Die vier Berliner Rapper von K.I.Z. haben den Pop-Mainstream, die eigene Szene und jüngst auch noch die Charts auf den Kopf gestellt. Auf dem neuen Album «Hurra, die Welt geht unter», das auch in der Schweiz auf Platz 1 landete, fügen sie ihrem Provokations-Kosmos nun eine erstaunlich unironische Komponente hinzu.
Es war Anfang dieses Jahrtausends keine leichte Zeit für Lehrer, Sittenwächter und besorgte Eltern. Ja, selbst der ganz unverdächtige Musikkonsument hatte Probleme mit jener Form von deutschsprachigem Hip-Hop, der die frechen aber letztlich zivilisierten Reihenhaus-Rapper à la Samy Deluxe, Fettes Brot, Massive Töne oder 5 Sterne so rigoros ersetzte.
In den Texten aus dem Dunstkreis des hochgehandelten Indie-Plattenlabels Aggro Berlin ging es nämlich nicht mehr um heile Welt oder zumindest Weltverbesserung. Nein, Bushido, SIDO, Kool Savas und andere etablierten sich und gaben dem aus Amerika importierten Genre Gangster- beziehungsweise Battle-Rap eine deutschsprachige Entsprechung. Plötzlich wurde das bislang empathisch besetzte Wort «Opfer» zu einer Schmähung, und ein nicht enden wollender Strom aus Gewaltfantasien drängte sich in die Wahrnehmung des Mainstreams. Die dazugehörigen Platten («Maske» von SIDO oder «Vom Bordstein zur Skyline» von Bushido) stellten keine Nischenprodukte sondern Top-Seller dar.
Krasser als alles zuvor
Das Feuilleton und die Bedenkenträger nahmen den Kulturkampf an, hatten letztlich aber keine Chance. Der Schulhof radikalisierte sich verbal und political correctness schien auf «stumm» geschaltet worden zu sein. Der Marsch durch die Pop-Institution schliff im Gegenzug bei jenen neuen Stars wie SIDO oder Bushido die gröbsten Kanten ab, sodass man sich mühsam aneinander gewöhnen konnte. Dann aber trat eine neue Band auf den Plan. Vier Typen, Maxim, Tarek, Nico und DJ Craft. Deren Textzeilen waren mitunter noch krasser als alles vorher Gehörte.
Die sogenannten «Kannibalen in zivil», K.I.Z., postulierten «Das Ende der Meinungsfreiheit» und reizten diese bis zum Anschlag aus. Beispiele gefällig?
«Du bist kein Pimp, nur weil sich deine Frau wie eine Nutte schminkt.» («Freiwild»)
«Du Hurensohn, ich mache Party auf deinem Grab.» («Hurensohn»)
«Ich trete deiner Frau in den Bauch und fresse die Fehlgeburt.» («Ein Affe und ein Pferd»)
Extrem verhaltensauffällig natürlich auch das in Rollenprosa und aus der Sicht von Adolf Hitler geschriebene Stück, das unter anderem folgendes von sich gibt:
«Ich leg ’ne Hakenkreuz-Line aus purem Speed – ich ziehe was, was du nicht ziehst.» («Ich bin Adolf Hitler»)
Keine Sorge, schlimmer wird es nicht! Denn selbst schon in den frühen Zeiten der Band wurde man nie das Gefühl los, diese Band bestehe gar nicht aus geisteskranken Irren (wie sie es selbst immer gern darstellte), sondern besitze vornehmlich einen extrem morbiden Humor. Einen Humor, der als Waffe dient, um einerseits die männlich pubertären Gewaltfantasien des Genres ad absurdum zu führen und andererseits empörte Sittenwächter der Heuchelei oder zumindest der Nixmerkerei zu überführen.
Dieser Umstand ist bis heute das Alleinstellungsmerkmal der Band. Keine Scheu davor zu haben, sich auch mit der eigenen Szene anzulegen. So gibt es zum Beispiel das Stück «Die kleinen Dinge» (aus dem Album «Sexismus gegen rechts»), worin die ewig gültige Hip-Hop-Beleidigung konterkariert wird, die einem Kontrahenten fehlende Männlichkeit in Form eines kleinen Pimmels nachweisen möchte. K.I.Z. indes feiern und ermutigen in dem Stück das nicht so mächtig geratene Glied.
Transvestiten am Weltfrauentag
Noch weniger anfangen konnte der eingefleischte Fan von menschenverachtendem Aggro-Rap mit den Konzerten, die sie stets zum Weltfrauentag abhielten. Dort waren nämlich nur Damen zugelassen. Ein Prinzip, das sich auch Die Ärzte schnappten – und das den vier Premium-Provokateuren dieses Jahr dann schon wieder zu etabliert erschien. So modifizierten sie ihre Idee und heraus kam ein Konzert nur für Männer – in Frauenkleidung. 1500 Interims-Transvestiten folgten diesem Ruf und kamen im Fummel ins ausverkaufte Astra Kulturhaus zu Berlin.
Eine bessere Therapie hinsichtlich Toleranz, als einmal in den Schuhen des Anderen zu laufen, kann man sich kaum vorstellen. Die härtesten Hip-Hop-Macker mussten geschminkt in Frauenkleidern und Pumps in der U-Bahn zum Konzert fahren. Wer in dieser Aktion nicht das aufklärerische Potenzial sieht, muss sich wie der Religionsfanatiker Ned Flanders (The Simpsons) gar nicht wirklich für Aufklärung interessieren.
Mit der letzten Platte «Urlaub fürs Gehirn» stagnierte das stachelige wie bunte System von K.I.Z. allerdings – zumindest in den Charts. Ihre doppelbödigen Gags und der Wille, allen Instanzen vor den Bug zu schiessen, schien eine gewisse Sättigung erfahren zu haben. Und wirklich provoziert sah sich ohnehin kaum jemand – zu offensichtlich waren die Qualitäten der Band über die Jahre nach aussen gedrungen.
Also nahm man sich vor, die ironische Haltung diesmal nicht über alle Texte zu streuen. Es ging K.I.Z. stattdessen darum, konkrete Aussagen zu treffen. Ein grosses Thema sind dabei die Kommentarspalten-Nazis, die herrschende Flüchtlingsproblematik und der Kapitalismus. Die müssen sich so einiges anhören. Das klingt bei K.I.Z. dann so:
«Ihr Party-Patrioten seid nur weniger konsequent als diese Hakenkreuz-Idioten
Die gehen halt selbst noch ein paar Ausländer töten
Anstatt jemand zu bezahl’n, um sie vom Schlauchboot zu treten.»
(«Boom, Boom, Boom – Ich bring‘ euch alle um»)
In die extremen Passagen der Platte mischen sich aber auch immer wieder Schönklang und fast romantische Momente. Die erste Single «Hurra, die Welt geht unter» vom gleichnamigen Album formuliert eine Utopie, die nach dem Zusammenbruch der Geldwirtschaft entstehen könnte.
Gänsehautmomente bei K.I.Z.? Tatsächlich. Doch das Experiment glückt und beschert der Band erstmals Platz Eins der Verkaufscharts in Deutschland wie auch in der Schweiz. Grund genug bei Rapper Maxim nachzufragen.
Habt ihr damit gerechnet, dass es diesmal klappen könnte mit eurem ersten Nummer-1-Album?
Maxim: Wir wussten, dass wir einen Haufen Platten verkauft hatten. Aber das Konglomerat des Bösen hatte es sich bisher zur Aufgabe gemacht, uns von der Eins zu verdrängen mit diesem «Sing my song»-Zeug um Xavier Naidoo und Co. Daher konnten wir uns nicht sicher sein, ob wir es schaffen. Wir hatten uns aber so oder so alle verabredet, um gemeinsam zu feiern oder zu trauern. Zum Glück hat’s geklappt.
Ihr seid mit dem neuen Album mehrheitsfähiger denn je. Wie verträgt sich das mit dem Image als Bürgerschreck-Band?
Wir haben schon auf unserem allerersten Album [«Das Rap-Deutschland Kettensägenmassaker», Anmerkung des Autors] ein Stück gehabt mit dem Titel «Raus aus der Stadt», das explizit plump politisch war. Das ging dann weiter auf «Böhse Enkelz», da fanden sich mehrere Songs wie der «Frei sein»-Remix, und später dann «Straight outta Kärnten» [über Jörg Haider, A.d.A.], «Biergarten Eden», «Abteilungsleiter» oder «Fleisch». Es ist also nicht so, dass wir da plötzlich ein neues Terrain entdeckt hätten, man hat es vorher vielleicht einfach nicht mitgekriegt. Auf dem neuen Album wollten wir das ganz konsequent durchziehen, was wir sonst immer nur haben aufblitzen lassen. Konzept-Songs statt Battle-Rap, das ist die Idee diesmal. Klar, durfte es immer noch witzig sein, aber wir wollten einen roten Faden, der über «Ich töte deinen Vater» hinausgeht.
Führt euch eine «Sprecherposition» nun ins Rap-Establishment? Müsst ihr fürchten, dass ihr für die nächste Band Aid angefragt werdet?
Ach, wir werden heute schon gefragt für solche Sachen. Aber wir sind ja clever und verschenken kein Geld. Und dass wir jetzt ernster genommen werden, empfinde ich nicht als schlimm. Wir fanden es bloss meist unterhaltsamer und passender, Verwirrung zu stiften. Aber wenn etwas vernünftig ist, soll es auch so wahrgenommen werden. Das Problem an Band Aid ist ja nicht nur, dass die schlechte Musik machen, mich stört vor allem, dass die Analyse und die Message dahinter Müll sind. Zurück zur ersten Frage: Ich finde es nicht schlimm, ernst genommen zu werden. Das einzige, was wir natürlich vermeiden wollen, ist, dass Leute sich an unserer Meinung orientieren. Also: «Weil K.I.Z. das sagen, ist es richtig! Das kann ich jetzt getrost nachlabern». Ich will nicht, dass man uns einfach glaubt, nur weil wir jetzt irgendwo dazugehören.
Wenn man Platz Eins der Charts innehat, kommt da zwangsläufig der Moment, an dem man sagt: Ach, ich melde mich doch mal bei meinen Eltern, bei den Verwandten, ja, ich gehe dieses Jahr vielleicht sogar aufs Klassentreffen?
Nee, jetzt erst recht nicht mehr! Jetzt nur noch neue Freunde!