In «Snowpiercer» verfilmt Bong Joon-ho den Aufstand einer unterdrückten Klasse. Den realen Anlass hat der südkoreanische Regisseur vor der Tür.
Ein schneefressender Zug rast durch die Eiszeit, die da ist, weil sich einige Staaten zusammengetan haben, die Klimaerwärmung zu stoppen. Das Resultat hatte dann wiederum Konsequenzen für die Menschheit. Der Prozess, der zu diesen fatalen Eingriffen in die Natur geführt hat, wird in «Snowpiercer» nicht visualisiert. Er ist Teil der hörspielartigen Titelsequenz.
Und dann ist da auch schon Curtis. Er ist ganz hinten im Zug. Im Elend, im Ghetto auf Rädern. Sein Ziel: Nach vorne zu kommen. Die Unterstützung der Ghettobewohner weiss Curtis hinter sich, vor sich hat er kompromisslose Kontrolleure, die mit Waffengewalt dafür sorgen, dass jeder in der Klasse bleibt, die seiner Fahrkarte entspricht. Snowpiercer ist eine sehr eindeutige Interpretation des Wortspiels Klassenkampf.
Das Grundgerüst lieferte Regisseur Bong Joon-ho die Graphic Novel «Le Transperceneige» von Jacques Lob, Benjamin Legrand und Jean-Marc Rochette. Die filmische Interpretation dieser Geschichte ist ein erbarmungsloses, ausserordentlich klaustrophobisches Jump’n’Run, das nur eine Richtung kennt: Nach vorn. Auf dem Weg dahin stellen sich Curtis und seinen Gefolgsleuten nicht nur Türen in den Weg, die es zu überwinden gilt. 18 Jahre ist der Snowpiercer schon unterwegs. Und diese Zeit hat an den Passagieren, die ganz hinten sind, ihre Spuren hinterlassen.
Eine Funke und der Baum brennt
Entsprechend ist die Stimmung. Es braucht nur einen Funken, schon brennt der Baum. Und so entschlossen, wie die Hinteren nach vorne wollen, verteidigen die Privilegierten ihren Besitzstand. Schliesslich stellte beim Bezug der Tickets auch keiner die Gesellschaftshierarchie in Frage. Froh war, wer eines ergattern konnte, alle anderen sind nun tot. Dass damit aber nicht das Glück erkauft wurde, wer konnte das damals schon voraussehen?
Die schlimmste Erkenntnis für Curtis offenbart sich schnell: Die im Dreck haben durchaus ihren Zweck. Somit können sich die Vorderen sagen: Es gibt ja immer noch andere, denen es noch mieser geht als mir. Der Mensch orientiert sich an seiner Umwelt. In ihr definieren sich seine Position, seine Persönlichkeit, seine Fähigkeiten.
Doch was, wenn ganz klar der Nullpunkt erreicht ist und jeder Wille zur Verbesserung der Lebenssituation mit Gewalt beantwortet wird? Der Südkoreaner Bong Joon-ho hat die Handlung von Snowpiercer gleich ennet der Grenze. Dort ist es zwar kein Zug, der sehenden Auges ins Verderben fährt. Doch da wie dort ist es eine kleine Elite, die mit harter Hand, mit Mord, Folter, Schauprozessen und Sadismus ihre Pfründe schützt.
Starke Tilda Swinton
Trotz der deprimierenden Ausgangslage, ist Snowpiercer gleichwohl packendes Kino mit spektakulären Schauwerten. Speziell die ikonografische Performance von Tilda Swinton, der ersten Autorität der Elenden, sei an dieser Stelle hervorgehoben. Hart, gnadenlos und mit für den Zuschauer grotesker, unfreiwilliger Komik. Letzteres gilt natürlich nicht für die Direktbetroffenen.
Der mächtige Hollywood-Produzent Harvey Weinstein – auch als Harvey Scissorhands gefürchtet, weil er sich nicht scheut, selbst den Final Cut vorzunehmen, wenn ihm das Ergebnis seiner untergebenen Regisseure nicht gefällt – hat sich möglicherweise im von Swinton gespielten Charakter der herzlosen, opportunistischen, verbalen Peitschenschwingerin erkannt. Lange vor dem Start der Kinofassung bemängelte Weinstein, der im Falle dieses Films einfach die regionalen Rechte für Amerika erworben hat, dass Snowpiercer für amerikanische Verhältnisse zu intelligentes Kino sei. Er werde für seine Verwertung 30 Minuten herausschneiden.
In Nordkorea, ennet der Grenze von Bong Joon-hos Heimat, gilt die Wahrheit, dass Amerika die ganze Welt beherrscht und unterdrückt. Bei uns läuft immerhin die von Bong Joon-ho abgelieferte 126-minütige Originalversion.
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«Snowpiercer» läuft im Kino Pathé Küchlin.