Jungs mit Schmäh

Wer keine Lust auf die übliche Kunstmasche hat, geht dieser Tage in den Kaskadenkondensator. Die Künstler der «gruppe uno wien» sind zu Besuch und machen Radau nach Wiener Art: Chaotisch, laut und ohne Allüren. Ein Erlebnisbericht.

Endlich: Kunst mal anders. Die Wiener Jungs von der «gruppe uno wien» zeigen wies geht. (Von oben links nach unten rechts: Philipp Friedrich, Helmut Heiss, Albert Allgaier, Alfred/Kevin Lenz, Martin Chramosta, Peter Fritzenwallner und Alexander Fuchs) (Bild: Olivier Christe)

Wer keine Lust auf die übliche Kunstmasche hat, geht dieser Tage in den Kaskadenkondensator. Die Künstler der «gruppe uno wien» sind zu Besuch und machen Radau nach Wiener Art: Chaotisch, laut und ohne Allüren. Ein Erlebnisbericht aus der etwas anderen Weihnachtsausstellung.

«Hey, magst du auch ein Bier?» Der Typ mit dem wild gemusterten Pullover blickt von der improvisierten Theke auf. «Ich bin zum Arbeiten hier», sage ich und schmunzle. Er antwortet lapidar: «Ich doch auch.»

Der Mann mit dem Pullover und der dehnbaren Arbeitsmoral heisst Philipp Friedrich, ist österreichischer Künstler und zusammen mit sieben weiteren Kunstschaffenden für knapp zehn Tage zu Besuch im Kaskadenkondensator. Vor fünf Tagen ist die «uno wien» – wie sich die Künstlergruppe, zu der die jungen Herren gehören, nennt – mit ihrem massiven Mercedes S-Klasse («Die Kroaten in Kleinbasel waren begeistert!») in die Schweiz gerattert, um sich auf Einladung des Basler Künstlers Martin Chramosta hin im Kasko auszutoben.

Geplant war eine Art alternative Weihnachtsausstellung zur Regionale, ein «extraregionales Projekt, wo eine Künstlergruppe den Raum für ihr Leben und Arbeiten in Beschlag nehmen kann», wie «Invitator» Chramosta in der Einladung formulierte:


Und wer sich dieser Tage auf einen Besuch in den Kunstraum im Warteck begibt, merkt sofort: Diese Jungs halten, was Chramosta versprach. Mehr noch: Sie loten es richtiggehend aus.

Die beiden kargen Räume des Kasko sind in einen Flausen-Fundus verwandelt worden, drei gemietete Gerüste stehen herum, die die Jungs je nach Tageszeit in Schlafkojen, Kochnische, Bibliothek, Büro oder Atelier umwandeln. Dazwischen liegen haufenweise Kleider und Platten, eine Hängematte, ein kleiner Tannenbaum, goldene Folie, ein farbenfroher Skianzug aus Zeiten, wo es noch ok war, senfgelb mit violett zu kombinieren («Den hab ich im Hochsommer in einer Mülltonne in Kroatien gefunden!») und Joris-Karl Huysmans‘ «Gegen den Strich».



Bunte Skijacke et al. : Bei der «gruppe uno wien» darf alles Kunst sein.

Bunte Skijacke et al. : Bei der «gruppe uno wien» darf alles Kunst sein. (Bild: Olivier Christe)


Der Titel passt hervorragend zu der Wiener Truppe: Nicht nur scheinen diese bunten Künstler eine Vorliebe für Dekadenz zu haben, sie funktionieren auch alles andere als linear: «Wir sind so sechs bis zwölf Leute, je nach Projekt», erklärt Philipp Friedrich.

Sie arbeiten nach dem Jam-Session-Prinzip: Jeder trägt seinen Anteil bei, fängt irgendwo an und macht woanders weiter und nimmt sich später einen Teil davon wieder für die eigene Arbeit. «Ein bisschen wie im Free Jazz, weisst du», sagt Friedrich und läuft zum Gerüst, wo sich die Jungs für das Gruppenfoto zurechtmachen.



Alles geht: Die Jungs von der «gruppe uno wien» in Aktion.

Alles geht: Die Jungs von der «gruppe uno wien» in Aktion. (Bild: Olivier Christe)


Und wie sie sich zurechtmachen: Unter fröhlichem Geplauder holen sich die Jungs ihr Lieblingsteil aus dem Raum (den Tannenbaum, ein Fleischermesser, ein Glas Essiggurken) und inszenieren sich auf dem Gerüst. Alexander Fuchs stellt eine Platte in die Mitte des Gerüsts: Ulli Bäers «Nur mit n’Schmäh». Scheint sehr wichtig zu sein. Fuchs nickt langsam. «Schmäh, hab ich noch nie gehört», sage ich, «was ist das?»

«Ja, halt Schmäh. Ohne Schmäh geht gar nichts.» Fuchs schaut auf die Platte. Heiss kommt und ruft von der Seite: «Schmäh ist bissiger Humor!» Wikipedia meint dazu: charmante Grundhaltung. Passt beides. Als die Fotos im Kasten sind, hat plötzlich einer wieder eine andere Idee und alle bauen auf der anderen Seite des Raumes nochmal ein anderes Gerüst auf. 



«Schmäh ist, wenn du Bier in den Gulasch kippst!» Alexander Fuchs alias DJ Ali Europa mit Lieblingsplatte.

«Schmäh ist, wenn du Bier in den Gulasch kippst!» Alexander Fuchs alias DJ Ali Europa mit Lieblingsplatte. (Bild: Olivier Christe)


Nach der Fotosession kommt Helmut Heiss und sagt: «Kannst du bitte schreiben, dass Peter im dritten Monat schwanger ist? Super.» Und Alfred Lenz möchte gerne als Kevin aufgeführt werden. 

Und wo bleibt die Kunst? Sie ist eben genau das: Ausleben von Gewusel und Flausen. Davon geht man zumindest aus, wenn man die Wiener Jungs bei der Arbeit beobachtet. Sie machen das übliche kulturelle Rahmenprogramm, also das Essen, Schwatzen und Tanzen, zum Kunstwerk. Und erzeugen die Kunst dazu. «Wir generieren quasi Inhalt aus der Hülle», sagt Heiss, Eigenschaften von Ausstellungen und Symposien werden in Werke und Veranstaltungen übersetzt.



Material für die Kaugummi-Skulptur.

Material für die Kaugummi-Skulptur. (Bild: Olivier Christe)


Das kann ein Sockel sein, der im Rahmen des «Symposiums», das bis zum Donnerstagabend dauert, vor versammeltem Publikum aufgebaut wird; oder eine Kaugummi-Skulptur, die aus gebrauchten Kaugummis der Ausstellungsbesucher besteht (dafür liegt vor dem Eingang eine silberne Schüssel bereit – es wird ein Hirn werden). Genauso gut kann es ein simples Nachtessen sein, wie es die «gruppe uno wien» jeden Abend im Kasko veranstaltet. Die Zuschauer machen die Kunst zur Kunst: Die können sich hinsetzen, mitessen und mitreden. «Sie kommen, damit das, was wir hier machen, Sinn macht», sagt Heiss.

«So ein guter Ameisenhaufen», sagt unser Fotograf lachend, als wir eine Stunde später mit einer Einladung zum Abendessen und Bier und Kaffee intus aus dem Warteck rauslaufen. Sehr gut getroffen, denke ich. Halt Schmäh. Ohne Schmäh geht gar nichts. Auch nicht Kunst.

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Basler Weihnachtsausstellung mit der «gruppe uno wien»Kaskadenkondensator, 12. bis 21. Dezember, Burgweg 7, 4058 Basel. Vernissage: Donnerstag, 18. Dezember, 18 Uhr. 

PS: Zehn Sunden später, nach besagtem Abendessen, unzähligen Italo-Schlager-Hits und mehreren Gläsern Hochprozentigem mit rotem Etikett unter einem Dach aus goldener Wärmedecke, kriege ich noch einen Kommentar zum Text, dem hier die Ehre des Anhangs gebührt:

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