(K)eine Frage der Logik

Regisseur Armin Petras versetzt Leoš Janáčeks Oper «Katja Kabanowa» in ein Versuchslabor. Die Inszenierung lässt ziemlich kalt, während Gesangsensemble und Orchester für Hitzewallungen sorgen.

(Bild: Theater Basel)

Regisseur Armin Petras versetzt Leoš Janáčeks Oper «Katja Kabanowa» in ein Versuchslabor. Die Inszenierung lässt ziemlich kalt, während Gesangsensemble und Orchester für Hitzewallungen sorgen.

Kann das gut gehen, wenn ein Regisseur das Handeln seiner Hauptfigur als unlogisch empfindet? – Was bereits bei der Lektüre des Programmheftes Skepsis auslöst, bestätigt sich anlässlich der Premiere von Leoš Janáčeks Oper Katja Kabanowa am Theater Basel: Nein, das kann nicht gut gehen.

Armin Petras ist ein erfahrener Schauspielregisseur; er wird im Sommer 2013 die Intendanz des Staatstheaters Stuttgart übernehmen. Seine erste eigene Operninszenierung aber lässt gerade das vermissen, wovon die Oper sonst profitiert, wenn Schauspielregisseure am Werk sind: stringente Personenführung, klare Zeichnung der Charaktere, bewusste Körpersprache. Das alles kommt in der Basler Produktion zu kurz.

Schon zu Beginn waten die Darsteller etwas steif durch das knöcheltiefe Nass, das Kathrin Frosch auf der ganzen Bühne ausgebreitet hat. Dem einen scheinen die Gummistiefel zu gross, der andere weiss nicht, wohin mit seinen Armen, der dritten kitzelt der Takt der Musik in den Zehenspitzen – der gemeinsame Spaziergang an der Wolga wird so zum minimal bewegten Standbild. Derweil strömt vom Orchestergraben her ein sanfter, warm aufblühender Streicherklang, schillert hell wie das Sonnenlicht, brodelt dunkel wie die Stromschnellen im Wasser, und es wird schnell deutlich: es ist Janáčeks Komposition, welche die Geschichte mit all ihren Zwischentönen erzählt, meisterhaft interpretiert von einem erlesenen Gesangsensemble und einem souverän aufspielenden Sinfonieorchester Basel unter der Leitung des jungen Dirigenten Enrico Delamboye.

Da ist zum Beispiel Mary Mills als Katja. Ihre schlichte Körpersprache zeigt sie als schüchternes, unentschlossenes Mädchen, ihr geschmeidiger, zu feinsten Schattierungen fähiger Sopran aber lässt hören, wie sehr es in der Hauptfigur brodelt. Sie ist unglücklich in der Ehe mit Tichon, gefangen vor allem im Haus der rasend eifersüchtigen Schwiegermutter Kabanicha. Katja erzählt ihrer Freundin Warwara (mit herrlich wandlungsfähigem und tragendem Mezzosopran: Solenn‘ Lavanant-Linke) von den religiösen Ekstasen ihrer Kindheit. Was die Musik als intimes, extrem aufwühlendes Selbstbekenntnis darstellt, zerrt Petras schonungslos per Videoprojektion auf die Leinwand: riesengross erscheint da Katjas Gesicht, klein antwortet Warwara vom Bühnenrand. Da wird eine Konstellation gezeichnet, die dem Libretto widerspricht. Es ist die kesse Warwara, welche die Grösse besitzt, aus ihrem ähnlich engen Leben auszubrechen und mit ihrem Geliebten Wanja (Normann Reinhardt mit agilem Tenor) nach Moskau zu fliehen.

Da ist zum Beispiel der dunkle Tenor Ludovit Ludha als Boris. Er löst den Liebesrausch in Katja aus, mit ihm gerät sie in sexuelle Ekstase. Und weil sie deswegen noch lange nicht ihre traditionellen Vorstellungen von Familie revidiert, verfällt sie dem Wahnsinn, gesteht den Ehebruch – und geht wie ihre Schwestern Effi Briest, Madame Bovary oder Anna Karenina in den Tod, bigott betrauert vom gaffenden Volk (gut ausbalanciert: der Chor des Theater Basel).

Da ist zum Beispiel Tomáš Cerny als Tichon. Kein eigenes Agieren zeigt seine Körpersprache, nur ein Reagieren auf die Befehle seiner Mutter. Sein heiser flüsternder, hilflos schreiender Tenor aber deutet an, wie es auch in ihm rumort – er liebt seine Katja, weiss nur nicht, wie er ihr das zeigen soll. Doch statt diesem Tichon in seinen wenigen Auftritten mehr Prägnanz zuzugestehen, stellt Petras ihm einen Doppelgänger zur Seite, der sich unentwegt in der Bühnenpfütze wälzt.

Da ist zum Beispiel Dagmar Pecková als Kabanicha. Sie hält das Zepter in der Hand, ist rasend eifersüchtig auf die neue Frau an der Seite ihres Sohnes Tichon – herrlich zetern kann die Altistin. Petras zeigt Kabanicha als Tyrannin, Katja als deren Opfer. Petras spürt aber nicht der Möglichkeit nach, dass diese Figuren auch etwas verbinden könnte: Kabanicha ist in den gleichen, engstirnigen Moralvorstellungen gefangen wie ihre Schwiegertochter.

Die Kleinstadt, in der all diese Charaktere agieren, hat die Regie in einem einzigen Gebäude verdichtet. Unfertig ist dieses Haus, mit Abdeckplanen und losen Mauern, doch fertig genug, um seine Bewohner einzusperren. Drinnen herrscht eine Atmosphäre wie im Arbeitslager, das Interieur und die sterilen weissen Kittel (Kostüme: Patricia Talacko) zeigen ein plakativ-modernes Labor. Wonach hier mit Flüssigkeiten und Pülverchen geforscht wird, bleibt diffus, offen die Frage, warum Katjas Geschichte in diesem Setting heute besser zu erzählen sein sollte als im bürgerlich-häuslichen Kontext, von dem das Libretto berichtet. Und so heftig dieses Gebäude nach der Beichte Katjas erzittert und, einem Erdbeben gleich, seine Bewohner verletzt zurücklässt, so matt erscheint doch all das Bühnengeschehen im Vergleich zu der dichten, aufbrausenden Musik.

Heftiger Applaus für Orchester und Darsteller, Buhs für das Regieteam.

 

Leser Jürg Bachmann hat noch einen besseren Link zu den Fotos auf der Seite des Theaters gefunden – voilà.

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