Christian Zehnder, Gregor Hilbe und Matthias Loibner hinterliessen mit ihrem Programm «Oloid» am Jazzfestival Basel bleibenden Eindruck: Es wirkte wie der Kampf des Menschen mit den Urgewalten.
Ein geometrischer Körper als Zündfunke für musikalische Inspiration? Hört sich irgendwie spröde oder gar verstiegen an. Doch der Oloid steht ja nicht für trockene Mathematik. Dieser vom Anthropologen Paul Schatz entdeckte, respektive berechnete «überstülpte Würfel» hat für das Auge des Betrachters etwas zutiefst Organisches, ja, Verspieltes. Er gleicht einem amöbenartigen Körper, hat aber auch Züge vom Raumschiff Enterprise.
Und wenn er sich dann über seine eigenen Kanten abrollt, wenn dieses Ding über die Bühne eiert, wie es dies zu Beginn des Konzertes tut, dann assoziiert man tatsächlich Rhythmen, torkelnde, synkopische Grooves, Broken Beats.
Lokomotive und Urwaldflöten
Der Oloid bringt die Show nicht nur im wahrsten Wortsinn ins Rollen, er ist auch Beatgeber: Mit den Fingern abgeklopft, tönt er ein wenig wie Regen, der auf Blech prasselt, wie ein Hang ohne festgelegte Tonhöhe.
Doch genauso prominent, wie er am Anfang im Fokus steht, tritt er dann zurück, bleibt als unbeweglicher Wächter am Bühnenrand hocken. Denn nun übernimmt die andere charakteristische Klangfarbe die Regie, die dem «Oloid»-Projekt des Stimmenkünstlers Christian Zehnder und Schlagwerkers Gregor Hilbe seine Konturen gibt. Es sind gigantische, hölzerne Vierkantpfeifen, die grössten von ihnen mannshoch, schnaubende, seufzende Laute tönen daraus, an eine altersschwache Lokomotive gemahnen sie genauso wie an ein Orchester indianischer Urwaldflöten, oder an die ganz tiefen Register einer Kirchenorgel, die sich selbständig gemacht haben. Mit ganzem Körpereinsatz liefern die Künstler auf ihnen eine groovende Stereophonie. Raucherlungen könnten das nicht leisten, so viel steht fest.
Gregor Hilbe unterfüttert die geblasenen Rhythmen mit einer reichen Palette an Schlagwerk, erweist sich als perkussiver Spaziergänger: Mit Gongs behängt, oder auch mit einer Fasstrommel vor dem Bauch, wandert er zwischen Pfeifenwerk und Drums umher, baut hier mal ein wenig Looptechnik ein, fächert dort per Laptop die Beats räumlich auf. Darüber entfaltet Zehnder seine grandiose, impulsive Vokaltheatralik: Mit seinen Fantasiesilben formt er die Persönlichkeit eines verzückten Kastrats, gibt im nächsten Moment den röhrenden, aufbrausenden Leviathan oder den wilden mongolischen Steppenreiter.
Oloid live (2013, ohne Loibner)
Doch als wären die vielen Rollen, die die beiden Musiker einnehmen, noch nicht genug, haben sie sich als dritten Mann Matthias Loibner ins Boot geholt. Einige mögen ihn noch von den austriakischen Folkrebellen Deishovida kennen, bei denen er anfing, die Drehleier von ihrem Image des wurzeligen Spielmanninstruments zu befreien.
Loibner ist tatsächlich der radikale Gegenentwurf zum öden Leiermann: Er füllt die mittelalterliche Mechanik mit gruftigem Wimmern, lässt die Töne monströs aufheulen wie ein Gesang eines verletzten Wals, lässt sie in irren Synkopen schnarren. Kurzum: Er verleiht diesem vormals so rigiden Instrument eine vielschichtige Persönlichkeit.
Wilder Galopp
Die Klangbilder, die das Trio in der Folge schafft, scheinen keine Grenzen zu kennen: Ueber einem wilden Galopp von Toms und Bassdrum verflechten sich das wimmernde Kreisen der Leier und die wispernden Obertöne aus der Kehle von Zehnder, der die Zuhörer glauben macht, dass er da gerade eine Maultrommel bediene. Wassertropfen können hier genauso einen Grundtakt geben wie kristalline Loops auf gestimmten Gläsern die Pfeifen umspielen. Mit ihnen verschmilzt Zehnders Stimmenkunst einmal zu einem Gesamtorganismus, als er ein bluesiges Intermezzo mit tierischen Lauten vom Zaun bricht. Und in den stillen Momenten wird gar ein wenig sakrale Atmosphäre heraufbeschworen, Töne, wie sie einem in einer alten Kirche durch den Nachhall der Jahrhunderte zugeraunt werden könnten.
Und plötzlich erhebt sich eine Redefinition des alpinen Jodelns: Erst majestätisch vom Berg hinuntergerufen, dann sich rasant überschlagend zu ungeraden, vorwärtstreibenden Metren des Schlagzeugs. Ueberhaupt sind viele der Grooves, die Hilbe liefert, von rockigem Zuschnitt, er offenbart die Energien eines polyrhythmisch bepackten Drummers, der viel in Fussarbeit investiert, die Stöcke auch mal gerne zur Seite legt, um mit den Händen Direktkontakt zum Fell aufzunehmen.
Kampf mit den Urgewalten
Am Ende dieser genauso fantasie- wie humorvollen Darbietung bleibt der überwältigende Eindruck, man habe hier dem Kampf des Menschen mit den Urgewalten der Elemente selbst gelauscht. Einem Epos aus mythischer Zeit, in der Sprache sich als Spiegel der Naturlaute erst formte. Und da ist er im Finale auch wieder, der Oloid: Zehnder jodelt seine Namenssilben hinaus, während er den Körper in der Hand wiegt, wie einen Schatz, der seine letzten Geheimnisse nicht preisgibt.