommen der Grand Prix für Persönlichkeiten, «die sich auf einzigartige Weise für die Schweizer Literatur einsetzen», sowie die Spezialpreise für Übersetzung und Vermittlung). «Bei den eidgenössischen Literaturpreisen ist es wie bei einer Bundesratswahl: Es geht um Konkordanz», sagt der Literaturwissenschaftler Thomas Strässle. «Die Probleme dieses Preises hängen mit der Vielsprachigkeit der Schweiz zusammen.»
Doch auch für ihn, der bis 2013 in der Jury des Schweizer Buchpreises sass, sind Preise ein gutes Instrument im Literaturbusiness («wobei Business bereits ein verräterisches Wort ist»), um die Aufmerksamkeit komplementär zur Dynamik des Marktes zu lenken. «In früheren Jahren wurde der Jury des Buchpreises unterstellt, sie wolle Zeichen setzen, indem sie beispielsweise nur junge Autoren nominierte. Doch unserer Meinung nach waren es einfach die besten Bücher.»
Die Konformität der Entscheidungen
Auch wenn die Preise bei den Beobachtern mehrheitlich einen guten Stand haben, gibt es noch mehr Kritik, und Mangold spricht den gleichen Punkt an wie Thomas Strässle: «Es gibt seltsame Mechanismen bei der Vergabe von Preisen. Jemand, der schon einen hat, hat gute Chancen, einen nächsten zu kriegen.»
Und Mangold: «Sibylle Lewitscharoff, die ich sehr schätze, lacht inzwischen schon selber, dass es kaum einen Preis gibt, der an ihr vorbeigegangen ist.» Es gibt eine verbreitete Mutlosigkeit, einen Hang zur Konformität: Wenn die anderen so entschieden haben, dann machen wir mit derselben Entscheidung nichts falsch.
Weniger Ärger lösen indessen Fehlentscheidungen aus. Und das ist ein bedeutendes Wort, nachdem um die Longlist des diesjährigen Deutschen Buchpreises und ihre allfälligen Mängel ein beispielloser Wirbel gemacht wurde.
«Fehlentscheidungen sind gar kein Problem», sagt Mangold. «Sie sind im Leben insgesamt nie ein Problem, glaube ich. Auch die Fehlentscheidung ist ein Entscheidung, und die Gesellschaft lebt von Entscheidungen, von denen aus man weitersehen kann.»
Im Herbst haben Preisverleihungen Hochsaison – hier der Basler Kulturpreis, dort der Schweizer Buchpreis, da der Literaturnobelpreis.
Wir schauen genauer hin und machen die Kulturpreise zum Wochenthema.
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